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SPD-Chef Sigmar Gabriel stieß überraschend dazu, als die Abgeordneten über Rot-Rot-Grün berieten (Archivbild).

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Update

90 Abgeordnete beraten Projekt R2G: Rot-Rot-Grün - das Risikospiel

Am Dienstagabend trafen sich 90 Abgeordnete von SPD, Grünen und Linken. Sie wollten ausloten, ob ein Bündnis möglich ist. Überraschend kam auch Gabriel dazu. Wie sind die Chancen? Eine Analyse.

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Mit Kanzlerkandidaten, die ohne eine Machtperspektive in den Bundestagswahlkampf ziehen, hat die SPD schlechte Erfahrungen gemacht. Frank-Walter Steinmeier konnte 2009 nicht überzeugend beantworten, welche Bündnispartner ihn denn zum Kanzler wählen sollten – und wurde auch deshalb mit dem schlechtesten SPD-Ergebnis aller Zeiten (23 Prozent) bestraft. Nicht viel besser erging es vier Jahre später Peer Steinbrück, der bis zum Schluss seiner glücklosen Kampagne für eine Koalition mit den Grünen trommelte, für die es in Umfragen längst keine Mehrheit mehr gab. Sein Ergebnis: 25,7 Prozent.

Weder Steinmeier noch Steinbrück kamen auf die Idee, ihr Heil bei der Linkspartei zu suchen. Die Partei Oskar Lafontaines und Gregor Gysis war für die meisten Sozialdemokraten damals als Mehrheitsbeschaffer tabu. Und heute?

Formal hat die SPD längst die Voraussetzungen geschaffen für Rot-Rot-Grün. Nach Steinbrücks Niederlage öffnete sie sich per Parteitagsbeschluss grundsätzlich für Koalitionen mit der Linkspartei. Doch erst jetzt, knapp ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl, forcieren die Freunde des Projekts „R2G“ (zwei Mal Rot, ein Mal Grün) mit Rückendeckung der SPD-Partei- und Fraktionsführung den Annäherungsprozess. Am Dienstagabend trafen sich im Bundestag ganz offiziell rund 90 Abgeordnete der drei Parteien zum „Trialog“, um Grundlagen für eine Zusammenarbeit auszuloten.

Überraschend stieß am Abend SPD-Chef Sigmar Gabriel dazu. Er habe das Eingangsreferat des Philosophen Oskar Negt verfolgt und habe die Versammlung vor Beginn der Aussprache wieder verlassen, berichteten Teilnehmer am Dienstagabend gegenüber Reuters. Bislang haben sich die Partei- und Fraktionsspitzen an diesen Gesprächen nicht beteiligt.

Kritik kam von der Union. „Jetzt weiß es jeder: das Ziel ist eine linke Republik mit Rot-Rot-Grün“, sagte CSU-Generalsekretär Scheuer der Deutschen Presse-Agentur. „Diese Linksfront würde Deutschland massiv schaden.“ Sein CDU-Kollege Peter Tauber sagte, ein rot-rot-grün regiertes Deutschland wäre ein „Stabilitätsrisiko für Europa und die Welt“.

Rot. Grün. Rot.
Rot. Grün. Rot.

© picture alliance / dpa

SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer schwärmte schon vorher von einem „quantitativ und qualitativ neuen Schritt“ auf dem Weg zu einer Mehrheit jenseits der Union.

Doch ob die SPD auf diesem Weg zum Ziel gelangen und den nächsten Kanzler stellen kann, ist fraglich. Denn für Rot- Rot-Grün fehlt laut Umfragen im Moment nicht nur eine Mehrheit, das Projekt „R2G“ ist auch noch hoch riskant.

Risiko eins: Kaum zu vereinbarende Ziele

Vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik, aber auch in der Sozialpolitik liegen tiefe Gräben zwischen SPD und Grünen auf der einen, der Linkspartei auf der anderen Seite. Die Linke will raus aus der Nato und hat bislang noch gegen jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr gestimmt. Gibt sie diese Position auf, verliert sie ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal im Parteiensystem. Bleibt sie hart, kommt Rot-Rot-Grün nicht zustande. Das haben SPD und Grüne unwiderruflich klargemacht.

