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Auch in der Bevölkerung regt sich Protest gegen die Gewalt der Polizei.

© dpa

Ägypten: EU prangert Brutalität ägyptischer Polizei an

Nach dem gewaltsamen Tod eines 28-Jährigen durch ägyptische Sicherheitskräfte forderte die EU eine unabhängige Untersuchung des Falls. Die Polizisten erwartet maximal ein Jahr Haft oder 30 Euro Geldstrafe.

Am Nil liegen die Nerven blank. Ihr Schreiben sei „eine klare Verletzung diplomatischer Normen und eine unerhörte Einmischung in die inneren Angelegenheiten Ägyptens“, kanzelte Außenminister Ahmed Abu al Gheit letzte Woche die versammelten europäischen Botschafter ab, die er in seinen Kairoer Amtssitz einbestellt hatte. Anlass für die harsche Rüge war eine EU-Demarche zum Prügeltod eines Bloggers, der nach Augenzeugenberichten in der Hafenstadt Alexandria auf offener Straße von zwei Polizisten erschlagen worden war. Man erwarte eine „unabhängige, transparente und umgehende Untersuchung, die die aufgetretenen Widersprüche glaubwürdig aufklärt“, ließen die Missionschefs die ägyptische Regierung wissen. Diese setzte nun am Wochenende endlich – wenn auch widerwillig – ihre Staatsanwaltschaft in Bewegung. Man werde die Polizisten „wegen Folter und exzessiver Gewaltanwendung“ vor Gericht stellen, gab die Justiz bekannt. In Ägypten stehen darauf maximal ein Jahr Haft oder 30 Euro Geldstrafe. Von Mord oder Totschlag ist in der Anklage nicht die Rede.

Derweil zieht der Fall immer weitere Kreise. „Märtyrer des Ausnahmezustands“ heißt das 28-jährige Opfer auf Facebook. 250 000 Mitglieder hat inzwischen die Seite „Meine Name ist Khaled Mohammed Said“ – und es werden täglich mehr. Wellen der Abscheu ziehen durch das ägyptische Netz, seit das entsetzliche Foto des Verstümmelten online zu sehen ist. „Weg mit der Folter“ und „Nieder mit Mubarak“, skandierten Demonstranten in Kairo. Friedensnobelpreisträger Mohamed el Baradei, der frühere Wiener Atomchef und inzwischen prominenteste Oppositionelle, zog an der Spitze von 4000 Menschen durch Alexandria.

Im beliebten Touristenland Ägypten gibt das seit dreißig Jahren herrschende Ausnahmerecht Polizei und Justiz nahezu unbeschränkte Macht. Jeder kann ohne Grund verhaftet und misshandelt werden oder beliebig lange hinter Gitter kommen. Menschenrechtler schätzen, dass 12 000 bis 14 000 Bürger ohne Anklage in den Gefängnissen sitzen. Nach Angaben des Nationalrats für Menschenrechte wurden allein im letzten Jahr 1124 Anzeigen wegen Folter gegen Polizisten erstattet – die Dunkelziffer liegt weitaus höher.

Alltäglicher Gebrauch brutaler Gewalt durch Sicherheitskräfte

Der Chef des kleinen Internetcafes im Stadtteil Kleopatra von Alexandria jedenfalls kann es immer noch nicht fassen, was sich in jener Nacht zugetragen hat. Khaled Mohammed Said habe an einem der Computer gesessen, als plötzlich zwei Polizisten in Zivil hereinstürmten, berichtete er. Sie beschimpften den 28-Jährigen, drehten ihm die Arme auf den Rücken und hämmerten seinen Kopf auf eine Marmortischplatte, bevor sie ihn ins Freie zerrten. Am Rande der viel befahrenen Straße hieben sie seinen Kopf gegen ein Eisengatter und traten auf den Bewusstlosen ein. „Hört auf, der Mann stirbt“, versuchten zwei Passanten sie abzuhalten. „Der simuliert nur“, bekamen sie zur Antwort. Am Ende war der Brustkorb zerquetscht, Schädel und Zähne eingeschlagen.

„Diese Fotos bieten einen seltenen Einblick in den alltäglichen Gebrauch brutaler Gewalt durch ägyptische Sicherheitskräfte. Ihre Mitglieder gehen davon aus, dass sie völlig unbehelligt bleiben“, urteilte Amnesty International. Der 28-Jährige sei ein Drogenkonsument gewesen und an einem Haschischpäckchen erstickt, das er herunterschluckte, als man seine Personalien habe überprüfen wollen, hieß es offiziell. Eine zweite Autopsie, die auf Druck der USA zustande kam, tischte die gleiche Version noch einmal auf. Diese Kaltschnäuzigkeit rief schließlich die EU-Botschafter auf den Plan.

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