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Politik: Äthiopien gegen Äthiopien

Rund 200 Tote bei Stammeskämpfen in der Provinz – die Nachbarn belauern und bekriegen sich dort schon seit 100 Jahren

Ein alter Konflikt fordert immer neue Opfer. Bei ethnischen Unruhen in Äthiopien sind kürzlich 196 Menschen ums Leben gekommen. Das gab die Regierung am Mittwoch in der Hauptstadt Addis Abeba bekannt. Das Massaker ereignete sich nach dieser Darstellung am 30. Januar, unmittelbar nach dem Besuch des deutschen Kanzlers Gerhard Schröder im Land, rund 500 Kilometer westlich von Addis Abeba in der Bergbauregion Dimma. Über 200 bewaffnete Männer des dort ansässigen Anuak-Stammes seien über zugewanderte Bergleute aus Südäthiopien hergefallen und hätten 172 von ihnen getötet. Die übrigen Opfer habe es in den Reihen der Angreifer gegeben.

Der Konflikt in der sumpfigen Region um Gambella war einmal einer von Ackerbauern gegen Viehzüchter gewesen. Die heimischen Anuak fühlten sich ständig von den aus Sudan zuwandernden Viehhirten der Ethnie der Nuer bedroht. Dieser Zwist schwelt schon seit der Gründung der am Fluss Baro gelegenen Hafenstadt Gambella durch die Briten vor fast 100 Jahren. Seit Monaten ist jedoch ein neuer ethnischer Kampf entbrannt, der den alten Streit überlagern und anheizen könnte: Die Lokalfürsten der Anuak fühlen sich zunehmend bedroht von Zuwanderern und Regierungsbeamten aus dem zentralen Hochland von Äthiopien. Auslöser für eine Welle der Gewalt war ein Überfall offenbar von Anuak Mitte Dezember auf ein Fahrzeug mit UN-Nummerschild, das mit äthiopischen Regierungsbeamten besetzt war. Alle acht Insassen wurden dabei getötet. Die äthiopische Armee schritt ein und es seien, so meldet die UN-Nachrichtenagentur Irin seinerzeit, Dutzende von Anuak getötet worden. Die Anuak hatten Pläne für den Bau eines neuen Flüchtlingscamps für Nuer aus dem Sudan auf ihrem Territorium abgelehnt.

Während der tagelangen Unruhen im Dezember sollen nach Angaben des äthiopischen Rats für Menschenrechte in Addis Abeba 93 Menschen getötet und 42 verletzt worden sein. 470 Häuser seien abgebrannt worden. Der britische Staatssekretär für internationale Entwicklung, Hilary Benn, schätzt nach einer Äthiopienreise die Zahl der Toten im Dezember gar auf 150.

Nach dem föderalen System Äthiopiens hat in jeder Region die dort wichtigste ethnische Gruppe die Federführung in den lokalen Angelegenheiten. Ihre Sprache ist die Amtssprache. Die Anuak von Gambella aber sehen ihre Position durch die Ankunft von Äthiopiern aus dem Hochland geschwächt. Oromo, Tigriner und Amharen siedeln seit Jahren in Gambella.

Der Rat für Menschenrechte macht die Regierung von Meles Zenawi für die Unruhen in der Provinz verantwortlich: Es sei eine Folge der Völkerpolitik der Regierung, dass sich Äthiopier gegenseitig töteten, die früher in Harmonie zusammengelebt hätten. Äthiopien zählt 65 Millionen Einwohner, die sich auf 87 Ethnien verteilen. Besonders die Entsendung von „Beratern“ aus Addis Abeba nach Gambella soll die örtliche Führerschaft gekränkt haben.

Die Unruhen in der Bergbauregion Dimma, die nahe Gambella liegt, begannen, als Anuak vom Hochland stammende Arbeiter der Goldmine attackierten. Auch ein Polizist der Anuak soll einen „Hochländler“ getötet haben. Dass die Anuak auch Opfer sind, zeigt der Zustrom von 5000 Anuak-Flüchtlingen aus Gambella nach Sudan in die Ortschaft Pachala. Laut UN-Flüchtlingshilfswerk sind vor allem Männer und Jungen auf der Flucht.

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