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Gute Laune: Frauke Petry und Jörg Meuthen, die beiden Parteivorsitzenden der AfD, stehen beim 4. Bundesparteitag der Alternative für Deutschland (AfD) in der Niedersachsenhalle vom HCC in Hannover (Niedersachsen) nach Petrys Rede auf der Bühne.

© dpa

AfD-Parteitag in Hannover: Sie wollen die Retter von Deutschland sein

Das Volk hat Angst, die Presse eine lange Lügen-Nase: Auf ihrem Parteitag stilisiert sich die AfD zur Bewahrerin der Nation. Die Parteispitze aber kassiert eine Niederlage.

Wenn man wissen will, warum die AfD in diesen Monaten so erfolgreich ist und sich in Umfragen zweistelligen Prozentwerten nähert, welche Inhalte dahinterstecken, könnte man auf die Programmarbeit der Partei schauen. Man sähe dann, dass sich die AfD zum bisher letzten Mal im März 2014 auf einem Parteitag mit ihrem Programm beschäftigt hat und dass dieses auch an diesem Wochenende in Hannover, beim dritten Parteitag dieses Jahres, gar nicht erst auf der Tagesordnung steht. Bevor man sich aber über diese geruhsame Programmbildung zu sehr wundert, sollte man Andre Poggenburg zuhören.

Poggenburg ist Landesvorsitzender in Sachsen-Anhalt und Beisitzer im Bundesvorstand, vor allem aber ist er einer der wichtigste Radikalisierer der Partei. Einer derjenigen, die die Spaltung vom Lager des einstigen Vorsitzenden Bernd Lucke vorangetrieben haben und nun die AfD zur Pegida-Partei umbauen. Poggenburg sagt also, auf der kleinen Bühne in der Halle im Hannoveraner Congresszentrum: „Die Stimme der Bürger ist unser Programm.“ So einfach ist das.

Der Satz ist nicht  nur Slogan von Poggenburgs Landesverband für den Landtagswahlkampf im März 2016. Er verbreitet sich längst in ganz AfD-Deutschland. Am Mittwoch erst hat Alexander Gauland, Vorsitzender in Brandenburg, Vize-Bundesvorsitzender und das bürgerliche Antlitz der Partei, den Satz, gedruckt auf ein straßenbreites Banner, durch Cottbus getragen bei einer Demonstration gegen Asylpolitik. Es scheint der neue Kompromiss dieser bisher so zerstrittenen Partei zu sein.

„Ich glaube, das wird für AfD-Verhältnisse recht unspektakulärer Parteitag“, hatte der Co-Vorsitzende Jörg Meuthen zu Beginn des Treffens in Hannover gesagt und sich sichtlich darüber gefreut. Jetzt, wo „diese gewisse Gruppe“, wie Poggenburg das gemäßigtere Lager um Lucke nennt, weg ist. Sie reden an diesem Wochenende über ein paar Resolutionen (Asylpolitik), wählen ein paar unwichtigere, freigewordene Ämter nach, und beschäftigen sich ansonsten mit ihrer Satzung, damit die Partei auch zukünftig von zwei Vorsitzenden geführt werden kann.

Eine davon ist Frauke Petry. Sie war am Vorabend noch beim Bundespresseball in Berlin, was ihr Spott einbrachte mit der „Lügenpresse“ zu paktieren. Nun hält sie in Hannover eine Rede über Angst. Sie sagt: „Wir brauchen die Ängstlichen um Mehrheiten zu bewegen.“ Aus Petrys Sicht will „jeder, der Demokratie, Freiheit und Deutschland liebt“, eigentlich die AfD wählen. Sie will jetzt jene erreichen, „die sich heute noch nicht trauen, zuzugeben, dass sie uns wählen würden, die unsere Ideen für zutreffend halten“.

Parteirhetorik identisch mit der von Pegida

Das ist Behauptung, die auch in Poggenburgs Satz steckt: Das ganze Volk will AfD wählen, weil die AfD ja nur das Gefäß für den Willen des Volkes ist. Da ist die Parteirhetorik identisch mit der von Pegida, deren zehntausend Anhänger sich Woche für Woche als deutsche Volksmehrheit stilisieren.

Das heißt nicht, dass die AfD wirklich alle Positionen des Volkes vertritt, das wird auch auf diesem Parteitag mehr als klar. Der niedersächsische Vorsitzende Armin-Paul Hampel zum Beispiel fordert, für alle 18-45-jährigen Syrer und Iraker, die sich in Deutschland aufhalten, „die Wehrpflicht einführen und sie zum Kampf in ihren Heimatländern auffordern“. Ob Hampel den Geflüchteten einfach eine Waffe in die Hand drücken will, bevor er sie zurückschickt in den Bürgerkrieg, oder ob er aus ihnen eine Art Zwangs-Fremdenlegion der Bundeswehr machen will, bleibt unklar.

