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Der Saal des NSU-Prozesses im Oberlandesgericht München.

© dpa

Update

49. Verhandlungstag im NSU-Prozess: Keine Spur zum Täter, rassistischer Hintergrund ausgeschlossen

Bereits eine Woche nachdem Mehmet Turgut in Rostock vom NSU ermordet worden war, schloss die Polizei einen rassistischen Hintergrund aus. Dass die Ermittler dubiose Machenschaften im Umfeld des Toten vermuteten, erscheint allerdings verständlich.

Von Frank Jansen

Das Motiv war unklar, es gab keine Spur zu einem Täter, doch die Rostocker Polizei glaubte schon nach einer Woche: einen rassistischen Hintergrund gibt es bei dem Mord an dem Türken Mehmet Turgut nicht. Am Morgen des 25. Februar 2004 war der in einem Döner-Imbiss arbeitende Mann erschossen worden, am 4. März notierte ein leitender Ermittler: „Ein ausländerfeindlicher Hintergrund kann ausgeschlossen werden“. Den Satz aus einem Schriftstück der Behörde präsentierte am Mittwoch ein Nebenklage-Anwalt im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München. So wurde einmal mehr deutlich, dass sich die Polizei bei der Suche nach den Tätern der Serie von neun Morden an Migranten den Blick auf ein mögliches rassistisches Motiv verstellt hatte. Mehmet Turgut hatten die Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt getötet, wie auch die weiteren acht Opfer türkischer und griechischer Herkunft.  

Rostocker Polizei schloss schnell rassistischen Hintergrund bei NSU-Mord aus

Der Rostocker Kriminalbeamte wurde am Mittwoch als Zeuge gehört und versuchte, sich zu rechtfertigen. Er leugnete nicht, die Notiz geschrieben zu haben, doch er betonte: „Es gab keinerlei Hinweise, dass ein ausländerfeindlicher Hintergrund zu suchen sei“. Genauso sei ein Raub ausgeschlossen worden. Die Mörder hatten die 300 Euro Bargeld in dem Imbissstand nicht angetastet. Dass dieses Indiz das einzig klare in dem Fall war, erwähnte der Beamte allerdings nicht.

Ermittlungen liefen in Richtung organisierte Kriminalität

Die Polizei ermittelte im Fall Turgut, wie bei den anderen acht getöteten Migranten auch, in Richtung organisierte Kriminalität. In Verdacht gerieten Angehörige des Mordopfers sowie der Imbissbetreiber mit seiner Familie. Mehmet Turgut hatte in dem Stand als Aushilfe gearbeitet. Dass die Ermittler dubiose Machenschaften vermuteten, erscheint allerdings verständlich. Turgut war mehrmals nach abgelehnten Anträgen auf Asyl aus Deutschland ausgewiesen worden. Bei den Reisen in die Bundesrepublik hatte er den Vornamen seines Bruders Yunus als seinen angegeben. Zum Zeitpunkt der Tat hielt sich Mehmet Turgut illegal in Rostock auf. Kunden des Imbissstands hätten angegeben, „die Bedienungskraft ,Hassan’ war dort seit zwei, drei Wochen tätig“, sagte am Mittwoch im Prozess ein weiterer Polizist aus Rostock.

Ein dritter Kriminalbeamter aus der Stadt berichtete zudem von bizarren Äußerungen des Bruders von Mehmet Turgut. Der Polizist war nach dem Mord mit zwei Kollegen des Bundeskriminalamts in die Türkei gereist, um Yunus Turgut zu befragen. Er sei nicht bereit gewesen, mit der deutschen Polizei zusammenzuarbeiten, sagte der Beamte. Yunus Turgut habe angekündigt, in den Niederlanden Privatdetektive zu engagieren, die den Mord an Mehmet klären sollten. Um die  Detektive bezahlen zu können, habe Yunus Turgut in Deutschland Drogen verkaufen wollen. Im Prozess blieb allerdings offen, wie der Mann dazu kam, ausgerechnet deutschen Ermittlern zu erzählen, in der Bundesrepublik Geschäfte mit Rauschgift zu planen.

Nach den Polizisten schilderte der damalige Betreiber des Imbissstands, Haydar A., wie er den sterbenden Mehmet Turgut fand. „Er lag am Boden, es kam ein Geräusch von ihm“, übersetzte ein Dolmetscher die Sätze des erregt sprechenden Haydar A., „ich  habe mit der Hand an seinen Hals gedrückt, da war Blut, ich habe ihn hochgehoben und zur Tür gezogen und laut um Hilfe gerufen“. Ein Passant alarmierte die Polizei, doch für Mehmet Turgut war es zu spät. „Er war ein armer Junge“, sagte Haydar A. Er bestritt allerdings, Turgut als Hilfskraft beschäftigt zu haben, „er war mein Gast“.

Wie es mit seinem Imbiss weitergegangen sei, wollte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl wissen. „Was ich erlitten habe, weiß nur ich, das Geschäft ist weg“,  sagte A. Er habe den Imbiss aufgegeben „gleich im Anschluss, ich wollte nie wieder zu dieser Stelle“. Dann beklagte sich A. über die Ermittlungen der Polizei, „ich wurde wie ein Beschuldigter behandelt“.

Vielleicht antwortete er deshalb zurückhaltend auf Götzls Frage, ob er sich überlegt habe, die Tat könnte ihm gegolten haben. „Ich habe niemandem etwas angetan“, sagte A. Der Hintergrund von Götzls Frage war A. offenbar nicht klar. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten sich bei der Mordserie an Migranten gezielt Kleinunternehmer ausgesucht. Möglicherweise dachten die beiden Neonazis, Mehmet Turgut sei der Betreiber des Imbissstands. Es könnte sein, dass Haydar A. nur dank eines Irrtums der NSU-Mörder noch lebt.

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