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Politik: Abgeschrieben beim Migrationsweltmeister

Kanada gilt vor allem der Wirtschaft als Modell für eine gelungene Einwanderungspolitik

Berlin - In Wirtschaft und Arbeitsverwaltung wird die Einwanderung „aus anderen Kulturen“ deutlich anders gesehen als in der bayerischen Staatskanzlei. Nach dem Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, und Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt widersprach auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) Horst Seehofer.

Angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland sei Einwanderung nötig; entscheidend sei dafür die Qualifikation, nicht Herkunftsland oder gar Religion der Bewerber, sagte DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann im Südwestrundfunk. Der Arbeitsmarktexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Karl Brenke, plädiert dafür, erst einmal das Potenzial arbeitsloser Fachkräfte auszuschöpfen. „Bei bestimmten Qualifikationen wird das aber kaum gelingen, und dort muss man auf Zuwanderung setzen“, sagte er dem Tagesspiegel.

Ein immer wieder zitiertes Modell der Einwanderung nach Qualifikation ist Kanadas Punktesystem. Mit den Punkten, die Kanada schon 1967 einführte – Ähnliches gibt es auch in Australien und Neuseeland –, sollen gezielt Angehörige von Berufen angeworben werden, an denen im Land Mangel herrscht; derzeit führt die nationale Liste 29 Berufe. Punkte gibt es für das Lebensalter des oder der Kandidatin, für Schul-, Uni- und Berufsabschlüsse, Berufserfahrung und Kenntnis der Landessprachen Englisch und Französisch. Wer den Arbeitsvertrag bereits in der Tasche hat, bekommt weitere Punkte.

Kanada ist Einwanderungsweltmeister; seit den 80er Jahren nahm das Land im Verhältnis zu seiner Bevölkerung mehr Einwanderer auf als jedes andere – in den letzten 20 Jahren mehr als 200 000 pro Jahr. Etwa ein Fünftel der Menschen, die in Kanada leben, ist im Ausland geboren, die doppelte Staatsbürgerschaft ist seit 1977 erlaubt und eine effiziente Integrationspolitik, die Multikulturalismus positiv wertet, erleichtert das Zusammenleben von alten und neuen Bürgern.

Über das Rosinenpicken „nützlicher“ Migranten allein funktioniert allerdings auch in Kanada die Einwanderung nicht; per Punktesystem kommt jährlich nur ein knappes Viertel der Einwanderer ins Land, die übrigen sind Familienangehörige und Flüchtlinge. Und Kritiker weisen darauf hin, dass die Steuerung durch Punkte und der tatsächliche Bedarf des Landes nicht immer zusammenpassen; es bevorzuge derzeit mittlere und höhere Angestellte statt der ebenfalls nötigen Facharbeiter und Ungelernten, heißt es in einer Studie des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts von 2007. Und weil Kanadas Bürokratie dem Ansturm kaum gewachsen sei und deshalb – wie in Deutschland – ausländische Qualifikationen nicht ausreichend anerkannt würden, gebe es nach wie vor Mangel bei Ärzten und Ingenieuren, während entsprechend Hochqualifizierte in wesentlich weniger qualifizierten oder bezahlten Jobs arbeiteten. mit rtr

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