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Politik: Ägypter stimmen über Verfassungsänderungen ab

Revolutionäre sagen nein, weil sie ihre Erfolge verraten sehen – zu wenig Zeit für Wahl befürchtet

Am Samstag feiert das revolutionäre Ägypten seine demokratische Premiere – die erste wirklich freie Abstimmung nach 30 Jahren Mubarak-Regime. 40 Millionen Ägypter entscheiden per Referendum über ein Paket von elf Verfassungsänderungen, die ein vom Militärrat eingesetzter Expertenrat innerhalb von zehn Tagen ausgearbeitet hatte. Mit dieser Notoperation an dem 211 Artikel umfassenden Grundgesetz sollten zunächst einmal die gröbsten Ursachen für Machtmissbrauch in der Mubarak-Ära entfernt werden.

Die Amtsperiode des künftigen Präsidenten wird von sechs auf vier Jahre gekürzt, nach zwei Amtszeiten muss er einem Nachfolger Platz machen. Der Zugang zu einer Kandidatur wird erheblich erleichtert. Innerhalb von 60 Tagen muss der Gewählte einen Vizepräsidenten ernennen. Die Justiz soll künftig wieder die Aufsicht über alle Wahlen führen. Jeder Ausnahmezustand muss vom Parlament beschlossen werden und darf höchstens sechs Monate dauern. Eine Verlängerung kann nur das Volk per Referendum autorisieren. Mubarak hatte seit 1981 mit dem Ausnahmezustand regiert, der auch jetzt noch nicht aufgehoben ist. Und schließlich legt der neu gefasste Artikel 189 fest, dass sechs Monate nach der nächsten Parlamentswahl eine gänzlich neue Verfassung erarbeitet und dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden soll.

Wie das Votum am Samstag ausfällt, ist jedoch völlig offen. Denn das „Nein“-Lager aus Facebook-Aktivisten und säkularen Parteien, aus Juristen und Menschenrechtlern, aber auch den beiden Präsidentschaftskandidaten Amr Mussa und Mohammed el Baradei ist stark. Das „Ja“-Lager dagegen setzt sich zusammen aus einer ungewöhnlichen Koalition von Muslimbrüdern, Islamisten und alten Mubarak-Apparatschiks.

Aus den Reihen der Gegner kam die schärfste Kritik von el Baradei. Das ganze Verfahren sei überhastet und unüberlegt, „die Errungenschaften der Revolution vom 25. Januar werden mit Füßen getreten“, sagte er. Sollte das Referendum Erfolg haben, müssten innerhalb von zwei Monaten Parlamentswahlen folgen, argumentierte der Friedensnobelpreisträger – viel zu kurz für die jahrelang unter dem Mubarak-Regime kujonierten Parteien, um sich selbst und ihren Wahlkampf zu organisieren. Baradei fordert eine Übergangszeit von mindestens einem Jahr sowie eine komplett neue Verfassung. In die gleiche Kerbe hieb auch der noch amtierende Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa. Er schlug vor, zunächst einmal einen neuen Präsidenten mit einer einmaligen Amtszeit von vier Jahren zu wählen. In dieser Übergangsperiode könnten dann in Ruhe eine neue Verfassung erarbeitet, die Parteien sich organisieren und Parlamentswahlen abgehalten werden. Ägypten würde „schrittweise seinen Weg zu einer vollen Demokratie gehen“.

Die Reihen der Befürworter aus Muslimbruderschaft und Nationaldemokratischer Partei des alten Regimes dagegen setzen auf den Vorteil schneller Wahlen. Sie beide sind straff organisiert, könnten aus dem Stand heraus innerhalb der nächsten 60 Tage ihren Wahlkampf führen und so die neue Volkskammer dominieren. Entsprechend hoch wäre ihr Einfluss auch in der neuen verfassungsgebenden Versammlung und auf die Gestalt der neuen Verfassung, so das Kalkül.

Sollte eine Mehrheit der Wähler jedoch das Referendum ablehnen, „kehren wir zu Punkt null zurück und haben ein großes Durcheinander“, erläutert Raafat Fouda, Professor für Verfassungsrecht an der Kairo Universität. Dann liegt der Ball wieder beim Militärrat. Der müsste entscheiden, ob er an der alten Verfassung festhält, einen zweiten Reformanlauf nimmt mit einem anderen Expertenrat oder ob er die Amtszeit des neuen Präsidenten und den Wahltermin für das neue Parlament einfach per Dekret festlegt. „Viele Ägypter sind noch unentschieden“, schrieb dieser Tage ein Kommentator der liberalen Zeitung „Al Shuruq“.

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