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Ärzte-Demo: Wut auf Ulla Schmidt

Aus Wut und Enttäuschung über die Gesundheitspolitik der Bundesregierung sind am Mittwoch in Deutschland mehr als 25.000 Ärzte auf die Straße gegangen, viele Praxen blieben geschlossen.

Berlin - Sie sind in grünen OP-Schürzen gekommen, in weißen Kitteln oder auch mit einem flackernden Blaulicht auf dem Kopf: Es war eine der größten Ärzte-Demonstrationen seit langem, allein beim Protestzug in Berlin beteiligten sich 20.000 Mediziner. Auch in Mainz, Köln, München oder Freiburg gingen Ärzte auf die Straße. Die Kollegen eint ein Gefühl: Sie wollen nicht länger «Sklaven in weiß» sein, eingezwängt zwischen Gesundheitspolitik und Krankenkassen.

Große Ärzte-Demonstrationen sind in Deutschland ungewöhnlich. Der Berufsstand gilt nicht als sehr protestfreudig und mit seinen vielen Fachverbänden auch nicht als gut organisiert. Doch die Geduld vieler Mediziner ist am Ende. Allein in Berlin blieb rund die Hälfte der 6000 Arztpraxen geschlossen, weil die Mediziner auf die Straße gingen. An den Praxis-Türen hängten die Ärzte erklärende Schilder auf und auch kurze Botschaften wie: «Es muss sein.»

Was die Mediziner so wütend macht, bringt Bundesärztekammer- Präsident Jörg-Dietrich Hoppe unter dem tosenden Beifall tausender Kollegen auf den Punkt: Unmenschliche Arbeitsbedingungen, unbezahlte Mehrarbeit, übertriebene Kassenbürokratie, Kürzungen auf dem Rücken der Patienten und eine unfreie «Staatsmedizin unter politischer Aufsicht». Die Ärzte wünschen sich nicht nur mehr Geld für sich und ihre Patienten. Sie fühlen sich wohl auch als Prügelknaben des Gesundheitssystems, ohne ausreichende Anerkennung für ihre Leistung. Sie haben Trillerpfeifen ausgepackt und Transparente geschrieben. «Erst stirbt die Praxis, dann der Patient», steht darauf.

«Am meisten ärgert mich das tiefe Misstrauen gegenüber allen Ärzten», sagt Friedrike Perl, Vorsitzende des Deutschen Ärztinnenbundes. Die Gynäkologin ist aus Stuttgart angereist, um gegen die «überbordende Bürokratie» mobil zu machen. «30 Prozent meiner Arbeitszeit muss ich für Bürokratie aufwenden. Das ist Zeit, die mir für meine Patienten fehlt.» Der Verband Freie Ärzteschaft geht davon aus, dass niedergelassene Ärzte 30 Prozent weniger Einnahmen erzielen als vor fünf Jahren. Präsident Martin Grauduszus fordert deshalb eine Erhöhung der Kassenhonorare statt der geplanten Strafzahlungen beim Überziehen der Budgets (Bonus-Malus-Regelung).

Der Radiologe Sedat Yilman ist aus Essen zur Berliner Demo gekommen. «Ich fahre jeden Morgen mit Bauchschmerzen in meine Praxis, weil ich Angst habe, dass ein Gerät kaputt gegangen ist», berichtet er. Reparaturen über 3000 Euro könne er aus den laufenden Einnahmen nicht bezahlen. «Die Politik hat uns maximal veräppelt», ergänzt Thomas Troester, Kinderarzt aus dem Ruhrgebiet. Die Kosten für seine Praxis stünden in keinem Verhältnis mehr zu den Einnahmen. «Aber was soll ich machen?», fragt er. «Die Patienten kommen trotzdem.»

In Berlin haben sich die Patienten nach Einschätzung der Kassenärztlichen Vereinigung auf den Protesttag der Ärzte eingestellt. Auch in den Erste-Hilfe-Praxen herrscht nicht mehr Betrieb als üblich. «Die Patienten haben meist ein gutes Verhältnis zu ihrem Arzt und wissen von dem Streik. Viele sind einfach zu Hause geblieben», sagte Ilse Stautner, Notärztin bei der Erste-Hilfe-Station in Kreuzberg.

Bei der Ärzte-Demonstration hat sich die Stimmung bis zum Nachmittag hochgeschaukelt. «Weg mit Ulla Schmidt», brüllen die Mediziner im Chor. Auch der Ruf «Wir sind das Volk» ist zu hören. Ärztekammerpräsident Hoppe sieht sich beim Anblick tausender Kollegen «überwältigt von der Solidarität der Ärzte». Er sagt auch: «Das ist erst der Anfang». (Von Ulrike von Leszczynski, dpa)

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