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© dpa

Achim Steiner, UN-Umweltprogramm: "Der Wandel der Weltwirtschaft hat begonnen"

Der Chef des UN-Umweltprogramms über Möglichkeiten für ein Klimaabkommen und Kenias Chance, ein Ökomodellfall zu werden

Glauben Sie, dass es gelingt, den „grünen Kapitalismus“ noch rechtzeitig einzuführen, um das Klima zu stabilisieren?



Ich würde grün und Kapitalismus nicht unbedingt in einen Satz bringen. Aber ich glaube, die Veränderung unserer globalen Wirtschaft hat schon begonnen. Die Welt steht mit dem Klimawandel vor einer Herausforderung, wie sie noch nie da war. Wir haben erlebt, dass zunehmend Veränderungen auf unserem Planeten stattfinden, die nicht nur unter ethischen oder ökologischen Gesichtspunkten nicht mehr akzeptabel sind. Sie sind auch wirtschaftlich nicht mehr vertretbar.

Die reale historische Erfahrung ist: Entwicklung bedeutet mehr Kohlendioxid. Nun wollen Industrieländer Entwicklungsländer überzeugen, dass ein anderer Weg möglich ist, sind aber nicht bereit, ihn selbst zu gehen. Ist das glaubwürdig?


Ich bin der festen Überzeugung, dass diese Glaubwürdigkeitslücke geschlossen werden kann und wird. Die Frage ist: Wie lange brauchen wir dafür? Das vielleicht Bedauerlichste ist, dass wir spätestens seit dem Bericht von Nicholas Stern über die Kosten des Klimawandels und seine Bekämpfung wissen, was es kostet, nicht zu handeln. Dennoch wird vor allem über die Kosten des Klimaschutzes geredet. Aber können wir uns leisten, nicht zu handeln? Durch die Finanz- und Wirtschaftskrise wird den Menschen vorgegaukelt, das ließe sich aufschieben. Natürlich können wir es aufschieben. Wir können auch versuchen, den Kohlendioxid- Ausstoß erst von 2020 an zu senken. Nur wird uns das dann ein Vielfaches mehr kosten und vielleicht Entwicklungen in Gang setzen, die nicht mehr umkehrbar sind. Wie egoistisch kann eine Generation gegenüber folgenden Generationen sein, nur um an der Zapfsäule fünf Cent weniger zu bezahlen? Das ist die ethische Frage, die wir beantworten müssen. Es ist eine Irreführung, zu behaupten, wir könnten die nötigen Veränderungen in unserer Wirtschaft nicht heute herbeiführen. Das bedeutet aber Mut zur Veränderung und etwas Risikobereitschaft. In Deutschland sind hunderttausende Jobs in den grünen Technologien entstanden. Vor kurzem haben wir gemeinsam mit internationalen Investmentfonds einen Bericht vorgelegt, dass Konjunkturhilfen für grüne Wirtschaftszweige bezogen auf die Sicherheit von Arbeitsplätzen drei bis vier Mal erfolgreicher sind als Steuersenkungen.

Was hat der Klimagipfel des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon in dieser Woche unter diesen Aspekten gebracht?

Die Einladung war wichtig, weil 100 Regierungschefs mit der Notwendigkeit zu handeln konfrontiert worden sind. Mit Japan, das zugesagt hat, seine Treibhausgasemissionen bis 2020 um 25 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken, ist ein wichtiger Industriestaat wieder zum Akteur geworden. Diese Zusage ist nahe an dem, was die Klimaforschung für notwendig hält. Noch wichtiger als die Reden waren die Arbeitsgruppen, in denen 20 bis 30 Staatschefs gemeinsam über Handlungsmöglichkeiten diskutiert haben. Ich hoffe, dass die G-20-Regierungschefs in Pittsburgh unter diesem Eindruck ein starkes Signal für Kopenhagen aussenden.

Im Kopenhagen-Pakt soll ein Element der Waldschutz sein. Seit 1992 gibt es eine UN-Waldkonvention, die offenbar funktioniert hat. Was haben wir dazugelernt?

