zum Hauptinhalt
Volkspolizisten und Arbeiter der DDR errichten die Mauer im Norden Berlins an der Grenze zum westberliner Bezirk Reinickendorf.

© picture alliance / dpa

55 Jahre Mauerbau: Die Schatten der Teilung vom 13. August 1961

Was bis heute, mehr als 25 Jahre nach der Wiedervereinigung, nachwirkt, ist die unterschiedliche Entwicklung, die die mit Gewalt voneinander getrennten Teile Deutschlands nahmen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Es gehört zu den Selbstschutzreflexen der meisten Menschen, dass sie beim Rückblick auf ihr eigenes Leben dessen positive Phasen als dominierend empfinden. Aber gerade nach Zeiten von Diktatur und Gewalt überdeckt das oft nur die uneingestandenen Traumata, unter denen viele, nach Jahren des Unrechtes, Schreckens und der geraubten Freiheit, leiden.

Das ging Überlebenden des Bombenterrors des Zweiten Weltkriegs so wie denen, die aus den Konzentrationslagern befreit wurden, oder Soldaten, die noch einmal davongekommen waren. Und so legen sich, auch wenn darüber kaum geredet wird, 55 Jahre nach dem Bau der Mauer und nahezu 27 Jahre nach ihrem Fall, Schatten über die Psyche derer, die in der Zeit zwischen dem 13. August 1961 und dem 9. November 1989 auf der östlichen Seite dieses monströsen Bauwerks leben mussten.

Das betrifft nicht nur die Familien, denen geliebte Menschen durch Tod, Unfall oder Mord bei Fluchtversuchen entrissen wurden, sondern auch die vielen Tausend, Zehntausend, deren berufliche Entwicklung blockiert oder deren privates Glück zerstört wurde, weil sie nicht so dachten, wie die Machthaber vorgaben. Im Rückblick ist es nur für Historiker wichtig, ob Chruschtschow oder Ulbricht den entscheidenden Impuls zum Mauerbau gab. Gerhard Wettig, Manfred Wilke und Hope Harrison deuten die Akten bis heute unterschiedlich.

Unstrittig ist, dass der Staat DDR durch die Massenflucht seiner Bürger im Sommer 1961 am Zusammenbruch war. Alleine im Juli hatten sich mehr als 30.000 Ostdeutsche in den westlichen Notaufnahmelagern gemeldet. Mit dem Bau der Mauer stabilisierte sich das Gewaltregime der SED langsam, weil den Menschen nichts anderes blieb, als sich mit den Verhältnissen zu arrangieren. Adornos These, dass es nichts Richtiges im Falschen gebe, erwies sich in der Realität als das, was sie war: philosophischer Ansatz, Theorie. Natürlich konnte man in der DDR ein, wenn auch im Rahmen, selbstbestimmtes, vor allem aber anständiges Leben führen, so, wie man im Westen mit all seinen Freiheiten ein Lump sein konnte.

Nur die Kirchen verbanden die beiden Seiten der geteilten Nation

Was bis heute, mehr als ein Vierteljahrhundert nach der staatlichen Wiedervereinigung, nachwirkt, ist die völlig unterschiedliche Entwicklung, die die im August 1961 mit Gewalt voneinander getrennten Teile Deutschlands von da an nahmen. Die Menschen im Westen, nicht nur symbolisch mit dem Rücken zum Osten, orientierten sich Richtung Europa und träumten nicht von der Einheit, sondern von Urlauben in Frankreich oder Italien.

Den Deutschen im Osten wurde zwar, nicht zuletzt durch die Medien, immer schmerzlicher bewusst, wie der Wohlstand und die soziale Freiheit in der Bundesrepublik ständig wuchsen, obwohl die Propagandasendungen eines Karl-Eduard von Schnitzler den Eindruck vom kontinuierlichen Verfall jenseits der Mauer zu verbreiten suchten. Aber auch in Leipzig, Rostock und Magdeburg waren die Menschen realistisch genug, sich auf ein Leben im politischen, technologischen und kulturellen Verbund der sozialistischen Staaten einzurichten.

Die einzige Institution, welche die beiden Seiten der geteilten Nation über die Jahrzehnte hinweg verband, waren die Kirchen. Ihre Vertreter hielten die Kontakte über die Grenze hinweg zum größten Missfallen der SED immer lebendig, und so war es dann auch kein Wunder (oder eben doch), dass sich in den Kirchen das Aufbegehren gegen staatliche Willkür sammeln und am Ende erfolgreich artikulieren konnte.

55 Jahre nach dem Bau der Mauer und fast 27 Jahre nach ihrem Fall haben die Deutschen wohl gelernt, sich gegenseitig anzunehmen und Vergangenheit dennoch nicht zu verdrängen. Anders als nach 1945, wo Geschichte lange beschwiegen wurde, haben wir sie uns diesmal vergegenwärtigt. Die Zeit heilt nicht alle Wunden, aber Wunden heilen besser, wenn man sie behandelt – und wenn man über sie spricht. Dann schwinden auch irgendwann die Schatten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false