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Gibt sein Amt im Januar nach fünf Jahren auf: Europaparlaments-Präsident Martin Schulz bei seiner Abschiedsrede.

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Abschiedsrede von Martin Schulz im Europaparlament: "Mit aller Kraft gegen den Hass"

Der Parlamentspräsident wechselt in die Bundespolitik. Um seine Nachfolge in Brüssel streiten ein Sozialist und ein Konservativer aus Italien.

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Mit einer kämpferischen Rede hat sich Martin Schulz vom Amt des Präsidenten des Europäischen Parlaments (EP) verabschiedet. "Überall auf diesem Kontinent machen sich die Spalter und die Ultranationalisten wieder breit", warnte der SPD-Politiker. Sie bedrohten "eine der größten zivilisatorischen Errungenschaften", die es auf dem Kontinent je gegeben habe. "„Mit aller Kraft werde ich mich jedenfalls auch künftig gegen diesen Hass stellen, egal von welcher Stelle aus", versprach Schulz.

Der 60-jährige Politiker hatte Ende November angekündigt, sich nicht erneut um das Amt des EP-Präsidenten zu bewerben und stattdessen in die Bundespolitik zu wechseln. Er gilt als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (ebenfalls SPD), der Mitte Februar zum Bundespräsidenten gewählt werden soll. Teile der SPD wünschen sich zudem, dass Schulz statt Parteichef Sigmar Gabriel Kanzlerkandidat ihrer Partei wird. Am Montag vor der Wahl seines Nachfolgers Mitte Januar soll Schulz ein letztes Mal die Plenarwoche in Straßburg eröffnen.

Der scheidende Präsident erinnerte daran, dass er beim Amtsantritt vor fünf Jahren versprochen hatte, das Europäische Parlament "sichtbarer, hörbarer und einflussreicher" zu machen. Dies sei gelungen; das Parlament sei ein "Ort der europäischen Demokratie" geworden. Auch mit dem "Spitzenkandidatenprozess" sei es gelungen, die EU demokratischer zu machen. Schulz hatte Anfang 2014 mit Vertretern anderer Parteien im EP einen Beschluss durchgesetzt, wonach das Parlament dem Europäischen Rat einen Kandidaten für das Amt des Kommissionschefs vorschlägt. Im Juli 2014 nominierte das EP Jean-Claude Juncker dann tatsächlich als Kommissionschef, der zuvor Spitzenkandidat der EVP gewesen war. Der Rat, die Versammlung der Staats- und Regierungschefs, stimmte zu.

Inzwischen steht fest, dass zwei Italiener das Rennen um die Nachfolge von Schulz unter sich ausmachen werden. Am 17. Januar wird es in Straßburg eine Kampfkandidatur zwischen dem ehemaligen EU-Kommissar Antonio Tajani für die Christdemokraten und dem Fraktionschef der Sozialisten, Gianni Pitella, geben. Dies steht fest, nachdem sich Tajani in der größten Fraktion im Europa-Parlament gegen drei weitere Kandidaten knapp durchgesetzt hat. Der 63-jährige Tajani bekam in der Fraktionssitzung 94 Stimmen. Seine EVP-Fraktion stellt 217 Abgeordnete im Parlament.

Ein Parteifreund von Berlusconi - da werden viele Widerstand leisten

Obwohl Tajani von der größten Fraktion nominiert wird, werden ihm geringere Chancen als Pitella zugestanden. Im EU-Parlamet mit 751 Stimmen benötigt der EVP-Kandidat die massive Unterstützung aus anderen Fraktionen. Die Sozialisten dürften einigermaßen geschlossen für Pitella stimmen. Und auch bei den Grünen und Linken wird Tajani so gut wie keine Stimmen holen. Ihnen ist er so gut wie unvermittelbar, weil er der Partei von Silvio Berlusconi, Forza Italia, angehört und als enger Vertrauter des ehemaligen italienischen Regierungschefs gilt. Der Grüne Sven Giegold twitterte: "Mamma Mia. Tajani ist Parteifreund Berlusconis & schaute den Diesel-Abgastricks schon 2012 tatenlos zu. Unwählbar!"

Für den Fraktionschef der EVP, den CSU-Politiker Manfred Weber, ist die Entscheidung für Tajani eine Blamage. Der 44-jährige Weber, der gerade mit einem sehr guten Ergebnis wiedergewählt wurde, hatte in einem Brief an die Abgeordneten darum geworben, bei ihrer Entscheidung im Hinterkopf zu behalten, die Populisten nicht zu stärken. Genau dies ist jetzt aber eingetreten: Da Tajani bei Grünen und Linken auf größte Widerstände stößt, müsste er Stimmen im rechten Lager einsammeln, wenn er im dritten Wahlgang eine Chance haben wollte.

Für Weber ist die neue Lage unangenehm: Die Schulz-Nachfolge ist die erste wichtige Personalentscheidung, die er in seiner Funktion als Fraktionschef regeln muss. Er hat sich massiv dafür starkgemacht, dass nach dem Sozialdemokraten Schulz wieder die EVP den Posten bekommt. Sollte er damit scheitern, würde ihm dies als Niederlage angerechnet.

Da sich Tajani EVP-intern nur knapp durchsetzen konnte, rechnen Beobachter damit, dass selbst im dritten Wahlgang, wenn die einfache Mehrheit ausreicht, nicht alle EVP-Abgeordneten für ihn stimmen würden. In der EVP-Fraktion hatten die Irin Mairead McGuinness und der Franzose Alain Lamassoure mit Tajani um die Nominierung gekämpft. Insider der Fraktion berichten, dass Tajani in der Gruppe der 217 EVP-Abgeordneten von den drei Kandidaten die höchste Anerkennung genieße. Wie beliebt er intern ist, spielt aber am 17. Januar nicht die Hauptrolle – entscheidend wird sein, welche Außenwirkung der Kandidat entwickelt. In dieser Hinsicht werden Tajani keine guten Prognosen gegeben.

Zu Beginn der Wahlperiode hatten Sozialisten und Christdemokraten im Europaparlament eine informelle Zusammenarbeit beschlossen. Teil der Vereinbarung ist, dass zur Hälfte der Wahlperiode Martin Schulz den Parlamentspräsidentenposten aufgibt und die EVP die Nachbesetzung regeln kann. Indem der Italiener Pitella vor wenigen Wochen seine Kandidatur angemeldet hat, gilt die informelle große Koalition als beendet.

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