zum Hauptinhalt
Weiter unter Druck: Karl-Theodor zu Guttenberg will im Amt bleiben.

© dapd

Affäre Guttenberg: "Keine Bagatelle"

Karl-Theodor zu Guttenberg hat Fehler beim Erstellen seiner Doktorarbeit zugeben müssen. Welche Auswirkungen hat das auf die Bundeswehr, die Öffentlichkeit und die Wissenschaft?

Wie reagiert die Bundeswehr auf die Affäre Guttenberg?

Die Bandbreite der Reaktionen in der Truppe reicht von der Wahrnehmung des Plagiats als „lässliche Sünde“ bis hin zum Urteil, Karl-Theodor zu Guttenberg sei „als Minister leider nicht mehr tragbar“. Die einen fragen, ob es denn nichts Wichtigeres gebe in der Politik, die anderen stellen bedauernd fest, dass der wissenschaftliche Betrug den „an sich guten Politiker“ nicht unbeschadet lasse und damit auch die anstehende Bundeswehrreform gefährde.

Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Oberst Ulrich Kirsch, sieht den Ruf Guttenbergs als beschädigt an. Die Truppe im Auslandseinsatz messe der Diskussion um die Doktorarbeit zwar „weniger Bedeutung“ bei. Hier in Deutschland aber lägen die Dinge mittlerweile anders: Hier stellten die Soldatinnen und Soldaten fest, dass es „Streu-Effekte“ gebe, dass die Bundeswehr als Ganzes mit „dieser Angelegenheit“ in Verbindung gebracht werde. „Und sie sehen, was sich schon bei den Vorfällen um die Gorch Fock abgezeichnet hat: Das Krisenmanagement ist nicht optimal“, sagte Kirsch dem Tagesspiegel und fügte hinzu. „Sie schütteln den Kopf und fragen sich, musste das sein? Insofern ist der Minister hier schon angekratzt.“

Die entscheidende Frage allerdings, sagte Kirsch, sei aus seiner Sicht nicht, wie es mit dem Minister, sondern wie es mit der Bundeswehrreform weitergehe. Eine Grundvoraussetzung für das Gelingen sei, „dass wieder Ruhe einkehrt – in die Truppe wie ins Ministerium“. Bislang seien noch keine Entscheidungen gefallen. Klar ist für den Oberst: „Unter dem Spardiktat von Finanzminister Schäuble lässt sich die Reform nicht zum Erfolg führen. Das ist utopisch.“ Er sehe die Gefahr, dass Guttenberg tendenziell geschwächt in die anstehenden Verhandlungen um Finanzmittel gehen werde, die nach Kirschs Erwartung „knüppelhart“ werden und „einen starken Minister“ erfordern.

Dasselbe gelte für die Frage der künftigen Stationierung. „Meine Sorge ist, dass Herr zu Guttenberg nach dieser massiven Kritik in der jüngsten Vergangenheit nicht gestärkt in die Auseinandersetzungen gehen wird – im Gegenteil. Ich frage mich, wie er sich durchsetzen wird und sage voraus: Das wird ganz schwierig für uns.“

Ein Sprecher der Bundeswehruniversität in München sagte dem Tagesspiegel, Plagiate gebe es, in Einzelfällen, auch an den Hochschulen der Armee – und je nach Schwere der Verfehlung würden sie unterschiedlich sanktioniert: „Das kann eine schlechte Note sein, das kann aber auch bis hin zu dienstrechtlichen Konsequenzen gehen und disziplinarisch geahndet werden.“ Vor zwei Jahren zum Beispiel sei ein Offizier degradiert worden, weil er eine plagiierte Arbeit eingereicht habe.

Das Urteil über ein Plagiat hänge entscheidend davon ab, ob es sich um eine fahrlässige oder eine vorsätzliche Verfehlung handle. Sollte eine Arbeit, wie es auch Guttenberg von mancher Seite unterstellt wird, überwiegend oder gänzlich von einem anderen als dem Doktoranden selbst verfasst worden sein, einem Ghostwriter also, sei „ein Offizier nicht mehr tragbar“: Wenn die Arbeit als Auftrag vergeben werde, geschehe das ja ganz offensichtlich vorsätzlich. Im Paragraf 17 des Soldatengesetzes über das Verhalten im und außer Dienst heißt es zudem, der Soldat habe sich so zu verhalten, dass es „dem Ansehen der Bundeswehr“ gerecht wird. Einen Ghostwriter zu beauftragen wäre nach seiner Auffassung „eine grobe Pflichtverletzung“, sagte der Sprecher.

Hatte er seinen Titel zu früh geführt?

