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Sind die transatlantischen Beziehungen noch eine glückliche Ehe? Angela Merkel und Donald Trump

© Michael Kappeler/dpa

70 Jahre Marshall-Plan: "Ich glaube nicht, dass Merkel Anführerin des Westens sein will"

Erleben wir 70 Jahre nach dem Marshall-Plan eine völlige Neuordnung der transatlantischen Beziehungen? Ein Gespräch mit der ehemaligen Obama-Beraterin Karen Donfried, über Trump, Merkel und die Chef-der-Welt-Frage.

Von Anna Sauerbrey

Frau Donfried, Angela Merkel hat Ende Mai nach Begegnungen mit Donald Trump bei einem Nato-Treffen in Brüssel und beim G7-Gipfel in Taormina einen Satz gesagt, der viel Aufmerksamkeit erregt hat. Sie sagte, Deutschland könne sich nicht mehr auf andere verlassen und meinte damit die USA. Sie sagte, Europa müsse sein Schicksal in die eigene Hand nehmen. Ihre Aussagen wurden teilweise mit einer Aufkündigung der transatlantischen Freundschaft gleichgesetzt. Was ist Ihre Interpretation?

Ich habe am Montagmorgen danach meine Zeitungen von den Treppenstufen vor meinem Haus geholt und sowohl die New York Times als auch die Washington Post hatten Artikel über die Bierzeltrede von Angela Merkel auf der Seite eins. Doch mit kam es gleich etwas merkwürdig vor, dass Kanzlerin Angela Merkel eine strategische außenpolitische Wende bei einer Wahlkampfveranstaltung in einem Bierzelt in Bayern verkündet haben sollte. Ich habe mir die Rede auf Youtube angeschaut und fand, es war eine sehr verworrene Formulierung. Der Kontext hingegen war ganz klar die Forderung, Europa müsse eigenständiger werden. Und das unterscheidet sich nicht wirklich von dem, was sie schon zuvor gesagt hat. Sie hat ja seit der Wahl von Donald Trump stets eine gewisse Distanz gewahrt, ich erinnere nur an ihr Glückwunschschreiben, in dem es hieß, eine Zusammenarbeit sei möglich – auf Basis der gemeinsamen Werte. Meine Interpretation war, dass das eher eine Botschaft an das deutsche Publikum war. Ich sehe Angela Merkel als überzeugte Transatlantikerin und ich glaube nicht, dass sich das geändert hat. Das heißt aber nicht, dass sie Trump nicht mit Sorge sieht, sie war nach dem Nato-Treffen sicher sehr frustriert – und das hat sie öffentlich gesagt.

Aber selbst das ist doch ein Vorgang: Die deutsche Kanzlerin gibt öffentlich bekannt, dass sie dem amerikanischen Präsidenten nicht vertraut. Am Mittwoch feiert der German Marshall Fund of the United States gemeinsam mit Angela Merkel und Henry Kissinger das Jubiläum des Marshall-Plans. Ist 2017, 70 Jahre nachdem der Marshall Plan durch den amerikanischen Außenminister George C. Marshall vorgestellt wurde, die transatlantische Ehe in Gefahr?

Ich denke, dass wir in einer sehr schwierigen Phase sind. Die Differenzen zwischen Angela Merkel und Donald Trump beziehen sich ja nicht nur auf einzelne Politikfelder. Die Kanzlerin und der Präsident sind grundlegend unterschiedlicher Meinung über die Natur der transatlantischen Beziehungen. Es gibt keinen klaren Konsens mehr, ob ein vereintes Europa in der Form der Europäischen Union noch im Interesse beider Seiten, der Europäer und der USA, ist. Das ist eine Herausforderung. Dennoch glaube ich nicht, dass sich die deutsch-amerikanischen Beziehungen strukturell wandeln. Ich sehe das eher als vorübergehende Veränderung, bedingt durch diesen Präsidenten und seine Regierung. Deshalb ist die eigentliche Frage aus meiner Sicht: Wie kann man diese Phase gestalten?

