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Der Reichstag.

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Abgeordnete und Lobbyismus: Wer den Verhaltenskodex für Parlamentarier stützt - und wer nicht

Nebeneinkünfte, Lobbykontakte, Dienstreisen, Einladungen: 43 Parlamentarier haben sich einer Transparenz-Initiative des SPD-Abgeordneten Marco Bülow angeschlossen. Von CDU und CSU ist bisher keiner dabei.

Selbst Edelgard Bulmahn kennt nicht alle Lobbyisten im Deutschen Bundestag. Und das, obwohl sie seit 28 Jahren als Abgeordnete der SPD im Parlament sitzt. Unter Gerhard Schröder war sie sogar Bildungsministerin. Heute sagt Bulmahn: „Hier im Bundestag begegnen wir regelmäßig Vertretern von Verbänden oder Kanzleien, bei denen nicht immer gleich klar ist, ob es sich um Lobbyorganisationen handelt.“ Zwar gehört für die Sozialdemokratin Lobbyarbeit zu einer modernen Demokratie. Allerdings steht für sie genauso fest: Transparenz muss sein.

Gemeinsam mit 42 weiteren Parlamentariern unterstützt Bulmahn daher den von SPD-Mann Marco Bülow und dem Grünen-Abgeordneten Gerhard Schick initiierten „Verhaltenskodex für Abgeordnete“. Gut zwei Jahre gibt es ihn nun. Und wer ihn unterschreibt, der kann von sich sagen, er sei ein transparenter Volksvertreter, ja ein gläserner Abgeordneter.

Die Forderungen der Transparenzvereinbarung sind weitreichend: Die Abgeordneten verzichten mit ihrer Unterschrift darauf, parallel zu ihrer Tätigkeit im Bundestag einen Nebenberuf auszuüben, der ihr politisches Fachgebiet betrifft. Auch schließen sie aus, in den drei Jahren nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag einen Lobby-Job anzunehmen. Darüber hinaus verpflichten sich die Politiker dazu, ihre Kontakte zu Lobbyisten offenzulegen und Dienstreisen ins Ausland zu veröffentlichen. „Ich werde offenlegen, wann ich weshalb wohin reise, auf wessen Einladung die Reise erfolgt, wer die Kosten trägt und ob die Dienstreise mit einer privaten Reise verbunden wurde“, heißt es in der fünfseitigen Vereinbarung.

Von CDU und CSU ist kein einziger Abgeordneter dabei

Als Schick und Bülow im März 2013, die SPD war damals genauso wie die Grünen in der Opposition, ihren Forderungskatalog vorlegten, glaubten viele ihrer Kollegen, man müsse den beiden das Handwerk legen. Denn dem Argument, der Ruf der Parlamentarier werde sich bessern, wenn die Bevölkerung offen lesen könne, wer womit sein Geld verdient, wollte kaum jemand folgen. Bis heute haben von den 631 Abgeordneten des Bundestages nur 43 die Bülow-Liste unterschrieben – 22 gehören der SPD-Fraktion an, 18 sind Linke, zwei kommen von den Grünen. Von CDU und CSU ist kein einziger dabei, was wohl auch daran liegt, dass der Kodex aus der Zeit der schwarz-gelben Koalition stammt: Für ein Papier der Opposition wollte sich damals kein Konservativer erwärmen.

Petra Sitte hat 2013 exakt 105 533 Euro verdient. Und am 10. Juni muss die Linken-Abgeordnete dem Finanzamt Halle (Saale) in der Blücherstraße 6838 Euro überweisen. Man kann das Sittes Einkommenssteuerbescheid entnehmen, der auf ihrer Homepage veröffentlicht ist. Dass sie ihre privaten Unterlagen ins Internet stellt, begründet die parlamentarische Geschäftsführerin der Linken damit, dass „Politik in der Glaubwürdigkeitskrise ist“. Auch bei Bürgerversammlungen in ihrem Heimatwahlkreis Halle sei ihr aufgefallen, dass Politikern immer wieder Ablehnung und Unverständnis entgegenschlagen. Um dem entgegenzuwirken, habe sie den Verhaltenskodex unterschrieben. Ihr Steuerbescheid zeigt: Sitte hat keine zweifelhaften Nebeneinkünfte.

Selbst der Grüne Schick hat noch nicht alle Lobbykontakte gelistet.

