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Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD).

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Update

Affäre um "netzpolitik.org": Regierung wies Ermittler an und leugnete später

Staatsanwälte widersprechen Justizminister Heiko Maas in der Affäre um „netzpolitik“ – sehen aber keine Strafvereitelung. Demnach hat das Ministerium seine Auffassung durchgesetzt. Wie die Staatsanwaltschaft den Fall sieht.

Mit dem Abschluss ihrer Ermittlungen zur „netzpolitik“-Affäre um den angeblichen Landesverrat von Journalisten widerspricht die Berliner Staatsanwaltschaft der Bundesregierung und Justizminister Heiko Maas (SPD). Auf dem Höhepunkt der Affäre vor einem Jahr hatte die Regierung behauptet, in dem Verfahren wegen Preisgabe von Staatsgeheimnissen seien keinerlei ministerielle Weisungen an den damaligen Generalbundesanwalt Harald Range erteilt worden. Range hatte nach Berichten bei „netzpolitik“ über Pläne des Bundesamtes für Verfassungsschutz zur Internet-Überwachung in dem Fall ermittelt und einen Anfangsverdacht wegen Landesverrats gesehen. Nachdem Maas intervenierte, wurde das Verfahren eingestellt. Range verlor seinen Posten.

Die Berliner Strafverfolger, die den Fall im Hinblick auf eine mögliche Strafvereitelung durch den Minister und seine damalige Staatssekretärin Stefanie Hubig (SPD) über mehrere Monate untersucht haben, sehen dies jedoch grundlegend anders: Maas und Hubig hätten damals ihre Rechtsaufassung in dem Verfahren gegen die Blogger sehr wohl „im Wege der Weisung durchgesetzt“. Da das Ministerium mit der Weisung allerdings noch im Rahmen seiner Befugnisse gehandelt habe, gebe es „keine zureichenden Anhaltspunkte“ für einen Verdacht gegen die Beschuldigten. So steht es nach Tagesspiegel-Informationen in der internen Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom März dieses Jahres.

Weisungsrecht verstößt gegen Unabhängigkeit der Justiz

Die Zulässigkeit derartiger Einmischungen von Justizministern in Ermittlungen der ihnen nachgeordneten Behörden ist seit langem umstritten. Viele Richter und Staatsanwälte fordern die Abschaffung des so genannten externen Weisungsrechts wegen eines Verstoßes gegen die Unabhängigkeit der Justiz. Grundsätzlich sind die Ressortchefs in Bund und Ländern befugt, sich im Rahmen ihrer Dienstaufsicht auch in laufende Ermittlungen einzuschalten. Dies jedoch nur, soweit das Gesetz Ermessens- oder Beurteilungsspielräume zulässt. Im Übrigen sind die Minister – wie die Staatsanwälte – eng an Recht und Gesetz gebunden. Die meisten Minister verzichten deshalb ganz auf Weisungen. Auch Maas will bisher keine erteilt haben. Die Bundesregierung hat diese Sichtweise übernommen. Auf Anfrage der Grünen-Fraktion erklärte sie Ende August 2015, der Minister habe „zu keinem Zeitpunkt von seinem Weisungsrecht gegenüber dem Generalbundesanwalt Gebrauch gemacht“.

Nach den Erkenntnissen der Berliner Ermittler hatte Hubig Anfang August 2015 in einem Telefonat mit Range angeordnet, den Auftrag an einen externen Gutachter zurückzuziehen. Dieser sollte untersuchen, ob ein Staatsgeheimnis vorliegt. Nach dessen erster Einschätzung war dies der Fall. Als Range das Ergebnis nach Berlin meldete, zogen Maas und Hubig die Notbremse, Range gehorchte. Den Ermittlern zufolge hatte Hubig dem Behördenleiter gedroht, er werde entlassen, wenn er die Weisung nicht befolge. Das Justizministerium erstellte später ein eigenes, bislang unter Verschluss gehaltenes Gutachten, demzufolge die „netzpolitik“-Berichte straffrei waren.

