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Ägyptens neuer Präsident Mohammed Mursi

© Reuters

Ägyptens neuer Präsident: Muslimbruder mit Hang zum Pragmatismus

Die ägyptische Wahlkommission hat Mohammed Mursi zum Sieger der Stichwahl um das Präsidentenamt erklärt. Wofür steht der Vertreter der Muslimbruderschaft?

Nun also steht es fest: Der Islamist Mohammed Mursi, der Kandidat der Muslimbruderschaft, ist seit Sonntag, 16.30 Uhr (MEZ) neuer ägyptischer Präsident. Der Mann, der ursprünglich bei der Muslimbruderschaft nur zweite Wahl war, ist demokratisch gewählt – und polarisiert dennoch. Obwohl Mursi in den vergangenen Tagen bemüht war, die Einigkeit des Volkes zu beschwören: „Ich danke Gott für den Sieg, ein Sieg für alle Ägypter“, rief der 60-Jährige in einer für ihn ungewöhnlichen Aufwallung der Gefühle, als ihn seine Anhänger nach der Stichwahl im Hauptquartier der Muslimbruderschaft hochleben ließen. „Wir kommen mit einer Botschaft des Friedens für alle – für die Revolution und die Revolutionäre, für Männer und Frauen, Arbeiter und Studenten, für das Ägypten der Muslime und das Ägypten der Christen“, sagte er.

Beim Machtkampf mit dem Obersten Militärrat, der seit der Auflösung des Parlaments vor zehn Tagen voll entbrannt ist, goss Mursi vorerst kein weiteres Öl ins Feuer. „Ich werde jetzt keine Rechnungen begleichen“, sagte er und fügte hinzu, ihm gehe es vor allem darum, „einen zivilen, demokratischen, modernen und verfassungsmäßigen Staat“ aufzubauen.

Was bisher geschah - Ägyptens langer Weg zur Demokratie:

Doch die koptische Minderheit fürchtet Mursi wegen seiner militanten Ansichten, viele Frauen misstrauen seinem religiösen Dogmatismus. „Der Koran ist unsere Verfassung, die Scharia unser Gesetz“, hatten Mursis Anhänger auf den Wahlveranstaltungen skandiert. „Niemand kann uns stoppen, in eine islamische Zukunft zu marschieren. Dann werden Gottes Gesetze allen ein Leben in Würde eröffnen“, antwortete der Kandidat. In der Schlussphase des Wahlkampfs versuchte er dann vor allem die Ängste der weiblichen Wähler und der Christen vor einer islamistischen Allmacht zu zerstreuen. Seine Präsidentschaft werde basieren auf dem Islam, aber keine Theokratie sein, erklärte er und versprach, einen Christen als Vizepräsidenten zu ernennen.

Video: Mursi wagt Machtprobe mit Militärrat

Bei einer Diskussion in der Kairoer Universität pochten Frauen im Auditorium so lange auf eine eindeutige Antwort, bis Mursi schließlich erklärte, er werde keine Änderungen machen beim Heiratsalter für Frauen, beim Recht für Frauen, eine Scheidung einzureichen sowie beim gesetzlichen Verbot weiblicher Genitalverstümmelung. Auch werde er das Recht der Frauen respektieren, sich nach ihrem Geschmack zu kleiden und in allen Berufsfeldern zu arbeiten. „Einen Zwang zur Verschleierung wird es nicht geben.“

Ägyptens "Langzeit-Pharao" Mubarak:

Mursi hat Ingenieurwissenschaften in Ägypten studiert und in den Vereinigten Staaten promoviert. Zwei seiner fünf Kinder besitzen die amerikanische Staatsbürgerschaft. Vor seiner Kandidatur war er Vorsitzender der „Partei für Freiheit und Gerechtigkeit“, dem politischen Arm der Muslimbruderschaft. Nachdem die Hohe Wahlkommission den Wunschkandidaten der Muslimbruderschaft, den charismatischen Millionär Khairat el Schater, wegen seiner Gefängnisstrafe unter Mubarak disqualifiziert hatte, sprang der konservative Apparatschik Mursi als Ersatzmann ein. „Er wehrte sich und wollte nicht, wir mussten ihn hart bedrängen“, berichtete ein Mitglied des inneren Führungszirkels über die turbulenten Stunden der Entscheidung. Am Ende unterwarf sich Mursi der Disziplin seines islamistischen Politbüros, dem er selbst viele Jahre angehörte.

Im August 1951 in der Provinz Sharqia im Nildelta geboren, blieb der Bauernsohn seiner Heimat bis heute treu. Bis zuletzt arbeitete er als Professor an der Fakultät für Ingenieurwissenschaften in der Provinzhauptstadt Zagazig. Zwischendurch lebte die Familie auch in Kairo und sieben Jahre in Kalifornien. Zurück in Ägypten machte Mursi rasch Karriere in der Muslimbruderschaft, wurde ihr politischer Sprecher und gründete die „Ägyptische Kommission gegen den Zionismus“. Im Verhältnis zu Israel gilt er als Falke, bezeichnete Israelis als „Killer und Vampire“. Im Wahlkampf hatte er meist den radikalen Prediger Safwat el Hegasi dabei, der in Großbritannien Einreiseverbot hat, weil er „terroristische Gewalt verherrlicht“. „Wir wollen die Vereinigten Staaten von Arabien mit Jerusalem als Hauptstadt“, rief dieser den Anhängern zu. Mit Mursi an der Spitze werde man nach Jerusalem ziehen – und wenn das eine Million Märtyrer koste.

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