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Wladimir Putin

© dpa

50 Milliarden für frühere Yukos-Aktionäre: Welche Folgen hat das Urteil gegen Russland?

50 Milliarden Dollar muss Russland den ehemaligen Großaktionären des Ölkonzerns Yukos zahlen. Für Wladimir Putin ist das ein herber Rückschlag. Wie begründet der Ständige Schiedsgerichtshof in Den Haag sein Urteil?

Die Summe ist gigantisch: 50 Milliarden Dollar soll Russland an die früheren Großaktionäre des Ölkonzerns Yukos zahlen. Das entschied der Ständige Schiedsgerichtshof in Den Haag, wie am Montag bekannt wurde. Nie zuvor in der Geschichte von Schiedsverfahren wurde Klägern eine so große Summe zugesprochen.

Welche Bedeutung hat ein solches Schiedsverfahren?

Mit dem Schiedsspruch ging im Fall Yukos ein vor neun Jahren begonnenes Verfahren zu Ende. Insgesamt 115 Staaten, darunter auch Russland, haben sich dem Ständigen Schiedsgerichtshof in Den Haag angeschlossen – müssen also seine Urteile akzeptieren. Der Schiedshof wurde bereits im Jahr 1900 errichtet, um Streitfragen zwischen Staaten zu klären. Heute wenden sich auch Unternehmen an den Schiedshof, die gegen Staaten klagen wollen. Zu den Vorteilen eines Schiedsverfahrens gegenüber einem Gerichtsverfahren zählt, dass die Beteiligten die Schiedsrichter mit auswählen dürfen. Im Fall Yukos durften die Kläger einen der Experten auswählen, Russland als beklagtes Land wählte ebenfalls einen Schiedsrichter. Der Vorsitzende des dreiköpfigen Gremiums, ein früherer Botschafter Kanadas bei den UN, wurde vom Haager Schiedshof ernannt. Die drei Richter entschieden einstimmig über die Schadenersatzansprüche der Yukos-Mehrheitseigentümer. Verfahren vor Schiedsgerichten sind nicht öffentlich, daher gingen am Montag die Kläger selbst mit der Entscheidung an die Öffentlichkeit. Die Entscheidungen des Schiedsgerichts sind rechtlich bindend.

Worum ging es in dem Yukos-Verfahren?

Yukos war im Jahr 2003 der größte Ölkonzern Russlands. Das Unternehmen, das seinen Chef Michail Chodorkowski zum reichsten Mann des Landes machte, förderte mehr als eine Million Barrel Öl am Tag. Doch dann wurde Chodorkowski plötzlich auf einem Flughafen in Sibirien festgenommen. Nur wenige Monate zuvor hatte der Firmenchef, der sich zunehmend politisch engagierte und die Opposition unterstützte, bei einem Treffen von Oligarchen mit Wladimir Putin im Kreml dem Präsidenten öffentlich widersprochen und einen stärkeren Kampf gegen die Korruption angemahnt. Im Jahr 2005 wurde Chodorkowski in einem international kritisierten Prozess wegen Betrugs und Steuerhinterziehung verurteilt. Später folgte eine weitere Verurteilung; ihm wurde zur Last gelegt, Einnahmen aus dem Ölgeschäft unterschlagen zu haben.

Parallel zum Verfahren gegen den Firmenchef gingen die Behörden auch gegen den Konzern selbst vor. Der Staat verlangte umgerechnet 27 Milliarden Dollar in Steuernachzahlungen – das war das Ende des Konzerns. Im Dezember 2004 wurde die lukrative Tochterfirma Yugansneftegas versteigert – am Ende der zehnminütigen Auktion bekam die bis dahin völlig unbekannte „Baikalfinans-Gruppe“ den Zuschlag, für nur gut 9 Milliarden Dollar. Jenes obskure Unternehmen wurde bereits einige Tage später vom mehrheitlich durch den Staat kontrollierten Ölkonzern Rosneft übernommen.

Die Kläger warfen dem russischen Staat nun vor, Yukos absichtlich zerschlagen, dessen Vermögen verstaatlicht und sie selbst damit faktisch enteignet zu haben. Dieser Darstellung folgte das Schiedsgericht weitgehend – auch wenn es betonte, die Kläger hätten angesichts der Bemühungen von Yukos um „Steuervermeidung“ mit einer Reaktion des russischen Staates rechnen müssen.

„Das Hauptziel der Russischen Föderation war es nicht, Steuern einzutreiben, sondern Yukos in den Bankrott zu treiben und sich seinen wertvollen Besitz anzueignen“, so das Urteil der drei Schiedsrichter. Die Angriffe gegen Yukos seien „politisch motiviert“ gewesen. Russische Gerichte hätten sich „dem Willen der russischen Behörden gebeugt, Yukos in den Bankrott zu treiben, seinen Besitz einem vom Staat kontrollierten Unternehmen zu übertragen und einen Mann hinter Gitter zu bringen, der erkennen ließ, ein politischer Konkurrent zu werden“.

