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Ägypten: Heftige Proteste gegen Stichwahl

Sie wollten weder den Vertreter des alten Regimes noch einen Muslimbruder zum Präsidenten. In Ägypten hadern die Revolutionäre mit der Demokratie.

Demokratische Wahlen bringen nicht immer die gewünschten Resultate oder einfache Konstellationen. Diese Erfahrung machen die Ägypter jetzt mit den ersten freien Präsidentschaftswahlen nach dem Sturz des Mubarak-Regimes. Der Sieg von Mohammed Mursi, dem Kandidaten der Muslimbrüder, war keine Überraschung. Doch der zweite Platz von Ahmed Schafik, dem letzten Regierungschef unter Mubarak, hat für viel Entsetzen gesorgt. Mit der Bekanntgabe der offiziellen Resultate am Montag und damit der Bestätigung der Stichwahl am 16./17. Juni zwischen Mursi und Schafik haben Tausende wütender Demonstranten in mehreren ägyptischen Städten ihrem Ärger Luft gemacht. Die Regierung trat zu einer Krisensitzung zusammen.

Vor allem Schafik, als Aushängeschild des Militärapparats, polarisiert und macht Angst vor einer Rückkehr des alten Regimes. In der Nacht zum Dienstag attackierten Demonstranten seine Wahlkampfzentrale in einer noblen Villa im Kairoer Dokki-Quartier und zündeten eine Garage an, in der Werbematerial gelagert wurde. Die Polizei hat mehrere Personen verhaftet. „Schafik Nein“ und „Feloul“, das Schimpfwort für die Ehemaligen, steht auch am nächsten Tag noch an der Gartenmauer. Dutzende Sicherheitskräfte bewachen die Umgebung. Was wollen diese Randalierer? „Wir wollen nur Stabilität“, sagt ein Schafik-Anhänger aus der Nachbarschaft, während die Männer von der Stadtreinigung die Spuren der nächtlichen Gewalt beseitigen.

Demonstrationen gab es nicht nur auf dem Tahrir-Platz in Kairo und in Alexandria, sondern auch in kleineren Städten wie Suez, Mahalla, Kafr el Sheikh oder Assiut in Oberägypten. Die Teilnehmer verlangten insbesondere den Ausschluss Schafiks von der Stichwahl. Mehrere der unterlegenen Kandidaten riefen dazu auf, jede Gewalt zu vermeiden und abzuwarten, bis das Verfassungsgericht sein Urteil gefällt hat. Denn die Richter müssen darüber befinden, ob das neue Gesetz über die politische Isolation, das hochrangige Ehemalige von politischen Ämtern ausschließt, für die Präsidentschaftswahl bereits Gültigkeit hat. Sagen sie Ja, ist Schafik als Regierungschef unter Mubarak von der Wahl ausgeschlossen. Einen Termin für den Urteilsspruch gibt es noch nicht.

Auf die Straße gingen vor allem Sympathisanten des Drittplatzierten, des Nasseristen Hamdin Sabahi und solche, die aktiv an der Revolution beteiligt waren. Sie fühlen sich ausgeschlossen; wollen weder Schafik noch die „Brüder“, wie eine Losung der Demonstrierenden lautet.

In der politischen Arena wird hektisch nach einem Ausweg aus diesem „schockierenden Dilemma“ gesucht, wie sich ein Kolumnist ausdrückte. Mohammed al Baradei hat zudem klargestellt, dass der Kampf jetzt der Verfassung gelten müsse und nicht dem Präsidenten. Mehrere der unterlegenen Kandidaten wollen sich in den nächsten Tagen über das weitere Vorgehen absprechen. Von verschiedenen Seiten wurde die Idee an die Muslimbrüder herangetragen, sie sollten ihren Kandidaten zurückziehen, um für Sabahi Platz zu machen. Damit würde das Image der Muslimbrüder aufpoliert, lautete die Begründung. Ein Führungsmitglied hat diesen Vorschlag bereits als nicht verfassungskonform abgelehnt.

Der liberale Abgeordnete Mustafa al Nagger rechnete den „Revolutionären“ vor, dass sie der größte Block sind, der den Ausgang der Stichwahlen bestimmen kann. Er formulierte deshalb Bedingungen an die Muslimbrüder. Dazu zählt die Nominierung von zwei linken oder liberalen Vize-Präsidenten mit echten Befugnissen und einem Regierungschef von außerhalb der Bruderschaft sowie die Bildung einer verfassunggebenden Versammlung, die nicht von Islamisten dominiert ist. Mursi hat sich am Dienstag an einer Pressekonferenz in Kairo offen für solche Zugeständnisse gezeigt.

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