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Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.

© Reuters

Abschied vom Bankgeheimnis: Die Konten seiner Bürger gehen den Staat nichts an

Das Ende des Bankgeheimnisses verändert die Beziehung zwischen Staat und Bürgern. Die Kultur des Vertrauens wandelt sich allmählich zum Misstrauensverhältnis. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Vielleicht hat der Finanzminister ja Recht mit seiner Behauptung, das Bankgeheimnis passe nicht mehr in eine Zeit, in der man im Internet per Knopfdruck größere Geldbeträge auf der Welt hin- und herschieben könne. Und doch: Das Transparenzabkommen, das 41 Staaten am Mittwoch in Berlin abschlossen, markiert eine Veränderung im Verhältnis zwischen Staat und Bürgern.

Im traditionellen, liberalen Gesellschaftsvertrag standen sie einander als vertrauenswürdige Partner gegenüber. Die Grundannahme war, dass sie fair und aufrichtig miteinander umgehen. Der Staat schützt den Bürger, seine Unversehrtheit, sein Hab und Gut, seine Privatsphäre. Der Bürger gibt dem Staat, was dieser zur Erfüllung seiner Aufgaben braucht: Steuern, Loyalität und Mitwirkung. Ein Staat, der meint, eine Kontrollmitteilung über jede Geldanlage eines Bürgers im Ausland zu benötigen, hebt die Unschuldsvermutung auf, die eine Basis des Rechtsstaats ist.

Der Staat ist nicht wehrlos gegen Steuerbetrüger

Gewiss, es hat immer Steuerbetrüger gegeben. Der Staat war aber nicht hilflos. Er wehrte sich mit Steuerprüfungen, Durchsuchungen, Strafverfahren. Auch das Verbringen von Geldern ins sichere Ausland ist nichts Neues. In ungewissen Zeiten mit Kriegen und enteignungswütigen Diktaturen haben Menschen das stets getan. Warum gab es so viele „herrenlose“ Konten in der Schweiz nach der Nazizeit? Ältere Westberliner hatten, wenn sie konnten, Konten im Westen, um im Fall eines sowjetischen Einmarschs einen Neuanfang dort zu finanzieren. Heute scheuen sich Einwanderer aus asiatischen und afrikanischen Diktaturen, gerettete Vermögenswerte unter ihrem Echtnamen in Europa anzulegen – aus Angst vor dem Zugriff des Fluchtstaats.

Die Kultur des Vertrauens zwischen Staat und Bürgern wandelt sich allmählich zum Misstrauensverhältnis, das lässt sich an vielen Beispielen beobachten. Im Kampf gegen Steuerhinterziehung begann es mit dem Ankauf illegaler Daten-CDs. Wolfgang Schäuble sagt, er habe dies stets für juristisch problematisch gehalten. Ist das Ende der Unschuldsvermutung für ihn nicht ein tiefer greifender Einschnitt?

Wer schützt die finanzielle Privatsphäre?

Umgekehrt glauben viele Bürger dem Staat nicht mehr, dass er ihr Bestes im Sinne habe, zum Beispiel bei der Datenerhebung zur Terrorabwehr. Dabei geht es dort um Lebensgefahr – ein höheres Gut als Geld – und der Staat erhebt, soweit man weiß, nur Metadaten, kontrolliert aber nicht die Inhalte von Emails und Telefonaten. Übertragen auf den Kampf gegen Steuerhinterziehung müsste dem Staat die Info über vorhandene Auslandskonten genügen – ohne Inhalte, wie die Höhe der darauf liegenden Beträge und der erzielten Einkünfte. Auch da passt das traditionelle Denken offenbar nicht mehr in die neue Zeit. Die finanzielle Privatsphäre gilt vielen nicht mehr als schützenswert – reich sind immer nur die anderen. Vom Staat erwarten viele Bürger nicht mehr den Schutz des Eigentums; sie wollen durch Umlage alimentiert werden.

Auf absehbare Zeit wird wohl nur ein Viertel aller Länder unterzeichnen. Wer per Geldanlage im Ausland Steuern hinterziehen will, wird willige Staaten finden. Bei so viel Lücke: Ist die Neuregelung einen so tiefen Eingriff in das tradierte Vertrauensverhältnis wert?

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