Engagiert für die transatlantischen Beziehungen. Karen Donfried, ehemals Obamas wichtigste Beraterin in Europa-Fragen, heute Präsidentin des German Marshall Fund of the United States, beim Körber History Forum in Berlin am 17. Juni.
Engagiert für die transatlantischen Beziehungen. Karen Donfried, ehemals Obamas wichtigste Beraterin in Europa-Fragen, heute Präsidentin des German Marshall Fund of the United States, beim Körber History Forum in Berlin am 17. Juni.

© Körber Stiftung / David Ausserhofer

Wie kann man diese Phase gestalten?

Es gibt wahrscheinlich einige Themen, über die man im Moment einfach konstruktiv nicht reden kann: Präsident Trump hat eine Entscheidung in der Klimapolitik getroffen (als er ankündigte, aus dem Pariser Klimaschutzabkommen auszusteigen, Anm. d. Red.) und dabei wird er bleiben. Dennoch heißt das nicht, dass der transatlantische Dialog zum Thema Klima ganz abbricht, denn eine ganze Reihe amerikanischer Bundestaaten haben sich zum Klimaabkommen bekannt. Über andere Themen wiederum kann man auch mit Washington sehr wohl reden. Angela Merkel hatte bei ihrem Besuch im März konstruktive Gespräche über Investitionen geführt und über das deutsche Berufsbildungsmodell, an dem die Amerikaner sehr interessiert sind. Und selbst was die Nato betrifft: Ich weiß, dass die Europäer sehr enttäuscht waren, dass Trump sich beim Nato-Treffen nicht zur Beistandsklausel, zum Artikel 5 der Nato-Verträge, bekannt hat. Mittlerweile hat er das sogar öffentlich gesagt, und damit deckt sich die Verbalpolitik Trumps auch wieder mit dem, was die USA ohnehin die ganze Zeit praktisch tun: Sie unterstützen Europa militärisch, zum Beispiel im Rahmen der European Reassurance Initiative, der Truppenverlegung nach Osteuropa in der Folge der illegalen Krim-Annexion, die ganz wesentlich von den USA getragen wird.

Nach dem Brexit-Referendum und nach der Wahl von Donald Trump schrieb die New York Times über Angela Merkel, sie sei nun möglicherweise die letzte Verteidigerin des liberalen Westens. Ihr wird teilweise sogar die Rolle der Anführerin der westlichen Welt zugeschrieben. Trifft das aus Ihrer Sicht zu?

Ich glaube nicht, dass Angela Merkel das will. Und wenn sie diese Rolle nicht will, wird sie die auch nicht spielen. Angela Merkel ist überzeugt, dass deutsche Außenpolitik besser ist, wenn Deutschland mit anderen kooperiert. Deutschland hat Führungsqualitäten, weil es die Fähigkeit hat, Koalitionen zu bestimmen politischen Fragen zu schmieden. Denken sie nur an die Ukraine-Krise 2014. Angela Merkel hat Europa in dieser Krise angeführt - in der Sanktionspolitik gegen Russland, die sie mit den USA koordiniert hat.

Angela Merkel versucht sich auch als G20-Präsidentin vor dem Gipfel am 7. Und 8. Juli als Organisatorin von Koalitionen, zum Beispiel für ein Bekenntnis zum Klimaschutz und den Freihandel. Bei welchen Fragen könnte es denn auf dem G20-Gipfel eine von Deutschland herbeigeführte Einigung geben?

Beim Klima wird es schwierig, auch in Handelsfragen. Alle Regierungen loten derzeit aus, wo es überhaupt Themen gibt, bei denen alle auf einen Nenner gebracht werden können. Die Regierung von Angela Merkel versucht zum Beispiel, eine Einigung beim Thema Frauenrechte herzustellen. Es wird interessant zu sehen, ob es bei Themen wie dem Klimaschutz, bei denen die Amerikaner die Außenseiter sind, eine gemeinsame Erklärung der übrigen 19 geben wird. Das wäre etwas völlig Neues.

