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Politik: 51. Sudetendeutscher Tag in Nürnberg: Das alljährliche Ritual aus Politik und Folklore der Vertriebenen

Was gehört in der Bundesrepublik seit 51 Jahren zu Pfingsten? Richtig, das Treffen der Sudetendeutschen.

Was gehört in der Bundesrepublik seit 51 Jahren zu Pfingsten? Richtig, das Treffen der Sudetendeutschen. Im Süden Deutschlands kennt jedes Kind das alljährliche Ritual aus Politik und Folklore der Vertriebenen; einst Bürgern der Tschechoslowakei, heute des "vierten Stamms Bayerns". Für die Öffentlichkeit außerhalb des Freistaats steht dieses riesige "Dorffest" aber eher für das Gegenteil der Pfingstbotschaft: für verletzende Rechthaberei und Kompromisslosigkeit - statt für die Überwindung des "destruktiven Dialogs" (ein Begriff des Theologen Gerd Theißen) und Verständigung.

"Vertreibung weltweit ächten" heißt das Motto des diesjährigen Sudetendeutschen Tags in Nürnberg. Gegen den Leitsatz wird sicherlich niemand etwas einwenden, zumal die schrecklichen Fernsehbilder von den "ethnischen Säuberungen" auf dem Balkan noch in frischer Erinnerug sind. Doch das allgemeine Image der deutschen Vertriebenen-Verbände ist negativ: Ewig Gestrige, Störer der guten Beziehungen zu den östlichen Nachbarn, politisch rechtslastig, heißt es fast reflexartig - besonders im linksliberalen Lager.

Dem war es nicht immer so, der Wendepunkt liegt gut 40 Jahre zurück. Die 68er haben nicht nur das politische Denken vom konservativen Muff befreit, sondern zugleich die Vertreibungsopfer außer Acht gelassen und diese zugleich als Verfügungsmasse den Rechten überlassen. Eine neue Einsicht bahnt sich in Deutschland erst unter dem Balkan-Schock an. Das Problem selbstkritisch öffentlich benannt hat als einer der ersten der sozialdemokratische Bundesinnenminister Otto Schily. "Die politische Linke hat in der Vergangenheit ... über die Vertreibungsverbrechen, über das millionenfache Leid, das den Vertreiebenen zugefügt wurde, hinweggesehen, sei es aus Desinteresse, sei es aus Ängstlichkeit vor dem Vorwurf, als Revanchist gescholten zu werden, oder sei es in dem Irrglauben, durch Verschweigen und Verdrängen eher den Weg zu einem Ausgleich mit unseren nachbarn im Osten zu erreichen ... Inzwischen wissen wir, dass wir nur dann, wenn wir den Mut zu einer klaren Sprache aufbringen und der Wahrheit ins Gesicht sehen, die Grundlage für ein gutes und friedliches Zusammenleben finden können", so Schily in einer Rede vor einem Jahr.

Von der neuen Sensibilität zum Abbau von Misstrauen ist aber noch ein weiter Weg. Das zeigten kürzlich Reaktionen auf eine neue Initiative der Sudetendeutschen. In einem "Projekt der humanitären Hilfe für sudetendeutsche Opfer tschechischer Gewalt" meldeten nicht nur die Landsmannschaft, sondern auch die sudetendeutschen Katholiken und Sozialdemokraten zusammen mit Vetretern der heutigen deutschen Minderheit Tschechiens den Wunsch an, auch diese Menschen aus dem Deutsch-tschechischen Zukunftsfonds symbolisch zu entschädigen. Doch bevor der Inhalt des Antrags überhaupt veröffentlicht wurde, schlug diesem eine allgemeine Entrüstung entgegen. "Nur ein taktischer Störmanöver im Vorfeld des sudetendeutschen Pfingsttreffens", lautete das Urteil.

Dabei hätten die Kritiker schon bei der niedrigen Opfer-Zahl stutzig werden müssen: Etwa 2000 noch Lebende sollten maximal 4000 Mark pro Person für Haft und Sklavenarbeit in der damaligen CSR erhalten. Und ließt man die Präambel, wirkt die pauschale Empörung noch kontraproduktiver. Dort heißt es unter einem Hinweis auf die korrekte kausale Reihenfolge: "Mit der Entschädigung tschechischer Opfer nationalsozialistischer Gewalt durch den ... Zukunftsfonds wurde ein wichtiger und richtige Schritt unternommen, die Wunden der Vergangenheit ... zu heilen. Aber auch den Sudetendeutschen wurde durch die Vertreibung ... Unrecht zugefügt. Einer Vielzahl ... wurden ... vor bzw. während der Vertreibung ... gesundheitliche Schäden zugefügt, die bis heute andauern."

Dass auch von dem diesjährigen gigantischen "Böhmischen Dorffest" in Nürnberg mit seinen ritualisierten Reden und Forderungen wenig konkrete Versöhnungsarbeit zu erwarten ist, hat mehrere Gründe. Diese haben aber allesamt eines gemeinsam: den Mangel an Einsicht aller Beteiligten. Und diese Unbeweglichkeit ist auch ritualisiert. In Deutschland herrscht der Glaube vor, dass ungetrübte Beziehungen zu Tschechien allein durch politischen Willen hergestellt werden und dass eine menschliche Solidarität mit den Vertreibungsopfern einem Rückfall in obsoleten Revisionismus gleichkäme. In Tschechien verhindert weiter die Angst vor "den Vorderungen der Vertriebenen" die eigene Trauerarbeit. Das Misstrauen zwischen den Sudetendeutschen und den Tschechen bleibt, weil beide Seiten sich jeweils fast ausschließlich als Opfer und nicht als Täter sehen. Daran wird auch der Generationswechsel in der Führung der Sudetendeutschen Landsmannschaft bei dem Nürnberger Treffen vorerst nichts ändern können. Bernd Posselt, einer der jüngeren christsozialen Europaparlamentarier, der das Amt von dem "Falken" aus der Erlebnisgeneration, Franz Neubauer, offiziell übernimmt, müsste erst die Mauern in den Köpfen abbauen. Der künftige neue Sprecher der Landsmannschat, der bayerische Landtagspräsident Johann Böhm, lehnte am Freitag einen Verzicht auf Eigentumsrechte der Vertriebenen in Tschechien ab und forderte eine "Widergutmachung". Das Pfingstwunder wird weiter auf sich warten lassen.

Alexander Loesch

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