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Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) muss sich gegen Vorwürfe verteidigen, er habe den Bundestag belogen.

© Michael Kappeler/dpa

Affäre um Ermittlungen wegen Landesverrats: Kumpelte das Justizministerium mit "netzpolitik"?

Offenbar schickte das Haus von Heiko Maas den Bloggern ein nichtöffentliches Parlamentsprotokoll. Die Rechtsausschuss-Vorsitzende Künast protestiert.

Es gab viel zu klären bei der „netzpolitik“-Affäre im Rechtsausschuss vor einem Jahr. Damals rechtfertigte sich Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) für seine Einmischung bei den Ermittlungen gegen zwei Blogger wegen Landesverrats. Publikum und Presse waren nicht dabei, entsprechend wurden die Protokolle für die Öffentlichkeit gesperrt. Doch seit kurzem kann die Sitzung bei „netzpolitik“ nachgelesen werden – weil das Justizministerium die Protokolle offenbar selbst übermittelt hat. Während die Bundestagsverwaltung sie nicht habe „herausrücken“ wollen, habe Maas’ Pressestelle „das zeitgeschichtliche Dokument freundlicherweise zugeschickt“, heißt es auf dem Internet-Portal.

Für die Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses Renate Künast (Grüne) ist der Hilfsdienst eine Missachtung des Parlaments. Bei Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat sie sich jetzt über den Fehltritt beschwert. „Obwohl ich persönlich die Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen auch in diesem Punkt begrüße, ist es doch richtig, dass die Entscheidung über den Umgang mit dem Protokoll einer nichtöffentlichen Sitzung dem Deutschen Bundestag zusteht“, heißt es in einem Brief an Lammert, der dem Tagesspiegel vorliegt. Über ein solches Dokument dürfe nicht „eigenmächtig verfügt werden“. Maas’ Ministerium verhält sich zu dem Vorgang auffällig still. Trotz Anfrage vom Mittwoch gab es bisher keine Stellungnahme.

Künast hält außerdem die Erklärung von Maas für unglaubwürdig, das Ministerium habe bei den Ermittlungen gegen die Blogger vor einem Jahr keinerlei Weisung erteilt. „Klar ist doch, eine Weisung liegt nicht nur vor, wenn das ausdrücklich geschrieben oder gesagt wird. Wer als Vorgesetzter eine klare Erwartung äußert oder das Ergebnis einer Sitzung zusammenfasst, meint das auch als Weisung.“ Sie forderte den Minister auf, sich erneut vor dem Parlament zu erklären. „Alle Abgeordneten, die vor einem Jahr bei dieser Sitzung dabei waren, haben den Eiertanz mitbekommen“, sagte Künast. „Schon damals war klar, dass entweder der Minister oder der Generalbundesanwalt sich die Wahrheit zurechtgebogen haben.“ Maas trete demnächst wegen des Haushalts vor dem Rechtsausschuss auf, „da wäre eine Aussage dazu sinnvoll“.

Das Justizministerium wollte auf dem Höhepunkt der Affäre im August 2015, dass der damalige Generalbundesanwalt Harald Range einen Gutachter zurückpfeift, der die Veröffentlichungen von „netzpolitik“ über den Verfassungsschutz für den Verrat eines Staatsgeheimnisses hielt. Maas behauptete in der fraglichen Sitzung nachdrücklich, weder er noch seine damalige Staatssekretärin Stefanie Hubig (SPD) hätten Range angewiesen. Vielmehr sei das Vorgehen gemeinsam vereinbart worden. So gemeinsam kann das allerdings nicht gewesen sein: Range beklagte öffentlich einen „unerträglichen Eingriff“ in seine Unabhängigkeit und verlor seinen Job, das Strafverfahren gegen die Blogger wurde eingestellt.

An der Darstellung des Ministers gibt es nicht nur deshalb Zweifel. Die Berliner Staatsanwaltschaft kam nach Tagesspiegel-Informationen bei Ermittlungen gegen Maas wegen möglicher Strafvereitelung zu dem Ergebnis, das damals eine Weisung vorgelegen haben muss. Zudem belastet ein Vermerk den Minister, in dem Range festhalten ließ, Staatssekretärin Hubig habe ihm mit Entlassung gedroht, sollte er nicht parieren. Maas muss sich seitdem gegen den Vorwurf verteidigen, er habe das Parlament belogen. Seine Ex-Staatssekretärin Hubig sagt, sie habe „ein reines Gewissen“. Es sei von Anfang an klar gewesen, dass der Bundesanwaltschaft keine Weisungen erteilt würden. In den Gesprächen mit Range habe sie sich bemüht, zu Ergebnissen zu gelangen, die auch für seine Behörde in Ordnung seien. „Erst im Nachhinein war klar, dass es sehr unterschiedliche Wahrnehmungen der Gespräche gab.“

Weshalb den „netzpolitik“-Bloggern das Protokoll geschickt wurde, ist unklar. „Als Vorsitzende eines Bundestagsgremiums wundere ich mich, wie ein Ministerium ein nichtöffentliches Protokoll des Bundestags einfach mal in die Öffentlichkeit geben kann“, sagt die Grünen-Politikerin Künast. Oftmals werde Abgeordneten unterstellt, nicht ordentlich mit als vertraulich eingestuften Papieren der Regierung umzugehen. „Scheinbar ist es andersherum.“ Der Bundestagspräsident werde „deutliche Worte“ gegenüber der Bundesregierung sprechen müssen.

Üblicherweise weigern sich staatliche Stellen einschließlich Lammerts Bundestagsverwaltung strikt, die Protokolle nichtöffentlicher Ausschusssitzungen an die Presse zu geben. Diese Praxis hatte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg im Januar 2015 nach einer Tagesspiegel-Klage vorläufig bestätigt. Der Umgang mit solchen Dokumenten falle in die Parlamentsautonomie und habe Verfassungsrang, hieß es damals in dem Eilbeschluss (Az.: OVG 6 S 42.14). Würden die Protokolle gegen den Willen des Parlaments an die Presse gegeben, wäre das „objektive Verhandlungsklima jenseits parteipolitischer Profilierungsbedürfnisse“ in den Ausschüssen gefährdet. Einsicht könne daher erst nach dem Ende einer Wahlperiode gewährt werden. Ein derzeit noch laufendes Hauptsacheverfahren will das Berliner Verwaltungsgericht noch in der zweiten Jahreshälfte entscheiden (Az: VG 27 K 380.14). In dem Rechtsstreit klagt der Tagesspiegel auf die Herausgabe der Protokolle zu den Sitzungen des Innenausschusses zum Fall der Kinderporno-Affäre des SPD-Politikers Sebastian Edathy (SPD).

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