Deutsche Medien berichteten kürzlich, dass einige wichtige Länder wie Kanada Angela Merkel für eine solche Erklärung der 19 abgesagt haben – um sich nicht zu stark auf Konfrontationskurs zu Trump zu begeben.

Ja, es wird sehr schwierig. Ich persönlich erwarte eher keine Erfolge in den komplizierten Politikfeldern Klimaschutz oder Außenhandelsungleichgewichte.

Deutschland, aber auch Europa insgesamt, fehlt neben der „Soft Power“ als Koordinator, Verhandlungsführer und Geldgeber die militärische Stärke der Supermächte. Kann Europa, kann Deutschland, trotzdem internationale Bedeutung hinzugewinnen?

Ich persönlich glaube, „Soft Power“ kann sehr viel bewirken – aber nicht allein. Für die USA haben wir auch den Begriff „Smart Power“, weil sie Soft Power und militärische Macht vereinen. In Europa scheint es hier eine Wende zu geben. Die europäischen Staaten haben nach dem Kalten Krieg weniger ausgegeben, aber seit 2014, seit dem Nato-Gipfel von Wales und seit der illegalen Annexion der Krim, steigen die Ausgaben wieder. Deutschland ist ein reiches Land und könnte hier viel beitragen. Es ist wichtig, dass Deutschland und Europa verstehen, dass das in ihrem ureigenen Interesse ist, dass sie es nicht für die USA tun.

Also hat Trump Recht, wenn er die Europäer zu höheren Verteidigungsausgaben drängt?

Die USA können einfach nicht für 75 Prozent der Verteidigungsausgaben der Nato aufkommen. Jetzt ist der Moment gekommen, in dem Europa für sich selbst Verantwortung übernehmen muss – auch militärisch. Ich bin überzeugt, dass die gemeinsame Verteidigung eines der ersten Politikfelder sein wird, bei dem Deutschland und Frankreich unter der neu belebten deutsch-französischen Achse mit Emmanuel Macron Reformschritte einleiten werden – und das finde ich richtig so.

Wie stabil ist denn die europäische Union aus Ihrer Sicht heute – nun, das Großbritannien die EU verlässt und viele osteuropäische Länder populistische Regierungen haben?

Kürzlich hat Donald Trump gesagt: Die EU macht sich besser als ich dachte. Und das ist tatsächlich so: Die EU macht sich besser, als viele dachten.

Die Welt wird zunehmend multipolar. Immer wieder ergeben sich wechselnde Koalitionen. Allein in den letzten Wochen haben wir gesehen, wie die USA sich mit China gegen Nordkorea absprechen, die Europäer mit China gegen die USA in Klimafragen und die USA mit den Europäern gegen China in Sachen Währungsmanipulation. Ist die transatlantische Achse 70 Jahre, nachdem der Marshall-Plan verabschiedet wurde, wirklich noch so zentral?

Es mag hier und da wechselnde taktische Koalitionen geben – aber das ändern nichts daran, dass „den Westen“ etwas eint, nämlich eine tiefe und übereinstimmende Überzeugung, wie die internationale Ordnung auszusehen hat. Der Kern der Marschall-Plan-Idee war ja die Überzeugung, dass es eine internationale Ordnung geben sollte, die demokratisch ist, die auf freie Märkte setzt, auf Rechtstaatlichkeit und die Grundrechte jedes Einzelnen. Das waren die Werte, die Europa und die USA mit Japan, Australien, Kanada in der Nachkriegszeit zusammenband. Bis heute ist das der Unterschied zu Russland und China. Diese Weltordnung, die westliche Weltordnung, ist sehr wertvoll.

Aber läuft dieser Wertekonsens nicht Gefahr, ein historisch-nostalgisches Narrativ zu werden? Trump selbst stellt zentrale gemeinsame Werte in Frage. Er hält nichts von freiem Handel und er hat mit dem pauschalen Einreiseverbot für Menschen aus sieben muslimisch geprägten Ländern Menschen aufgrund ihrer Religion pauschal diskriminiert.

