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Ägypten: Warten auf den Abschied

"Was müssen wir tun, damit Mubarak kapiert?", fragten die Leute am Freitag auf dem Tahrir-Platz, wo seit einer Woche doch längst die Welt verändert wird.

Kein Fleckchen Boden ist noch frei. Dicht an dicht knieten die Menschen auf Pappen und Zeitungen, manche auch auf ägyptischen Flaggen. Für die eine Stunde des Freitagsgebets verwandelte sich der Tahrir-Platz inmitten von Kairo in die größte Freiluftmoschee Ägyptens.

„Wir sind frei geboren, und wir werden in Freiheit leben“, rief Scheich Khaled el Marakbi über die Lautsprecher der unübersehbaren Menge zu, die zu seinen Füßen lagerte. „Ich bitte euch um Geduld bis zum Sieg.“ An improvisierten Ausgabestellen für Brot, Orangen und Wasser bildeten sich lange Schlangen. Die gefürchteten Schläger des Regimes waren von der Bildfläche verschwunden.

Nur auf der viel befahrenen Ringautobahn errichteten mit Macheten und Stöcken bewaffnete Marodeure eine Straßensperre, durchsuchten Autos und fragten nach den Ausweisen. Andere sammelten sich in Seitenstraßen der Innenstadt, bis zum Abend noch unschlüssig, ob sie erneut auf die Gegner des Regimes losgehen sollten. Bei denen aber stellte sich wieder die friedliche Stimmung ein, die den Aufstand des Volkes seit dem ersten „Tag des Zorns“ geprägt hat.

„Tag des Abschieds“ nennen sie den Freitag. Heute wollen sie es schaffen, heute wollen sie miteinander feiern, dass Präsident Hosni Mubarak endlich die Macht abgibt. Am Vorabend hatte er erstmals Anzeichen von Resignation gezeigt. „Ich habe es satt, weiter Präsident zu sein“, maulte er in einem Gespräch mit dem US-Fernsehsender ABC. Immer wieder mal hatte er während seiner Amtszeit beteuert, dass er der Politik müde sei – allerdings ohne Konsequenz.

Im Jahr 2005, vor seiner Wahl im September, sprach er davon, wie mühselig und kräftezehrend der Präsidentenjob sei. Nur zwei Jahre zuvor, im November 2003, war Mubarak vor Millionen von Fernsehzuschauern während einer Ansprache im Parlament zusammengebrochen. „Es ist ein Job, der einem kein Privatleben lässt“, sagte er.

Lieber heute als morgen würde er abdanken, sagte Mubarak nun. Er fürchte aber, sein Land werde dann in Chaos und Anarchie versinken. Damit ließ es der greise Potentat dann erst einmal bewenden.

In der Tat – Chaos und Anarchie hat sein Regime in der zurückliegenden Woche mehr als genug angerichtet. Erst schickte Mubarak am vergangenen Wochenende für 48 Stunden seine gesamte Polizei nach Hause, so dass Banden aus marodierenden Geheimpolizisten und entlassenen Strafgefangenen nach Belieben plündernd durch die Stadtviertel der 20-Millionen-Metropole ziehen konnten, bis sich ihnen eilig zusammengetrommelte Bürgerwehren entgegenstellten. Dann trat er am Dienstagabend selber vor die Kameras, versprach Reformen, Verfassungsänderungen und Arbeitsbeschaffungsprogramme. Er selbst werde im September nicht noch einmal als Präsident antreten, kündigte er mit steinerner Miene an. „Ich werde auf Ägyptens Boden sterben“, schloss er seine Ansprache. Und über ihn richten werde einzig die Geschichte.

Er wolle regieren bis zum letzten Atemzug, so hatte es Hosni Mubarak immer gesagt, Präsident Ägyptens seit 1981, unfassbar lang, übertroffen nur vom antiken Pharao Ramses II. und Mohamed Ali Pasha Anfang des 19. Jahrhunderts. Dass die Ereignisse im Land diesen Lebensplan nun unmöglich machen, dass sein Volk, das er doch vor Anarchie und Chaos zu schützen vermeint, ihn nicht mehr als Herrscher wünscht, das scheint Mubarak, im Rücken 30 Jahre Herrschaft, nicht wahrzunehmen, wahrnehmen zu wollen.

Und das beschworene Urteil der Geschichte – es könnte deutlich anders ausfallen, als der 82-Jährige das sich offenbar ausmalt. Bereits am Mittwoch ließ er vor den Augen der fassungslosen Weltöffentlichkeit seine Schläger mit Pferden und Kamelen wie mittelalterliche Heerscharen über die entsetzten Regimegegner herfallen. Stundenlang hallten Gewehrsalven durch die Innenstadt. Von den Hochhäusern warfen Mubaraks Unterstützer Steine und Brandsätze auf die Menschen, die sich in Panik in Sicherheit zu bringen versuchten.

