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Der scheidende US-Präsident Barack Obama mit seiner Ehefrau Michelle und Tochter bei seiner Abschiedsrede in Chicago.

© Joshua Lott/AFP

Abschiedsrede des US-Präsidenten in Chicago: Obama feiert sich selbst - und schickt Botschaften an Trump

18.000 Zuschauer im Saal, Millionen vor den Fernsehern. Doch Obama wendet sich in seiner Abschiedsrede vor allem an einen einzigen Mann.

Ein Millionenpublikum an den Fernsehern, rund 18.000 Zuhörer im Saal – doch in manchen Momenten scheint es so, als wende sich Barack Obama an diesem Abend an einen einzigen Mann. Nur wenn die amerikanische Demokratie funktioniere, werde Amerika das wohlhabendste und stärkste Land der Welt bleiben, mahnt der scheidende Präsident bei seiner Abschiedsrede in Chicago.

Der Mann, an den er sich wendet, ist nicht im Publikum in Illinois, sondern im Trump Tower in New York. Aber auch ohne persönlich anwesend zu sein, ist Donald Trump neben Obama selbst die Hauptperson dieses Abends.

Abschiedsreden scheidender Präsidenten sind ein politisches Ritual der USA, das auf Gründungspräsident George Washington zurückgeht; seit Harry Truman im Jahr 1953 hat jeder US-Staatschef mit Ausnahme des ermordeten John F. Kennedy eine solche Ansprache gehalten. Doch Obama ist einer der wenigen Präsidenten, die sich nicht von der Hauptstadt aus von den Wählern verabschiedet haben. Chicago ist für Obama wichtiger: Dort lernte er seine Frau kennen, dort begann er seine politische Karriere, dort feierte er seine beiden Wahlsiege als Präsident.

„Wir sind eins in Erfolg und Scheitern“

Am Pult spricht Obama von den Frustrationen des politischen Alltags, in dem die Menschen aneinander vorbeireden. Beispiel Klimawandel. Man könne über den besten Weg streiten, um dem Problem zu begegnen – aber die Tatsache der Erderwärmung einfach zu bestreiten, sei ein Verrat an amerikanischen Idealen. Trump hält den Klimawandel für eine Erfindung der Chinesen.

Der Noch-Präsident, der am Ende seiner Amtszeit eine Zustimmungsrate von 60 Prozent genießt, spart nicht mit Eigenlob ins seiner Rede: die Überwindung der globalen Finanzkrise, die Schaffung von Millionen neuer Arbeitsplätze, die Verhinderung schwerer Terroranschläge, der Tod von Osama bin Laden. Doch den größten Applaus erntet er, wenn er die Amerikaner aufruft, für ihre Demokratie zu kämpfen. „Es liegt an uns“, sagt er.

Seinem Nachfolger, einem Milliardär, der viele Reformen der vergangenen acht Jahre wieder zurückdrehen will, gibt Obama mit auf den Weg, dass er nicht nur für die Reichen arbeiten sollte. Jeder Amerikaner verdiene die Chance zum wirtschaftlichen Aufstieg. Bei allem politischen Streit dürfe der demokratische Grundkonsens nicht aufgegeben werden: „Wir sind eins in Erfolg und Scheitern.“

Für die Menschen in Chicago, eine Stadt, die derzeit vor allem mit ihrer hohen Kriminalitätsrate in den Schlagzeilen macht, ist der Abschiedsbesuch des Präsidenten die Gelegenheit, einen ihrer Helden noch einmal richtig zu feiern. Mehrere tausend Menschen hatten am Wochenende in klirrender Kälte stundenlang Schlange gestanden, um ein Gratis-Ticket für die Rede zu ergattern. Vor der Ansprache wurden die Tickets im Internet für mehrere tausend Dollar angeboten.

Obama hatte die Rede über Monate vorbereitet und während des Weihnachtsurlaubs auf Hawaii und auf dem Heimflug nach Washington an ersten Entwürfen gearbeitet. Wie so oft bei wichtigen Ansprachen stammt der Text, für den mindestens drei Versionen geschrieben und immer wieder nachgebessert wurden, größtenteils von Obama selbst – nur wenige Vertraute wie Hauptredenschreiber Cody Keenan und Ex-Berater David Axelrod arbeiteten mit.

Die Verantwortung des Einzelnen für die Demokratie

Das politische Hauptthema dieser Rede ist die Verantwortung jedes Einzelnen für die Demokratie – gerade in der neuen Zeit, die nach Trumps Amtseid in gut einer Woche beginnt. Demokratie bestehe nicht nur aus Wahlen, betont Obama. „Wenn du unzufrieden mit einem Wahlausgang bist, dann kandidiere selber.“

Am Ende seiner Rede dankt Obama seiner Frau Michelle und sagt seinen Töchtern Malia und Sasha, wie stolz er ist, ihr Vater zu sein. Dabei wischt er sich eine Träne aus dem Auge.
Am Ende seiner Rede dankt Obama seiner Frau Michelle und sagt seinen Töchtern Malia und Sasha, wie stolz er ist, ihr Vater zu sein. Dabei wischt er sich eine Träne aus dem Auge.

© Joshua Lott/AFP

Daraus entwickelt er eine Botschaft der Hoffnung für die Millionen von Amerikanern, die nach Trumps Wahlsieg der Verzweiflung nahe sind. „Ich bitte euch, an etwas zu glauben“, sagt er. „Nicht an meine Fähigkeit, die Dinge zu ändern, sondern an eure eigene.“ Am Ende wiederholt er den Slogan seines ersten Wahlsieges, der vor acht Jahren das Land und die ganze Welt inspirierte: „Yes we can.“

Zu einem ganz besonderen Höhepunkt wird Obamas Hommage an seine Frau Michelle, die zu einem neuen Vorbild geworden sei: „Du hast mich stolz gemacht, und du hast das ganze Land stolz gemacht“, sagt der Präsident mit Tränen in den Augen. Selbst der alte Kämpe Joe Biden muss sich ein Tränchen aus dem Auge drücken, als der Präsident seinen Vize als wahren Freund würdigt. Im Internet fragen sich unterdessen viele Menschen, warum nur Obamas Tochter Malia im Saal ist, aber nicht ihre Schwester Sasha. Die jüngere Obama-Tochter, die noch in Washington zur Schule geht, habe eine Klassenarbeit am Mittwochmorgen und müsse deshalb in Chicago fehlen, melden US-Medien.

Als er nach der Rede die Rückreise nach Washington antritt, besteigt Obama aller Voraussicht nach zum letzten Mal als amtierender Staatschef das Präsidentenflugzeug Air Force One. Zwar darf er nach Trumps Vereidigung Ende kommende Woche noch einmal in der umgebauten Boeing 747 aus Washington nach Hause fliegen, doch heißt die Maschine auf dem Flug am 20. Januar offiziell Special Air Mission 28000, und nicht mehr Air Force One - dieser Name ist Reisen vorbehalten, bei denen der Präsident an Bord ist.

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