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Einzelbetreuung. Die Touristen trauen dem Frieden und dem neuen Präsidenten nicht. Eine Frau lässt sich in Sakkara eine Pyramide erklären. Die meisten Hotels bleiben aber leer.

© REUTERS

Ägypten: Viele Versprechen, aber die Wirtschaft lahmt

Das Wirtschaftswachstum am Nil stagniert, die Staatsverschuldung galoppiert, Auslandsinvestitionen sind bei null und der Tourismus liegt nach wie vor am Boden: Ägypten hat viele Probleme, doch der Spielraum des Präsidenten Mursi ist begrenzt. Aber die Erwartungen an ihn sind enorm.

Ausgerechnet Dubais Polizeichef hat den ersten diplomatischen Eklat ausgelöst. „Mursi wird auf allen Vieren gekrochen kommen und wir werden ihm nicht den roten Teppich ausrollen“, twitterte der 60-Jährige und löste damit empörte Demarchen aus zwischen den Staatskanzleien in Kairo und am Golf. Dabei hatte der vorlaute Beamte nur offen ausgesprochen, was auf der Arabischen Halbinsel viele Mächtige denken.

Ägypten braucht Unsummen an Geld – und die Golfstaaten haben es. Am Nil allerdings regiert inzwischen ein Präsident der Muslimbrüder, denen die meisten Öl-Monarchen zutiefst misstrauen. Und so verwundert es nicht, dass Ägyptens neuer Staatschef Mohamed Mursi seine erste Auslandsreise diese Woche nach Saudi-Arabien zu König Abdullah machte, um Bedenken zu zerstreuen und die in der Vergangenheit vage zugesagten Milliardenhilfen nun tatsächlich einzutreiben.

Das Wirtschaftswachstum am Nil stagniert, die Staatsverschuldung galoppiert, Auslandsinvestitionen sind bei null und der Tourismus liegt nach wie vor am Boden. Umgekehrt wissen die Öl-Araber, dass ihre mit satten Sozialgeschenken erkaufte Ruhe daheim schnell dahin sein kann, wenn mit Ägypten die größte und bevölkerungsreichste Nation der arabischen Welt in Chaos, Bankrott, Gewalt und Massenarbeitslosigkeit versinkt.

Allein im Tourismus, in dem vor der Revolution jeder achte Ägypter beschäftigt war, haben 1,5 Millionen Menschen seit dem Sturz von Hosni Mubarak ihren Arbeitsplatz verloren. Von den 270 Nilkreuzschiffen zwischen Luxor und Assuan sind nach Angaben der ägyptischen Tourismuskammer momentan noch höchstens 20 im Einsatz – und das meist halb leer.

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Die Hotelbelegungsrate dümpelt bei 20 bis 50 Prozent. In der Schattenwirtschaft aus Straßenverkauf und gelegentlichen Minijobs arbeiten inzwischen 40 Prozent der Menschen. Und wer noch einen festen Job hat, muss oft erhebliche Lohnabschläge hinnehmen. „Friss oder stirb“ heißt die Devise, berichtet ein Verlagsangestellter, dem sein Einkommen von einem auf den anderen Tag um 60 Prozent zusammengestrichen wurde.

Und so türmen sich die Erwartungen der Bevölkerung auf ein besseres Leben immer höher, während die Gestaltungsspielräume des neuen Präsidenten extrem begrenzt sind. In seinem Wahlprogramm „Renaissance für Ägypten“ hatte Mohamed Mursi den 30 Millionen Armen schnelle Hilfen zugesagt. Den Fellachen versprach er staatliche Zuschüsse, den Slumbewohnern der Städte eine bessere Gesundheitsversorgung sowie staatliche Investitionen in Bildungswesen und Infrastruktur.

Der neue Haushalt jedoch mit seinem Gesamtvolumen von rund 70 Milliarden Euro braucht 80 Prozent allein für Gehälter des total aufgeblähten Staatsdienstes, für Energie- und Brotsubventionen sowie für den Schuldendienst. Und 18 Milliarden des Etats sind nicht durch Einnahmen gedeckt.

„Wir müssen vor allem die Lokomotive Tourismus wieder zum Laufen kriegen“, sagt Hussein al Kazzaz, einer der wirtschaftspolitischen Vordenker der Muslimbrüder, dem Tagesspiegel. Und dann buchstabiert er einen ehrgeizigen Dreistufenplan – „kein einfacher Weg“, wie er sofort zugibt: erstens öffentliche Investitionen mithilfe der Weltbank – Ägypten braucht neue Kraftwerke, Kläranlagen, Brücken und Straßen.

Zweitens Kredithilfen für kleine und mittlere Unternehmen, damit sie Arbeitsplätze schaffen und den wuchernden Sektor der Schattenarbeit wenigstens zum Teil aufsaugen. Als dritte Säule schwebt den islamistischen Wirtschaftsplanern ein Rahmenprogramm für 200 ausländische Investitionsprojekte vor in Branchen wie Textil, Nahrungsmittelproduktion und Tourismus sowie in neuen Feldern wie Sonnenenergie und Software-Dienstleistungen. „Wenn Ägypter im Ausland leben, funktioniert es doch auch“, sagt Kazzaz und fügt hinzu, allein in den USA seien 180 000 Landsleute in gehobenen beruflichen Positionen tätig.

Andere beurteilen die Aussichten dagegen skeptischer. Als Gründe nennen sie vor allem das Misstrauen gegenüber den politischen Zielen der Muslimbrüder sowie die zunehmende Gesetzlosigkeit im Lande. „Ohne öffentliche Sicherheit werden alle Investoren das Weite suchen“, sagt beispielsweise Adnan Ahmed Yousef, Präsident der Vereinigung Arabischer Banken. „Und Veränderung – das wird sehr holprig und hart.“

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