Mehrere Handyvideos zeigen, wie Polizeiautos einfach in die Menge fuhren und Menschen mitrissen. Mindestens 1500 Demonstranten wurden verletzt, insgesamt verloren seit Beginn des Volksaufstandes in Kairo rund ein Dutzend ihr Leben. Eine Million Touristen sind nach Angaben des neuen Vizepräsidenten Omar Suleiman in den letzten neun Tagen Hals über Kopf abgereist. Der Schaden für die wichtigste Branche Ägyptens beläuft sich nach seinen Angaben schon jetzt auf mehr als eine Milliarde Dollar.

„Was müssen wir denn noch tun, damit Mubarak endlich kapiert“, fragten junge Leute am Freitag auf neuen Plakaten. Nach der dramatischsten Woche in Ägyptens jüngerer Geschichte wollen sie noch immer nicht aufgeben – und kämpfen weiter. Eine junge Frau hat eine Sanduhr gemalt, und egal wie man sie dreht, immer steht „Mubarak, hau ab“ oben. „Jetzt bin ich ein Ägypter mit erhobenem Kopf“, steht als Botschaft auf einem Schild, das einem Mann um den Hals hängt.

Sieben Tage lang haben sie ihren „Platz der Befreiung“ nun schon gegen die Angriffe des Regimes verteidigt. Genau eine Woche ist es her, dass die Menschen den Tahrir-Platz eroberten, sich dabei gegen die Sonderpolizei mit ihren Knüppeln, Gummigeschossen und Tränengas durchsetzen mussten. Damals schlugen am Abend meterhohe Flammen aus der Mubarak-Parteizentrale am Nil. Zwei Tage lang drohte das große Feuer auf das Ägyptische Museum am Platz überzugreifen.

Dessen Wachen nutzten das Chaos, plünderten das nagelneue Andenkengeschäft und stiegen am Ende sogar über die hintere Feuerleiter in das obere Stockwerk ein, wo sich der weltberühmte Grabschatz des Tutanchamun befindet. Am Ende lagen ein Dutzend Vitrinen in Trümmern, über 70 pharaonische Ausstellungsstücke zerbrochen auf dem Boden. Eine Menschenkette der Demonstranten verhinderte Schlimmeres, seitdem bewachen Elitesoldaten die Schatzkammer Ägyptens.

Ihr Chef, Verteidigungsminister Mohamed Hussein Tantawi, erschien am „Tag des Abschieds“ sogar persönlich auf dem Platz – als erstes Regierungsmitglied überhaupt. Erneut appellierte er an die Demonstranten, wie tags zuvor bereits Vizepräsident Omar Suleiman per Fernsehansprache, nach Hause zu gehen. „Mubarak hat euch doch gesagt, er kandidiert nicht mehr“, beschwor er die Menschen, die seinen Worten nur unwillig folgen.

Vielleicht glauben sie nicht, was sie hören. Mubaraks pseudodemokratische Wahlen 1987, 1993 und 1999 ohne Gegenkandidaten waren stets reine Formsache gewesen. Erst beim letzten Mal, 2005, gab es auf US-amerikanischen Druck eine Handvoll Gegenkandidaten – die alle chancenlos waren.

Suleiman forderte nun auch die Muslimbruderschaft auf, sich an den Gesprächen mit der Regierung zu beteiligen. „Sagt dem Mursched, er soll sich mit uns zusammensetzen“, rief er und richtete diesen Appell an Mohamed Badie, den Chef der Islamistenorganisation. Der antwortete prompt im Fernsehsender Al Dschasira. Man werde an dem nationalen Dialog teilnehmen, versprach er, aber erst, wenn Mubarak nicht mehr im Amt sei, den er einen „korrupten und ungerechten Tyrannen“ nannte.

Kein Wunder, dass die Muslimbrüder dem Regime nicht trauen. Erst am Morgen hatten Zivilpolizisten das Büro ihrer Onlineredaktion gestürmt und alle 15 Journalisten festgenommen.

Während Friedensnobelpreisträger Mohamed el Baradei zu Hause über ersten Skizzen für die Zusammensetzung einer Übergangsregierung brütete, erschien nun auch erstmals Amre Mussa unter den Demonstranten. Der Chef der Arabischen Liga ist bei den Menschen am Nil populär. Sie lieben seine einfache und ungeschminkte Sprache. Unter Mubarak war er Außenminister, das Gemüt seines früheren Chefs meint er genau zu kennen. Und seinen Landsleuten macht er nur wenig Hoffnung. „Ich glaube, er bleibt noch bis Ende August.“

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