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Affäre Strauss-Kahn: Amerikaner beleidigt über Kritik an US-Justiz

Transatlantische Verstimmung: Europäer verstehen nicht, warum IWF-Chef Strauss-Kahn in Handschellen gezeigt wird. Amerikaner fragen sich, warum einige Vergewaltigungsversuche als Kavaliersdelikt abtun.

Was sich wirklich am Samstagmittag im Luxushotel Sofitel in New York abspielte, müssen erst die Ermittler und dann die Gerichte klären. Schon jetzt hat die Affäre Strauss-Kahn eine transatlantische Verstimmung ausgelöst. Verschiedene kulturelle und strafrechtliche Traditionen prallen aufeinander. Rasch ist der Vorwurf der Manipulation zur Hand, wenn Abläufe und Einschätzungen sich allzu sehr von denen unterscheiden, die man im eigenen Land gewohnt ist.

Vor allem die französischen Medien und generell viele Europäer sind in heller Empörung über den Umgang der amerikanischen Justiz mit dem IWF-Chef. Sie missachte das Prinzip der Unschuldsvermutung, wenn sie Dominique Strauss- Kahn in Handschellen den Kameraleuten vorführe – noch ehe Anklage erhoben war. Und warum kommt er nicht gegen eine Millionenkaution auf freien Fuß, bis der Prozess beginnt? Amerikaner wiederum erregen sich, dass Europa die Vorwürfe versuchter Vergewaltigung offenbar für ein Kavaliersdelikt halte. Sie sind zudem verunsichert und ein bisschen beleidigt über die harte Kritik an ihrem Justizsystem. Es habe Schwächen, Justizirrtümer passieren, aber im Grunde halten sie es für das beste der Welt.

Natürlich gelte bis zum Urteil die Unschuldsvermutung, leitet die „Washington Post“ ihren Kommentar ein, fragt aber nicht, ob der Grundsatz eingehalten wurde, sondern erklärt den Ablauf zu einer historischen Errungenschaft: Es sei ein großer Fortschritt, dass „die Zeiten vorbei sind, als mächtige Männer erwarten durften, dass solche Vorfälle als Missverständnisse abgetan … und nicht als kriminelle Handlungen verfolgt wurden“. Mit einer Mischung aus Überraschung und Belustigung schildern die „New York Times“ und das „Wall Street Journal“ die Aufregung in Frankreich und die Vorwürfe, die US-Justiz gehe unfair gegen Strauss-Kahn vor oder sei gar einem inszenierten Skandal aufgesessen, mit dem innenpolitische Feinde dessen Präsidentschaftskandidatur verhindern wollten.

Ähnliche Reflexe hatte es zuletzt beim Auslieferungsverfahren gegen den polnischstämmigen Regisseur Roman Polanski gegeben. 1977 soll er eine 13-Jährige in Los Angeles unter Alkoholeinfluss zum Geschlechtsverkehr verführt haben. Während des Gerichtsverfahrens floh er nach Frankreich, das kein Auslieferungsabkommen mit den USA hat. Polanski sagt, er habe fliehen müssen, weil die Staatsanwaltschaft das Verfahren manipuliert habe und ihm einen fairen Prozess verweigerte. Die USA setzten ihn auf die internationale Fahndungsliste. Als Polanski 2009 in die Schweiz reiste, wurde er dort festgenommen, aber am Ende nicht an die USA ausgeliefert.

Wie damals behaupten US-Medien auch jetzt im Fall Strauss-Kahn, der Umgang Europas mit Sexualität sei zu locker – und spotten umgekehrt Europäer, Amerika sei prüde und sensationslüstern im Umgang mit Sexualdelikten. Generell behandelt das US-Justizsystem Verdächtige härter, als man das in Europa kennt. Viele Staatsanwälte und Richter bekleiden Wahlämter. Das Bemühen, sich im Einklang mit der mutmaßlichen Volksmeinung zu zeigen, gilt als Tugend, nicht als Befangenheit. Das Trophäenfoto, das einen festgenommenen Verdächtigen in Handschellen zeigt, hat Tradition und wird als Beleg verstanden, dass die Ermittler ihre Arbeit ernst nehmen.

Eine Schlüsselrolle spielt die Tatzeit. Die Ermittler nannten erst 13 Uhr, später 12 Uhr. In Frankreich weckt das den Verdacht der Manipulation. Denn ab 12.28 Uhr habe Strauss-Kahn ein Alibi. Amerikaner finden es ganz normal, dass sich im Laufe der Ermittlungen neue Details ergeben. Auch die Verweigerung der Freilassung gegen Kaution hat einen nationalen Hintergrund. Bei Ausländern unterstellt man in die USA von vornherein Fluchtgefahr. Das fehlende Auslieferungsabkommen stärkt den Verdacht noch.

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