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Abschlussbericht: 60 Jahre Missbrauch am Bonner Jesuiten-Kolleg

Der Abschlussbericht eines Untersuchungsteams zeigt: In einem Zeitraum von 60 Jahren sind Schüler am Bonner Aloisiuskolleg (Ako) gedemütigt, geschlagen und ihre intimen Grenzen verletzt worden.

In den 50er und 60er Jahren wurde an dem Jesuitengymnasium über das damals „übliche“ Maß hinaus geprügelt. In den 70er und 80er Jahren kamen sexuelle Übergriffe hinzu. Einige Vorwürfe reichen bis ins Jahr 2005. Beschuldigt werden 18 Jesuitenpatres und fünf weltliche Mitarbeiter. Das ergab der Abschlussbericht eines Untersuchungsteams unter Leitung der Kölner Rechtsprofessorin Julia Zinsmeister, der am Dienstag vorgestellt wurde.

Die Hälfte der Vorwürfe bezieht sich auf einen Pater, der von 1968 bis 2008 an dem Kolleg „mit großem Machtwillen“ wirkte und lebte. Er ist 2010 gestorben. Ihm werden sexuelle Grenzverletzungen, körperliche Übergriffe und demütigende Erziehungspraktiken vorgeworfen. So mussten sich zehn- bis zwölfjährige Jungen von ihm beim Duschen einseifen lassen und sich zum rektalen Fiebermessen nackt auf den Boden legen. Der Pater hat auch Nacktfotos von Jungen in erotischen Posen gemacht. Die Ermittler kommen zu dem Ergebnis, dass der Orden nur in einem Fall in den 60er Jahren systematisch vertuscht hat. „Viel erschreckender war, dass meist nicht gezielt vertuscht oder weggesehen, sondern gar nicht erst hingesehen wurde“, sagte Zinsmeister. Wichtiger als das Kindeswohl sei der gute Ruf der Schule gewesen, es habe ein ausgeprägtes Bedürfnis gegeben, sich gegenüber Kritik abzuschotten. So hätten sich „Inseln der Macht“ bilden können.

Bei der Vorstellung des Berichts wurde auch Kritik an Ursula Raue laut, der Missbrauchsbeauftragten des Jesuitenordens. Sie war 2007 vom Orden beauftragt worden, Gerüchten über sexuellen Missbrauch und Nacktfotos am Ako nachzugehen. Im April 2007 sprach sie mit dem damaligen Schulleiter und mit dem Pater, der die Nacktfotos gemacht hatte – laut Zinsmeister der Hauptbeschuldigte. Über das Gespräch hat Raue ein Protokoll angefertigt, das dem Tagesspiegel vorliegt. Daraus geht hervor, dass der Pater pädophile Neigungen gestand, doch betonte, er habe die Jungen zwar fotografiert, aber „niemals berührt“. Raue, der Pater und der Schulleiter verständigten sich darauf, die Fotos zu vernichten. Dies ist einen Monat später geschehen, wie der Schulleiter in einem Brief an Raue bestätigte, der dieser Zeitung ebenfalls vorliegt. „Weitere Schritte zur Aufklärung oder Prävention wurden 2007 nicht unternommen“, stellte Zinsmeister fest.

Raue habe ihr Augenmerk darauf gerichtet, dass Schülern von besagtem Pater künftig kein Schaden zugefügt werde, sagte Zinsmeister. Da er schon alt gewesen sei und man ihr versichert habe, er wohne nicht mehr auf dem Schulgelände, sei sie davon ausgegangen, dass er ungefährlich sei. Laut der Leitlinien zum Umgang mit sexuellem Missbrauch der katholischen Kirche sei es aber nicht nur Aufgabe der Missbrauchsbeauftragten, in die Zukunft zu schauen, sagte Zinsmeister, sondern auch nach dem Leiden von Opfern der Vergangenheit zu fragen. „Dass Raue die Fotos und damit Beweismittel nicht an die Staatsanwaltschaft gegeben hat, sondern mit dem Pater die Vernichtung vereinbarte, ist ein Skandal“, sagte der Ex-Ako-Schüler Jürgen Repschläger. Dieser Skandal habe zu dem Eindruck beigetragen, der Jesuitenorden verschleppe die Aufklärung. Raue hatte im Mai 2010 zugegeben, es sei ein „Fehler“ gewesen, die Fotos zu vernichten. „Ich sah damals in den Fotos keinen Straftatbestand erfüllt“, sagte sie dem „Bonner Generalanzeiger“.

Pater Stefan Kiechle, Chef der deutschen Jesuitenprovinz, entschuldigte sich bei den Opfern. Im Hinblick auf „Anerkennungszahlungen“ wolle man bis März mit der Bischofskonferenz und anderen Orden eine Gesamtlösung für die Kirche finden. Die vom Jesuitenorden vorgeschlagene Summe von 5000 Euro pro Opfer halten Ex-Schüler für inakzeptabel.

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