Der große Unterschied zwischen der Waldkonvention und REDD, dem Programm zur Reduzierung der Entwaldung und Degradierung von Wäldern unter dem Dach eines neuen Klimaabkommens, ist, dass die Waldkonvention Entwicklungsländern nur eine neue Verpflichtung auferlegt hat. Was für ein Interesse sollte ein Entwicklungsland haben, sich in eine Waldkonvention zu begeben, die ihm verbietet, den eigenen Wald zu nutzen, nur weil der Rest der Welt seine Wälder längst gerodet hat? Die Diskussionen im Rahmen der Klimaverhandlungen sind anders. Sie schaffen ein Verhältnis zwischen Nutzern und Produzenten globaler Güter. Die Demokratische Republik Kongo, Brasilien, Indonesien, Papua-Neuguinea oder Kamerun sind Produzenten einer Dienstleistung, die der ganzen Welt nützt. REDD soll dies in einen ökonomischen Rahmen bringen und ein Ausgleichssystem schaffen. Der Wald wird in Wert gesetzt. Das schafft eine völlig neue Grundlage für die Zusammenarbeit.

Es ist doch ziemlich attraktiv, beides zu tun: Zusagen zu machen und Konzessionen für die Abholzung zu vergeben.

Die Gefahr besteht immer. Aber wir sind dabei, ein Überwachungssystem aufzubauen. Heute stehen mit Satellitensystemen andere technische Möglichkeiten zur Verfügung als vor ein paar Jahrzehnten. Die Anreizsysteme dürfen nicht nur der Zentralregierung zur Verfügung stehen, sondern müssen auch für die lokale Bevölkerung nutzbar sein. Für uns als Menschheit ist es nötig, für Ökosystem- Dienstleistungen zu bezahlen, um in einer Welt zu überleben, die bald aus neun Milliarden Menschen bestehen wird.

Ausgehend vom Waldschutzgedanken wäre es doch auch eine vernünftige Investition, in Ländern, die ihren Wald abgeholzt haben wie Kenia oder Äthiopien, in die Wiederaufforstung zu investieren, oder?

Kenia leidet derzeit unter einer katastrophalen Dürre und erlebt, was es bedeutet, wenn in den Wassereinzugsgebieten kein Wald mehr steht und alle Flüsse austrocknen. Deshalb hat sich das Land zum Ziel gesetzt, bis 2020 etwa sieben Milliarden Bäume zu pflanzen und die Waldfläche auf zehn Prozent des Landes zu erhöhen, derzeit sind es weniger als zwei Prozent. Die Frage ist, lässt man Kenia damit allein oder sagt man, das ist gut für Kenia, gut für die Ökologie, gut für die Entwicklung und für uns, weil in diesen Wäldern Kohlendioxid gespeichert werden kann. Kenia ist ein interessantes Beispiel: Es könnte in den kommenden zehn Jahren zu einem Paradebeispiel für eine moderne Klima- und Entwicklungspolitik werden. Zum einen könnte es ein Land sein, das seinen gesamten Strom CO2-neutral produziert. Kenia baut gerade die größte Windfarm Afrikas mit mehr als 350 Megawatt. Denn es gibt seit Neuestem einen Einspeisetarif nach deutschem Vorbild, also einen festen Preis für erneuerbar erzeugten Strom, der ins Netz eingespeist wird. Kenia hat Wasserkraft und nutzt seit mehr als 20 Jahren Erdwärme. Das Einzige, was fehlt, ist eine internationale Politik, die Kenia dabei unterstützt, die noch vorhandenen Extrakosten für den Ausbau auszugleichen. Das wäre entwicklungspolitisch bedenkenswert und klimapolitisch auch. Die Wiederherstellung von Wald und Ökosystemen ist das zweite Element. Die Bereitschaft ist hoch, obwohl das sehr umstritten ist, weil es um Land- und Siedlungsrechte geht. Dazu brauchen wir aber ein Rahmenabkommen, mit dem eine kohlenstoffarme Wirtschaftsweise Realität wird. Dann beginnt jedes Land, seinen Entwicklungspfad zu überdenken.

Im Falle Kenias müsste man aber eine tatsächlich gewählte, weniger korrupte und kompetentere Regierung finden …

Die Politik ist überall voller Widersprüche. Das gilt ja auch in Deutschland. Hier war es letztlich die Automobilindustrie, die es der Kanzlerin und dem Umweltminister nicht leicht gemacht haben, klimapolitische Ziele umzusetzen. In der Demokratie gibt es immer Gegenkräfte.

Das Gespräch führte Dagmar Dehmer.

Achim Steiner (48) ist seit 2006 Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen mit Sitz in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Zuvor war er Präsident der Weltnaturschutzunion.

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