Chodorkowski profitiert nicht direkt von dem Urteil

Wer sind die Kläger?

Hinter dem Verfahren in Den Haag steht die Holding GML, die aus der Menatep-Gruppe hervorging, der wiederum Yukos mehrheitlich gehörte. Leonid Newslin, ein in Russland geborener Israeli, könnte am meisten von der Entscheidung des Schiedsgerichts profitieren, da er mit etwa 70 Prozent der Hauptanteilseigner von GML ist. Auch Platon Lebedew, der wie Chodorkowski über Jahre im Gefängnis saß und seit Januar wieder frei ist, gehört mit drei weiteren Personen zu den Hauptaktionären. In welcher Weise auch frühere Kleinaktionäre von Yukos nun von dem Schiedsspruch profitieren könnten, ist noch unklar.

Profitiert auch Michail Chodorkowski von dem Urteil?

Chodorkowski gehörte nicht zu den Klägern in Den Haag, weil er keiner der Mehrheitseigner von GML ist. Er soll seine Anteile an Yukos zu Beginn des Verfahrens gegen ihn an seinen Geschäftspartner Newslin übergeben haben. Eine seiner ersten Reisen nach seiner Freilassung führte Chodorkowski nach Israel, wo Newslin heute lebt. Denkbar wäre allerdings, dass Newslin Chodorkowskis Anteile oder einen Teil davon für ihn hielt. Am Montag betonte Chodorkowski allerdings, dass er selbst durch das Urteil keine finanziellen Vorteile habe: „Ich möchte erneut betonen, dass ich nicht eine Partei in diesem Rechtsverfahren bin und auch nicht danach trachte, finanziell von seinem Ausgang zu profitieren.“

Welche Bedeutung hat die Entscheidung?

Der Schiedsspruch zeigt, dass Russland sich trotz des vielfach beklagten Fehlens von Rechtsstaatlichkeit im Land im internationalen Rahmen an gemeinsames Recht halten muss. Grundlage für die Entscheidung des Schiedsgerichts ist ein internationaler Vertrag über eine Energiecharta. Moskau hat diesen Vertrag 1994 unterzeichnet und bis 2009 provisorisch angewandt. Vor dem Schiedsgericht argumentierte Russland, dass der Vertrag nicht anwendbar sei, weil die Duma ihn nicht ratifiziert hatte. Doch dasSchiedsgericht kam bereits 2009 zu dem Ergebnis, dass Russland durch diesen Vertrag rechtlich gebunden war. Der Vertrag soll die Rechtsstaatlichkeit im Energiesektor in den Beziehungen zwischen Investoren und Staaten sichern. Das Urteil von Montag zeigt, dass Russland sich solchen internationalen Vereinbarungen nicht entziehen kann. „Heute ist ein großer Tag für die Rechtsstaatlichkeit“, sagte Emmanuel Gaillard von der Kanzlei Shearman & Sterling, die GML in dem Schiedsverfahren vertrat.

Wie reagiert Russland auf das Urteil?

Der russische Außenminister Lawrow Sergej Lawrow kündigte an, sein Land werde „alle rechtlichen Möglichkeiten“ nutzen, um seine Position zu verteidigen. Der Energiekonzern Rosneft erklärte, das damalige Auktionsverfahren sei „vollständig rechtskonform“ gewesen. Der Kurs von Rosneft verlor am Montag deutlich.

Könnte Russland die Summe bezahlen?

Die russische Wirtschaft entwickelt sich rückläufig, die Haushaltseinnahmen gehen zurück. Die eiserne Reserve, die in Russland „Fonds für nationalen Wohlstand“ heißt und künftige Generationen absichern soll, wenn die Einnahmen aus Rohstoffexporten versiegen, hatten Kreml und Regierung schon 2009, auf dem Höhepunkt der Wirtschafts- und Finanzkrise, geplündert. Derzeit sind dort 87 Milliarden US-Dollar geparkt und weitgehend verplant: für die Integration der Krim, die Erschließung der Arktis oder die Modernisierung der Streitkräfte. Die nun den ehemaligen Yukos-Eigentümern zugesprochene Summe entspricht 75 Prozent der Marktkapitalisierung des Ölkonzerns Rosneft.

Wie geht es jetzt weiter?

Bis Anfang Januar muss Russland mit der Zahlung der Schadenssumme begonnen haben – andernfalls werden ab diesem Zeitpunkt Zinsen fällig. Russland kann vor dem Schiedsgericht selbst keine Berufung einlegen, sondern nur versuchen, das gesamte Verfahren vor einem niederländischen Gericht annullieren zu lassen. Sollte Moskau nicht zahlen, haben die Kläger die Möglichkeit, gerichtlich durchzusetzen, Vermögen des russischen Staates im Ausland beschlagnahmen zu lassen – beispielsweise Flugzeuge von Aeroflot. „Wir glauben, dass wir eine realistische Chance haben, den Schadenersatz auch zu bekommen“, sagte GML-Chef Tim Osborne am Montag in London. „Am Ende werden sie bezahlen.“

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