Schwer zu überbrücken sind auch die Differenzen in der Sozialpolitik, sollte die Linke auf die Rückabwicklung der Hartz IV-Reformen beharren. Auch werfen SPD und Grüne der Linken vor, ihre Forderungen seien schlechterdings nicht zu finanzieren. Allerdings könnten sich alle drei Parteien leicht auf die Einführung einer Bürgerversicherung im Gesundheitswesen und auf eine Rentenpolitik einigen, die Pensionäre vor Kürzungen bewahrt. SPD-Vize Ralf Stegner appellierte kürzlich an die Linke, sich nicht an den Reformen der Vergangenheit abzuarbeiten, sondern den Blick auf die Zukunft zu richten.

Im Gegensatz zur Diktatur kann, ja muss sogar, jeder Demokrat mit jedem Demokraten reden und eventuell koalieren können. Und das ist gut so für unser Land, auch wenn dem einen oder anderen nicht passt, was dabei raus kommt.

schreibt NutzerIn ubbu

Risiko zwei: Unzuverlässige Partner

Aus SPD-Sicht sind vor allem die Grünen ein Unsicherheitsfaktor. Die Ökopartei hält sich mit ihrem „Kurs der Selbstständigkeit“ alle Regierungsoptionen offen. Der eine Teil der Partei favorisiert Rot-Rot-Grün, der andere träumt vom schwarz-grünen Bündnis mit Kanzlerin Angela Merkel. Wer sich am Ende durchsetzt, ist für die Sozialdemokratie nicht kalkulierbar und auch schwer zu beeinflussen. Die Linkspartei dagegen hat keine andere Machtoption als Rot-Rot- Grün. Sie muss die Frage beantworten, ob sie regieren oder weiter nur opponieren will. Die Frage ist auch, wer für die Linke nach der Wahl im Bundestag sitzen wird. Bei knappen Mehrheiten wäre ein SPD-Kanzler womöglich von einigen linksfundamentalistischen Parlamentariern abhängig. Selbst Fans von R2G in der SPD halten das nicht für machbar.

Risiko drei: Lagerwahlkampf

Rot-Rot-Grün ist bei den Deutschen nicht populär: Nur für eine Minderheit von acht Prozent ist diese Koalition laut ZDF-Politbarometer erste Wahl. Die SPD fürchtet deshalb, in einem Lagerwahlkampf von der Union an die Wand gedrückt zu werden. Der Widerwille gegen eine Beteiligung der Ex-Kommunisten an der Macht könnte gerade Konservative in die Wahllokale treiben. Auch deshalb warnten im SPD-Vorstand am Montag viele Genossen davor, den „Trialog“ zum Auftakt eines politischen Projekts der SPD hochzureden.

Außerdem ist Rot-Rot-Grün auch in der SPD selbst umstritten. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft will ihre Landtagswahl im Mai 2017 gewinnen – und die Linke möglichst kleinhalten. Debatten über Rot-Rot-Grün hält sie für Gift im Wahlkampf. Als Parteichef Sigmar Gabriel im Sommer die Bündnisfähigkeit „progressiver Kräfte“ anmahnte, wies ihn Kraft indirekt zurecht: Die Linke sei „weder regierungsfähig noch regierungswillig“.

Die Runde in der Bar "Aufsturz"

Gabriel und der SPD-Führung sind diese Risiken bewusst. Doch gleichzeitig wissen sie, dass sie die Tür für Rot-Rot-Grün mehr als einen Spalt weit offenhalten müssen, wenn sie 2017 eine Chance haben wollen. Denn nichts schreckt SPD-Anhänger und -Wahlkämpfer mehr als die Aussicht auf eine Verlängerung der großen Koalition. Wenn der Eindruck entstehe, die SPD wolle mit der Union als Partner weitermachen, könne sie im Wahlkampf „gleich Schlaftabletten verteilen“, warnt Parteivize Ralf Stegner.

Wie wichtig Gabriel selbst der Signalcharakter des "Trialogs" ist, zeigte sich daran, dass er überraschend bei der Veranstaltung im Bundestag auftauchte. Ein ursprünglich geplantes gesondertes Treffen von ihm am gleichen Abend mit Politikern von Linken und Grünen im Berliner Lokal "Aufsturz“ im Bezirk Mitte sagte er dagegen ab. Vielleicht war allein dessen Namen zu brisant, denn im "Aufsturz" darin steckt beides: Aufbruch und Absturz. 

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