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Die Veröffentlichung ihres Steuerbescheides war für Sitte kein leichter Schritt. „Ich gebe zu, da hatte ich schon ein mulmiges Gefühl“, sagt sie. Ihr Chef übrigens, Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Linken, ist von einem solch weitgehenden Schritt nicht überzeugt. Wie viele seiner Juristenkollegen im Bundestag verschanzt er sich hinter seiner Arbeit als Anwalt: Zum Schutz der Mandanten sei man zur Verschwiegenheit verpflichtet, der Steuerbescheid könne daher nicht veröffentlichen werden.

Auch bei den Grünen ist die Bereitschaft zur Unterschrift unter den Kodex nicht gerade groß. „Die anderen Kollegen hielten einzelne Forderungen für unrealistisch oder wollten nicht persönlich vorangehen, sondern erst gesetzliche Regelungen für alle erreichen“, sagt Kodex-Mitautor Schick. Dabei könnte es dem Ruf der Abgeordneten nutzen, etwa Gehälter für Vorträge und Gutachten offenzulegen. „Sich in Sachen Transparenz als Vorreiter zu etablieren, ist für einen Politiker durchaus lohnenswert, eine solche Offensive wird in der öffentlichen Wahrnehmung als sehr positiv aufgenommen“, sagt Günter Bentele, Chef des Deutschen Rates für Public Relations. Doch trotz ihrer geringen Zahl glauben die Transparenzbefürworter in den vergangenen Jahren Erfolge erzielt zu haben. Nach der Diskussion um die Vortragshonorare des damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück beschloss der Bundestag 2013 eine Regelung zur Veröffentlichung der Nebeneinkünfte in zehn Stufen. Derzeit berät der Bundestag außerdem über einen Gesetzentwurf zu Karenzzeiten für Mitglieder der Regierung und Staatssekretäre. Die Kodex-Unterzeichner sehen sich mit ihrem Schritt als Türöffner für einen solchen Weg im Bundestag und setzen alles daran, dass am Ende ihr Weg Schule machen und sich der Bundestag für ein verpflichtendes Lobbyregister entscheiden wird.

Wer sich als Lobbyist zum Beispiel mit dem Bonner SPD-Abgeordneten Ulrich Kelber treffen möchte, muss damit rechnen, dass sein Name später im Netz zu finden ist. Auch Kelber veröffentlicht seine Lobbykontakte auf seiner Homepage, im Februar und März waren es vier.

"Dem Stammtischvorwurf der korrupten Politikerkaste erwehren"

Kritiker des Verhaltenskodexes werfen den Unterzeichnern jedoch eine Scheintransparenz vor. Nicht ohne Grund. Am 18. August hat Ulrich Kelber ausweislich seiner Internetliste Jean-Pierre Schneider und Herrn Strake getroffen und über „Aktive Arbeitsmarktpolitik, Kürzungen bei den Zuschüssen für Projekte“ geredet, ohne dass irgendwer mithilfe dieser Information nachvollziehen kann, in wessen Auftrag die beiden Herren Lobbyarbeit bei Kelber betrieben haben. Für Kelber ist die Teilnahme an der Transparenzinitiative dennoch ein Beitrag zum Kampf gegen „verdeckten Lobbyismus“: „So baut man Vertrauen zu den Bürgern auf.“ Der PR-Wissenschaftler Bentele stimmt dem zu. „Indem sich Politiker für solche Verhaltenskodizes einsetzen, tun sie das Richtige und versuchen, wieder mehr Vertrauen zu gewinnen. Dem Stammtischvorwurf der korrupten Politikerkaste kann man sich so erwehren.“

Der Grüne Gerhard Schick erhält regelmäßig Reaktionen auf seine Bereitschaft zur Transparenz und begrüßt es, dass sich die Öffentlichkeit dafür interessiert. Er hat allerdings auch die Kehrseite des Daseins als gläserner Abgeordneter schon kennengelernt. „Manchmal fragen Leute nach, wenn ich die Informationen über meine Nebeneinkünfte einmal nicht schnell genug aktualisiere“, erzählt Schick. „Die Leute messen mich an meinen eigenen Ansprüchen.“ Tatsächlich hat Schick seine Lobbyistenkontakte in den ersten vier Monaten dieses Jahres noch nicht veröffentlicht.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 28. April 2015 - einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie jeweils bereits am Montagabend im E-paper des Tagesspiegels lesen. Ein Abonnement des Tagesspiegels können Sie hier bestellen:

Paul Middelhoff

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