Das Führen von Titeln, die man tatsächlich nicht besitzt, ist in Deutschland strafbar. Und so löste es einiges Aufsehen aus, als die „Berliner Zeitung“ am Mittwoch meldete, Guttenberg solle deswegen angezeigt werden. Die Zeitung berief sich auf einen ehemaligen Bundeswehroffizier. Dessen Angaben zufolge trug Guttenberg bereits im Jahr 2007 seinen Titel, obwohl er dazu erst nach der Veröffentlichung der Dissertationsschrift im Jahr 2009 berechtigt gewesen wäre. Dem Ex-Offizier, immerhin selbst ein promovierter Chemiker, war dabei ebenso wie der Zeitung entgangen, dass es sich um ein eher gewöhnliches Geschehen handelte. Laut Promotionsordnung der Uni Bayreuth darf der Bewerber den Titel zwar erst nach Aushändigung der Doktorurkunde führen, die er nur bekommt, wenn er zuvor gedruckte Dissertationsexemplare abgeliefert hat, Paragraf 18 Absatz 3. Doch haben nur die wenigsten Regeln keine Ausnahme. Hier steht sie gleich in Absatz 4: Der Dekan kann das Führen des Titels befristet auch ohne gedruckte Exemplare und Urkunde gestatten, wenn der Aspirant einen Verlagsvertrag vorlegen kann und die Veröffentlichung dadurch hinreichend gesichert erscheint.

Es wäre von einem selbstbewussten Politiker auf dem Weg nach oben viel verlangt, auf diese Option verzichten zu sollen. Also bestätigte der schon etwas genervt wirkende Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät Markus Möstl, man habe die Genehmigung im Mai 2007 erteilt. Guttenberg ließ sie später noch einmal verlängern, ehe er im Januar 2009 die Urkunde in Empfang nahm. „Alles ordnungsgemäß“, betonte Möstl am Mittwoch.

In der Tat hätte Guttenberg sonst womöglich eine Torheit begangen, die die Plagiatvorwürfe noch übertreffen könnte. Titelmissbrauch wird mit Geldstrafe oder Haft bis zu einem Jahr bestraft. Grund ist der Schutz vor Hochstaplern. Das Vertrauen in die Titelträger und ihre Berufe soll damit gestärkt werden. Auch das ist ein Hinweis darauf, wie ernst der Staat akademische Würden nimmt. Sie haben, anders als die Kanzlerin meint, nicht nur Bedeutung für die Wissenschaft.

Welche Strategie hat die "Bild"-Zeitung?

Bei Castingshows wie der RTL-Sendung „Deutschland sucht den Superstar“ wird per Zuschauervoting darüber entschieden, ob ein Kandidat in die nächste Runde kommt oder rausfliegt.

Die „Bild“ findet eine solche Methode anscheinend auch angemessen, um über die Zukunft des Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) abzustimmen. Auf der Titelseite und auf seiner zweiten Seite rief das Boulevardblatt aus dem Axel Springer Verlag am Mittwoch seine Leser dazu auf, per Anruf, Fax und Brief zu entscheiden: Soll Guttenberg Minister bleiben? Oder soll er zurücktreten?

Im Gegensatz zu den Castingshows haben die Stimmen der Zuschauer in diesem Fall freilich keine Konsequenzen. Was das „Volk“ will, soll mit der Abstimmung herausgefunden werden, hieß es in dem Artikel.

Repräsentativ kann eine solche Umfrage jedoch schon alleine deshalb nicht sein, weil eine mehrfache Beteiligung möglich war. Interessant auch, dass zwar kostenpflichtig per Telefon, Fax und Brief an der Umfrage teilgenommen werden konnte, nicht aber kostenlos per E-Mail.

Dass das internetaffine Publikum Guttenberg offenbar eher kritisch beurteilt, hat die „Bild“ auf ihrer Homepage Bild.de erfahren. Eine Umfrage auf der Homepage der Zeitung ergab, dass sich am Mittwoch 55 Prozent der Teilnehmer für einen Rücktritt des Bundesverteidigungsministers aussprachen. Trotzdem verwiesen die Zeitung und Bild.de in verschiedenen Artikeln auf das angeblich positive Stimmungsbild für Guttenberg im Netz.

Ein „Verlierer“ ist Guttenberg für die „Bild“ offenbar noch nicht. Mehrfach hatte die Zeitung in der gleichnamigen Rubrik auf ihrer Titelseite über Politiker berichtet, die unrechtmäßig ihren Doktortitel erworben haben sollen. „Dr. Lüg“, „Dr. Schummel“, „Dr. Seltsam“ oder „Dr. Schwindel“ wurden sie von dem Boulevardblatt genannt, wie Bildblog.de schreibt. Mit einem solchen Titel hat die „Bild“ Guttenberg bisher nicht bedacht.

