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Politik: Ackermann geht nicht voran

Von Tissy Bruns

Irgendwann wird einmal zusammenwachsen, was hinten und vorne nicht passt. Kopfpauschalen, gestaffelte Prämien, Bürgerversicherung. Drei bis vier Jahre wird es noch dauern, bis die große Reform des Gesundheitswesens spruchreif wird. Man kann nur beten, dass bis dahin ordentlich gespart wird. Denn die wichtigste Erkenntnis, die uns der Streit der Schwesterparteien CDU und CSU auch in diesen Tagen wieder verschafft, lautet: Das Brett ist dicker noch, als wir uns dachten.

Der Finanzwissenschaftler und vormalige Vorsitzende einer hochrangigen Regierungskommission, Bert Rürup, hat gerechnet. Herausgekommen sind viele Zahlen und eine kommunikative Wiedergutmachung für Angela Merkel. Von Rürup stammt die Idee, die von der reformfreudigen CDUVorsitzenden leicht abgewandelt übernommen worden ist. Und Rürup verdankt das Modell seinen unglückseligen Namen: Kopfpauschale. Das klingt in deutschen Ohren wie kalter Verrat an Gerechtigkeit und Solidarität. Deshalb hat es die CSU, die das Volksparteiliche der gesamten Union stellvertretend artikuliert, geschafft, binnen eines Jahres die zuerst begeisterte CDU mit ihren Bedenken anzustecken.

Nun hat Rürup den Ackermann-Faktor entdeckt. Für Merkels bisher unglaubhafte Behauptung ist damit ein Zahlenwerk und, wichtiger noch, eine schlagende Symbolik geliefert: Der soziale Ausgleich über das Steuersystem ist ja viel gerechter als die bisherige Gerechtigkeit innerhalb der Versichertengemeinschaft! 950 Euro im Monat müsste ein Kanzler nach Kopfpauschalen-Modell mehr bezahlen und satte 44000 ein Josef Ackermann. Rürups Rechnung ist eine angenehme Entlastung Merkels vom Vorwurf der sozialen Kälte. Sie setzt die CSU unter Zugzwang, nun ihrerseits zu rechnen und die Zahlen auf einen symbolischen Punkt zu bringen.

Rechnen werden aber auch andere, nämlich die Bürger. Wer von uns Normalos hört sie nicht gern, die Ackermann- Botschaft, aber wer glaubt sie denn? Die Lebenserfahrung lehrt, dass diese 44000 Euro nie in den Staatskassen landen. Im Hartz-IV-Sommer hat das Land zudem gelernt, dass die Aufteilung in oben und unten nicht weit trägt, wenn es um die Sozialsysteme geht. So viele Ackermänner gibt es ja gar nicht, die den Millionen Durchschnittsfamilien den Sozialausgleich zahlen könnten. Ein erheblicher Teil der gesellschaftlichen Rechnung muss zwischen den kleinen Leuten und den Mittelschichten aufgemacht werden. Letztere werden von Finanzministern, gleich welcher Couleur, gern als „Besserverdienende“ betrachtet, obwohl sie selbst sich nach dem Blick auf ihre Netto- Einkommen keineswegs so bezeichnen würden.

Wer zahlt wie viel für den „Gesundheitssoli“, Rürups Steuerzuschlag für die Gerechtigkeit? 35 Euro muss nach seiner Aufstellung im Monat ein verheirateter Facharbeiter mit einem Kind mehr zahlen, der 2500 Euro verdient, während das kinderlose Doppelverdienerpaar mit dem dreifachen Einkommen fast 200 Euro spart. Allerdings nur, wenn die Doppelverdiener bisher in der AOK versichert sind. Was selten der Fall ist; tatsächlich dürfte auch dieses Paar mit dem Soli unter dem Strich mehr zahlen.

Weil sich der soziale Ausgleich auf ein einfaches Oben-unten-Bild eben nicht bringen lässt, bleiben Angela Merkel und den streitenden Schwesterparteien alle Probleme erhalten. Das sachliche, wie das pauschale Gesundheitsmodell mit der versprochenen Steuerentlastung unter ein Dach kommen soll. Das programmatische, wie christliche Volksparteien das Soziale neu definieren. Und das für alle Macht- und Personalkonflikte in der Union entscheidende: Wie macht sie ihren potenziellen Wählern Hoffnung, womit macht sie ihnen Angst? Das ist der Kern des Streits zwischen Angela Merkel und Edmund Stoiber.

Wer Recht hat? Kein Ackermann-Soli wird die Menschen daran hindern, ihre höchst eigene Rechnung aufzumachen. Wer Wahlen gewinnen will, wird nicht daran vorbeireden können: Gesundheit ist teuer, Gerechtigkeit auch.

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