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Politik: Aber wer kümmert sich um die Eltern?

Beim Kita-Streik geht es um mehr Licht am Arbeitsplatz und bessere Qualifizierung der Erzieher – Berufstätige haben das Nachsehen

Berlin - Nach wochenlanger Belastungsprobe ist für die vom Kita-Streik geplagten Familien wieder Hoffnung in Sicht: Am Dienstag wollen die Gewerkschaften und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) ihre Gespräche wieder aufnehmen. Verdi und GEW fordern weiterhin einen Gesundheitstarifvertrag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Einstufung in eine höhere Entgeltgruppe für Erzieher. Allerdings drohen sie, den Streik wieder aufzunehmen, falls die Verhandlungen erneut scheitern. Verdi betont, wenn nötig auch „bis zur Sommerpause durchhalten“ zu können. „Die Mittel dazu haben wir“, heißt es. Ein solches Durchhaltevermögen kann von den berufstätigen Eltern nicht verlangt werden. Schließlich müssen sie sich vor verschlossenen Kita-Türen fragen, wer denn jetzt auf ihre Kinder aufpasst.

Von den Streiks ausgenommen ist nur Berlin, aufgrund seines 2003 mit den Gewerkschaften geschlossenen Solidarpaktes zur Sanierung des maroden Etats. Zudem hatte man sich in der Hauptstadt bereits 2008 nach einem monatelangen Tarifstreit im öffentlichen Dienst auf eine Gehaltserhöhung verständigt. Von den Streiks ebenfalls nicht betroffen sind bundesweit alle Kitas der freien Träger – das sind immerhin zwei Drittel aller Kindertagesstätten. Wie die Gewerkschaften weisen aber auch Wohlfahrtsverbände und Kirchen auf Defizite im Kita-Alltag hin. Der Paritätische Wohlfahrtsverband und die Diakonie haben gemeinsam mit der GEW im Mai eine Studie veröffentlicht, die von einer ungünstigen „Fachkraft-Kind-Relation“ in der Mehrzahl der Bundesländer ausgeht. Werden Unter-Dreijährige in Gruppen von über vier Kindern betreut, kann deren Wohlbefinden nicht mehr garantiert werden, so die Theorie der Autoren von der Alice-Salomon-Hochschule Berlin, die sich damit auf den „Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme“ der Bertelsmann-Stiftung berufen.

Einem wissenschaftlich ermittelten Mindeststandard (Betreuungsrelation eins zu sieben für Zwei- bis Dreijährige) kommen nur elf Bundesländer nach, bei jüngeren Kindern ist die Lage schlechter. Die Ursache sehen die Autoren unter anderem in der uneindeutigen Aufgabenverteilung. Es gebe schlicht zu wenig Fachkräfte, die für Verwaltung, Evaluation oder Elternberatung zuständig sind. Diese Aufgaben müssten von den Erziehern häufig nebenbei erledigt werden, was sich negativ auf die Gruppengröße auswirke. Zudem hält Professorin Susanne Viernickel es für sinnvoll, die Ausbildung der Erzieher mehr und mehr in die Hand von Hochschulen zu legen, um das Qualifikations- und Gehaltsniveau in den Kitas schrittweise zu verbessern.

Um eine Anhebung des Niveaus in Kindertagesstätten geht es auch den Gewerkschaften. Atmosphärisch und technisch sollen die Kitas auf den letzten Stand gebracht werden. Verdi-Sprecher Günter Isemeyer hat konkrete Beispiele, wenn es darum geht, Gesundheitsrisiken für Erzieher zu benennen. Das gehe schon bei den Stühlen los, auf denen man sich den Rücken ruiniere. Auch falsches Licht könne „krank machen“, hier bestehe ebenfalls Verbesserungsbedarf. Auch Norbert Hocke von der GEW betont, dass über den Gesundheitsschutz der Erzieher schon seit mehr als zwölf Jahren diskutiert werde – nur passiert sei noch nichts.

Während die Gewerkschaften also um das Wohl der Angestellten ringen, geht es der Wissenschaft um das Wohl des Kindes. Doch wer kümmert sich in der Streikphase um die Belange der Eltern? Vor allem die Berufstätigen unter ihnen sind auf den reibungslosen Betreuungsbetrieb angewiesen. Zwar betonen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter ihr Verständnis für den wachsenden Unmut der Eltern. So kündigten die Gewerkschaften an, man werde jetzt von flächendeckenden Streiks abrücken und diese auf regionale Schwerpunkte begrenzen, um zur Entlastung der berufstätigen Mütter und Väter beizutragen. Außerdem würden Eltern von einem Gesundheitstarifvertrag insoweit profitieren, als die Ausfallzeiten durch Krankheit der Erzieher erheblich zurückgehen würden. Eine bessere Betreuung der Kinder wäre so in Zukunft gewährleistet. Das hilft jedoch den Eltern in den bestreikten Regionen wenig. Zu welchen Aktionen der sich so anstauende Frust führen kann, zeigte sich beispielsweise in Köln. Dort besetzten wütende Eltern zusammen mit ihren Kindern vorübergehend das Rathaus und verwandelten es in eine „Not-Kita“.

Sven Bischoff, Cosima Stawenow

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