Wie reagiert die Wissenschaft auf den politischen Umgang mit der Plagiatsaffäre?

Entsetzt sind Wissenschaftler vor allem, dass sich auch Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) demonstrativ vor Guttenberg gestellt hat. Parteipolitisch sei Schavans Bekenntnis zu Guttenberg vielleicht verständlich, forschungspolitisch aber „unmöglich und daneben“, kritisiert der Juraprofessor Alexander Blankenagel von der Humboldt-Universität. Es sei „erstaunlich, dass die zuständige Bundesforschungsministerin den Plagiatsfall kleinredet“, sagt auch der Elitenforscher Michael Hartmann von der TU Darmstadt.

Schavan hatte am Dienstag auf die Frage, welches Vorbild Guttenberg für Studenten und Schüler gebe, geantwortet: „Man wird nicht Minister, weil man promoviert ist, sondern Kompetenz hat man im Politischen.“ Die Ministerin ist selber promoviert und Honorarprofessorin an der Freien Universität Berlin.

„Wenn man das kleinredet, wird man mit ähnlichen Fällen in der Zukunft große Probleme haben“, warnt Hartmann. Blankenagel, der bei Guttenbergs Doktorvater habilitiert hat, erinnert Schavan an ihre „spezifische Ressortverantwortung“. Es stelle sich etwa die Frage, wie Schavan künftig glaubwürdig für die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) zuständig sein könne, die Gremien gegen wissenschaftliches Fehlverhalten eingesetzt habe. Die DFG ist die größte deutsche Förderorganisation in der Wissenschaftund und wird zu 58 Prozent vom Bund finanziert.

Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler von der Humboldt-Universität sagt dagegen: „Ich habe von Schavan nichts anderes erwartet.“ Aus Parteiräson bleibe Schavan gar nichts anderes übrig. Guttenberg habe geschickt gehandelt, indem er auf den Titel verzichte, obwohl das eigentlich gar nicht möglich ist. Wenn die Uni Bayreuth ihm den Titel jetzt aberkenne, verpuffe das einfach.

Bei seinen Studierenden merke er immerhin den „Effekt des Freiherrn zu Googleberg“, sagt Münkler. Die seien verunsichert, wie man richtig zitiert.

Dass die konservative Seite den Fall verharmlose, kritisieren in einem offenen Brief an den bayrischen Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) auch sechzig Literaturwissenschaftler der LMU München. „Leider“ würden manche Politiker die Position vertreten, „bei dem Verhalten des Promovenden handele es sich um ein Kavaliersdelikt wie Falschparken“. Diese Sichtweise erschwere es sehr, Studierenden wissenschaftliche Standards zu vermitteln. Der Minister müsse ihr entgegentreten. Heubisch antwortete am Mittwoch: Plagiate seien „keine Bagatelle“, erklärte er, ohne Guttenberg namentlich zu erwähnen.

Bei Promotionen, die wie bei Guttenberg allein der Karriere dienen sollen, tauchten solche Skandale aber immer wieder auf, sagt Hartmann. Er schlägt vor, „das Problem der Karrieredoktortitel“ daher grundsätzlich aus der Welt schaffen. Künftig sollten Doktortitel nicht mehr im Pass geführt werden, wie es auch in anderen Ländern wie in den USA üblich ist. Die Titel sollten von Visitenkarten außerhalb der Wissenschaft verschwinden. „Damit erlischt der Anreiz, eine Promotion nur aus Prestigegründen zu machen“, sagt Hartmann.

Hinter dem Fall Guttenberg scheine tatsächlich das tiefere Problem auf, dass „die deutsche Sehnsucht nach Titeln als Mittel von Prestige, Karriere und Hierarchie“ ungebrochen sei, sagt der FU-Historiker Paul Nolte von der Freien Universität. Er appelliert an die Politiker: „Verzichtet auf akademische Überambitionen!“

Doch warum bleibt Guttenberg trotz der Affäre in der Bevölkerung weiterhin so beliebt? Michael Hartmann sieht einen ähnlichen Effekt wie in Italien bei Silvio Berlusconi und in Österreich bei Jörg Haider. Wie sie schaffe es Guttenberg, sich als „einer außerhalb der Politik zu inszenieren“.

Seine Botschaft ist: Ich bin nicht so wie die anderen Politiker." Viele identifizierten sich daher mit ihm. Hartmann hält das für „kurios“. Schließlich verbinde Guttenberg schon wegen seines Reichtums nichts mit der Mittel- und Unterschicht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false