Das Geschehen um die Blogger beschäftigte im vergangenen Sommer Politik und Öffentlichkeit. Es war das erste Mal seit Jahrzehnten, dass gegen Journalisten wegen Landesverrats ermittelt wurde. Anlass war eine Strafanzeige vom Präsidenten des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen.

Viele Medien und Presse-Verbände reagierten empört und solidarisierten sich mit den Bloggern. In der Bundesregierung, die bis hinauf in das Kanzleramt frühzeitig in die Ermittlungen eingeweiht war, änderte sich daraufhin der Kurs. Für ihre Intervention beim Generalbundesanwalt bekamen Maas und Hubig ausdrücklich Rückendeckung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Vereinigung der Bundesrichter und Bundesanwälte am Bundesgerichtshof kritisierte dagegen die „politische Einflussnahme“ und warnte vor einer „schwerwiegenden Gefahr für den Rechtsstaat“.

Bundesanwalt Range wurde in den Ruhestand versetzt

Um zu ihren Ergebnissen zu gelangen, genügten den Ermittlern die Verfahrensakten des Generalbundesanwalts sowie die öffentlichen Erklärungen der Protagonisten, allen voran Maas und Range. Range hatte erklärt, man habe ihn angewiesen, einen Gutachtenauftrag zurückzuziehen. Maas wiederum erklärte, dies sei „nicht zutreffend“. Vielmehr sei die Rücknahme des Gutachtens zur Frage, ob ein Staatsgeheimnis vorliegt, mit Range einvernehmlich verabredet worden.

Nicht zuletzt ein Tagesspiegel-Bericht zur Mitwirkung des Justizministeriums bei der Gutachterauswahl war es laut den Ermittlern, der zu insgesamt 22 Strafanzeigen gegen Maas wegen Strafvereitelung führte, unter anderem von Rechtsanwälten und der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag. Lag in dem Vorgehen, das externe Gutachten, das eine Strafbarkeit der Journalisten nahelegte, gegen ein internes des Ministeriums auszutauschen eine „in Strafvereitelungsabsicht veranlasste Beweismittelunterdrückung“? Immerhin ging es um die entscheidende Frage in dem Verfahren. Hätte der von Range beauftragte Gutachter sein Ergebnis präsentieren dürfen, wäre es höchstwahrscheinlich zu einer Anklage gekommen. So aber ließ Maas ein internes Gutachten erstellen, dass zum politisch erwünschten Ergebnis kam: Die Berichte der Blogger über den Verfassungsschutz gäben keine Staatsgeheimnisse preis.

Die Berliner Staatsanwaltschaft sieht dieses Vorgehen noch als von den Befugnissen des Ministers gedeckt an. Unter Berücksichtigung aller Erkenntnisquellen, heißt es in der Einstellungsverfügung, sei „von einer im Wege der Weisung durchgesetzten Rechtsauffassung auszugehen“. Es habe danach eine „die rechtliche Sachbehandlung betreffende Einzelfallweisung vorgelegen“. Die Inanspruchnahme eines Sachverständigen sei nicht geboten gewesen. Somit liege in der Anweisung, den Gutachter umgehend von seinem Auftrag zu entbinden, auch kein „angeordneter Verzicht auf ein unwiderbringliches Beweismittel“.

Range wurde aufgrund des Streits in den Ruhestand versetzt. Eine entsprechende Drohung der Staatssekretärin, so die Staatsanwälte sei keine Nötigung gewesen, da sie nicht „verwerflich“ gewesen sei. Das Justizministerium habe ein „weitreichende Befugnis“, um Generalbundesanwälte zu entlassen. Nachdem Range zu erkennen gegeben habe, auf das Ergebnis seines externen Gutachtens nicht zu verzichten, „musste von einer fehlenden Bereitschaft zu einer künftigen übereinstimmenden Amtsführung ausgegangen werden“.

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