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Politik: Ärzte als Stasi-Spitzel

Berlin - Die deutsche Ärzteschaft hat erstmals eine Studie vorgelegt, die sich mit der Spitzeltätigkeit der ehemaligen DDR-Mediziner auseinandersetzt. Zwar habe die „übergroße Mehrheit“ der ostdeutschen Ärzte weder ein SED-Parteibuch gehabt noch Spitzeldienste für das Ministerium für Staatssicherheit übernommen, berichtet die Wissenschaftlerin Francesca Weil, die für ihre Studie 493 Stasiakten von Medizinern ausgewertet hat.

Berlin - Die deutsche Ärzteschaft hat erstmals eine Studie vorgelegt, die sich mit der Spitzeltätigkeit der ehemaligen DDR-Mediziner auseinandersetzt. Zwar habe die „übergroße Mehrheit“ der ostdeutschen Ärzte weder ein SED-Parteibuch gehabt noch Spitzeldienste für das Ministerium für Staatssicherheit übernommen, berichtet die Wissenschaftlerin Francesca Weil, die für ihre Studie 493 Stasiakten von Medizinern ausgewertet hat. Doch drei bis fünf Prozent der Ärzte – und damit ein größerer Anteil als in der Gesamtbevölkerung – hätten sich für eine Zusammenarbeit mit der Stasi gewinnen lassen und zum Teil vertrauliche Patientendaten weitergegeben.

Als besonders „widerlich“ stufte die Autorin den Fall einer Hautärztin ein, die unter dem Decknamen „Irina“ die Stasi bis zur Wende mit umfangreichem Material über mehr als 1000 ihrer Patienten versorgt hat. So seien im Laufe der Jahre rund 470 Seiten mit intimen Details zusammengekommen. Die Hautärztin habe für ihre Spitzeltätigkeit jeden Monat eine Zulage von 200 Mark kassiert. Der systematische Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht blieb für die Medizinerin bislang offenbar ohne Folgen: Weil, die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung der Universität Dresden ist, berichtet, dass „Irina“ vor zweieinhalb Jahren, als sie nach den Fällen für ihre Studie gesucht habe, noch eine Praxis in den neuen Bundesländern gehabt habe.

Die Verletzung der Schweigepflicht war keine Ausnahme: Gut ein Viertel der IM-Ärzte (28 Prozent) gab laut der Studie Auskünfte über Patienten weiter – von persönlichen und politischen Einstellungen der Betroffenen bis zu intimen Details über deren Gesundheitszustand. „Ärzte erhielten tiefe Einblicke ins Privatleben der DDR-Bürger“, sagt Weil.

Das Ministerium für Staatssicherheit, so berichtet die Wissenschaftlerin, habe seit 1970 kontinuierlich ein IM-Netz innerhalb der Ärzteschaft aufgebaut. Eine große Mehrheit der IM-Ärzte (89 Prozent) wurde eingesetzt, um ihre eigenen Kollegen zu überwachen. So habe der bildungsbürgerlich geprägte Berufsstand als besonders kritisch gegolten, außerdem habe es nach Ansicht der Stasi besonders hohe Flucht- und Ausreisetendenzen unter Medizinern gegeben. Wegen des ausgeprägten Konkurrenzdenkens habe die Stasi darauf setzen können, dass die angeworbenen Ärzte „ohne langes Zögern“ über Arbeitseinstellungen und persönliche Ansichten ihrer Kollegen berichteten.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, bezeichnete es als „absolut unethisch“, dass IM-Ärzte systematisch das Patientengeheimnis verletzt hätten. Er appellierte an die Betroffenen, ihr Gewissen noch einmal zu prüfen, sich zu offenbaren und ihre Schuld einzugestehen. „Ein Wort der Entschuldigung ist das Mindeste, was die Opfer der Bespitzelung erwarten dürfen“, sagte Hoppe. Die Autorin nennt keine Klarnamen, da es ihr um die Erforschung der Strukturen gegangen sei und zudem die Betroffenen zufällig ausgewählt wurden. Die Untersuchung wurde vom Deutschen Ärzteverlag und dem Deutschen Ärzteblatt unterstützt. Cordula Eubel

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