Am Nachmittag dann Auftritt desjenigen, der die AfD in den vergangenen Monaten am stärksten geprägt hat. Ganz ohne im Bundesvorstand zu sein oder sich gar an der langweiligen und langwierigen Programmarbeit zu beteiligen. Björn Höcke kommt in den Saal und wird sofort von Delegierten umringt, schüttelt Hände, freut sich. Höcke hat in den vergangenen Monaten fast wöchentlich Demos in Erfurt organisiert, die sich von den Pegida-Demos in Dresden nur durch die AfD-Fahnen unterschieden. Er beschwört dort gerne den völkischen Zusammenhalt gegen den Weltuntergang: „Thüringer, Deutsche, 3.000 Jahre Europa, 1.000 Jahre Deutschland, ich gebe Euch nicht her." Höcke wünscht sich auch: „Wir müssen unsere Männlichkeit wieder entdecken. Denn nur wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft. Und nur wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft, und wir müssen wehrhaft werden, liebe Freunde!“

Höcke ist der heimliche Star

Gute Laune: Frauke Petry und Jörg Meuthen, die beiden Parteivorsitzenden der AfD, stehen beim 4. Bundesparteitag der Alternative für Deutschland (AfD) in der Niedersachsenhalle vom HCC in Hannover (Niedersachsen) nach Petrys Rede auf der Bühne.
Gute Laune: Frauke Petry und Jörg Meuthen, die beiden Parteivorsitzenden der AfD, stehen beim 4. Bundesparteitag der Alternative für Deutschland (AfD) in der Niedersachsenhalle vom HCC in Hannover (Niedersachsen) nach Petrys Rede auf der Bühne.

© dpa

Höcke muss auf dem Parteitag gar nicht sprechen um der heimliche Star zu sein, und er tut es auch nicht. Er lässt Petry und anderen den Vortritt, die dann das mehr oder weniger gemäßigte, bürgerliche Antlitz der Partei zu zeigen versuchen. Petry hat sich zum Beispiel einen neuen Begriff ausgedacht, um die Medien als ganzes angreifen zu können, ohne das hässliche Wort „Lügenpresse“ nutzen zu müssen. Sie spricht jetzt von der „Pinocchio-Presse“. Bedeutet das selbe, klingt nur nicht so sehr nach Göbbels. „Lachen Sie mal über sich selbst!“ ruft sie den Journalisten zu.

Angela Merkel hat aus Petrys Sicht ihren Regierungsauftrag verfehlt, sie verteidige ihr Volk nicht mehr und habe die Kontrolle aufgegeben, weswegen die AfD-Chefin ihr nun zuruft: „Treten Sie zurück! Sie schaffen das!“ Da klatscht und lacht der Saal.

Den Bundesvorstandsmitgliedern auf der Bühne aber vergeht kurz darauf das Lachen. Weil ihnen ihre Partei zeigt, dass sie auch nach der Spaltung vom gemäßigten Lucke-Lager noch längst nicht am Ende ihrer Radikalisierung ist. Dass sie ihre Parteispitze auch jetzt noch vor sich her treibt, wenn sie nicht so will wie sie.

Die Delegierten entscheiden sich nämlich gegen eine Resolution des Bundesvorstandes zur Asylpolitik und für eine radikaleren Entwurf aus Nordrhein-Westfalen. Verfasst hat diesen Martin Renner, der dort Co-Vorsitzender zusammen mit Marcus Pretzell ist und als dessen Gegenspieler gilt. Pretzell ist der neue Lebensgefährte von Frauke Petry und war einst einer der aggressivsten Gegner Lucke, ein Freund lauter, knalliger Worte.

Die NRW-Resolution fordert zum Beispiel die Abschaffung des Rechts auf Familiennachzug. Der Autor der gemäßigteren Variante hält dagegen: „Wenn wir sowas fordern müssen wir doch auch sagen, wie es geht. Den Familiennachzug können wir nicht abschaffen, der steht in der Genfer Konvention. Außer, wir treten aus der aus.“

Das Flüchtlingsproblem soll draußen bleiben

Die Delegierten wollen aber nicht sagen, wie es geht. Wollen nicht sagen, ob sie den wichtigsten völkerrechtlichen Vertrag zum Umgang mit Flüchtlingen aufkündigen wollen.

Ans Saalmikro tritt jetzt Marc Jongen. Er ist Lehrbeauftragter an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, hat eine Doktorarbeit mit dem Titel „'Nichtvergessenheit'. Tradition und Wahrheit im transhistorischen Äon“ geschrieben, und war lange Assistent des Philosophen Peter Sloterdijk. Jetzt aber spricht sich Jongen mit folgendem Argument für die NRW-Resolution aus Jongen: „Entscheidend ist doch, dass wir hier auch knackige, prägnante Formulierungen für die Presse liefern wollen.“

Der verabschiedete Text hat vor allem eine Aussage: Das Flüchtlingsproblem soll bitte draußen bleiben aus Deutschland. So sagen sie es dann aber doch nicht, es scheint doch noch etwas geblieben zu sein vom akademischen Formulierungsanspruch der Partei, die Unter Lucke noch als Professorentruppe galt. Einer der vielen grauhaarigen Redner sagt also stattdessen: „Es geht darum, dass Problem zu exterritorialisieren.“

Der Text erschien zuerst auf Zeit.de.

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