Natürlich darf die transatlantische Partnerschaft nicht auf Nostalgie basieren. Wir müssen in die Zukunft blicken. Wir müssen für diese Weltordnung kämpfen – und die USA sind dafür derzeit ein sehr gutes Beispiel. Eine lebendige Demokratie lebt von der Gewaltenteilung und einer freie Presse, die der Regierung unangenehmen Fragen stellt. Sie hat eine Justiz, die Verordnungen eines Präsidenten außer Kraft setzt, wenn es diese Verordnungen für nicht verfassungskonform hält. Das passiert ja in den USA – deshalb ist der Wertekonsens des Westens alles andere als bloße Nostalgie. Aber es stimmt: Wir haben die Weltordnung, wie sie ist, 70 Jahre lang für selbstverständlich gehalten. Doch gerade jetzt, wo unsere Weltordnung in Frage gestellt wird, können wir auch sehen, dass sie echt ist.

Wir nehmen Trump immer als radikale Neuerung wahr. Aber hat der Wandel im transatlantischen Verhältnis nicht schon früher begonnen – mit Obama, dessen wichtigste Europa-Beraterin sie waren, bevor sie 2014 Präsidentin des German Marshall Fund wurden. Schon 2012 war Europa ja sehr aufgeregt und hatte Angst, von den USA allein gelassen zu werden, als Obama eine strategische Neuausrichtung seiner Außenpolitik mit stärkerem Fokus auf Ostasien verkündete…

Ich würde sagen, das waren politische Differenzen, nicht Unterschiede in der Sichtweise des transatlantischen Verhältnisses. Obamas Politik war ja auch keineswegs als ein Abwenden von Europa gemeint, das ist missverstanden worden. Ich habe schon damals gedacht, die Europäer hätten Obamas Asienpolitik eigentlich begrüßen müssen – weil es auch im europäischen Interesse ist, die aufstrebende Macht China einzubinden. Wahrscheinlich könnte man aus heutiger Perspektive sogar feststellen, dass die Europäer sich seitdem vielmehr Asien zugwendet haben als die USA. Obama schätzte Europa sehr und arbeitet sehr eng mit den Europäern zusammen.

Aber er misstraute den Europäern doch offensichtlich auch. Durch die Snowden-Dokumente und andere Enthüllungen wissen wir, dass Amerika europäische Regierungen abhörte – auch Angela Merkel. Ihr eigener Name wurde 2015 in Deutschland relativ bekannt, weil Email-Verkehr zwischen Ihnen und Merkels außenpolitischem Berater Christoph Heusgen an die Öffentlichkeit gelangte, der zeigte, dass die Amerikaner das No-Spy-Abkommen zwischen Deutschland und den USA ablehnten, das sich die Deutschen wünschten.

Ich werde das nicht im Detail kommentieren. Vertrauliche Gespräche sollten vertraulich bleiben. Nur zwei Dinge dazu: Die USA haben mit keinem Land der Welt No-Spy-Abkommen abgeschlossen. Das war also keine Politik, die sich gegen Deutschland im Besonderen richtete. Zweitens ist die Geheimdienstzusammenarbeit der USA mit Deutschland unglaublich eng. Und ich bin tief überzeugt, dass es eine Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen ist. Den Amerikanern liegt die deutsche Sicherheit am Herzen – und versucht alles, was möglich ist, um einen Terroranschlag auf deutschem Boden zu verhindern. Die Obama-Regierung hat die Snowden-Enthüllungen darüber hinaus sehr ernst genommen und hat 2014 einiges an seiner Politik geändert. Das war kein Ausdruck der Herabsetzung.

Karen Donfried ist seit 2014 Präsidentin des German Marshall Fund of the United States. Zuvor war sie in verschiedenen außenpolitischen Funktionen für die amerikanische Regierung tätig, zuletzt als Mitglied des National Security Council und Barack Obamas Chefberaterin für Europa. Sie ist derzeit anlässlich des 70. Jahrestages des Marshall-Plans in Berlin und hat dort unter anderem beim Körber History Forum die Frage diskutiert, wer heute die Welt ordnet. Einen Video-Mitschnitt des Panels finden Sie hier.

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