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Soldaten einer US-Basis im Panjwai-Distrikt bei Kandahar.

© Reuters

Afghanistan: Amoklauf von US-Soldat gefährdet Friedensprozess

Die Schüsse eines US-Soldaten auf Zivilisten in Afghanistan haben Angst vor einer neuen Protestwelle am Hindukusch geschürt. Wie geht es nun weiter?

Dabei scheint in die Gespräche zwischen den USA und den Taliban über eine friedliche Lösung eigentlich gerade erste Bewegung zu kommen. Fünf Anführer der radikal-islamischen Taliban könnten aus dem US-Gefangenenlager Guantanamo entlassen und in den Golfstaat Katar überstellt werden. Dies bestätigte ein Sprecher von Afghanistans Präsidenten Hamid Karsai.

Was ist in Afghanistan passiert?

Der Mann soll am Sonntag um drei Uhr nachts seinen Stützpunkt in der Provinz Kandahar verlassen und das Feuer auf Zivilisten eröffnet haben. Dabei habe er zwischen zehn und 16 Menschen, darunter Kinder und Frauen, getötet, sagten Provinzbeamte. Provinzchef Torjalai Wesa bestätigte Tote, die Nato sprach zunächst nur von Verletzten. Der Vorfall werde noch untersucht, hieß es. Nach Aussagen von Dorfbewohnern gegenüber Medien drang der US-Soldat in drei Häuser ein und schoss auf die Bewohner. „Elf meiner Familienmitglieder sind tot. Sie sind alle tot”, sagte Haji Samad aus dem Dorf Najeeban der Agentur AFP. Nach Regierungsangaben sind unter den Todesopfern neun Kinder und drei Frauen. „Wir wissen nicht, warum er die Leute tötete”, zitierte die „New York Times“ einen Augenzeugen namens Aminullah. „Es gab keinen Kampf und keine Attacke.“ Der Bezirk gilt als eine traditionelle Taliban-Hochburg . Der Soldat wurde festgenommen, über mögliche Motive war zunächst nichts bekannt. Die ISAF kündigte eine Untersuchung an und beeilte sich, den Vorfall zutiefst zu bedauern und den Angehörigen Hilfen zuzusichern. Sie schien sichtlich nervös, dass der Vorfall das Image der ausländischen Soldaten weiter ruinieren und neue Unruhen provozieren könnte.

Welche Folgen könnte dieser Vorfall haben?

Er könnte die Wut auf die USA weiter anheizen. Erst vergangenen Monat war es über Tage zu den bisher wohl schwersten Protesten seit Sturz der Taliban 2001 gekommen, nachdem US-Soldaten auf dem Militärstützpunkt Bagram Exemplare des Korans verbrannt hatten. Mindestens 36 Menschen starben bei den Unruhen, die Demonstranten skandierten „Tod Amerika“. Den Taliban dürften solche Vorfälle in die Hände spielen: Je verhasster die USA in Afghanistan werden, desto stärker wird die Position der Militanten bei möglichen Verhandlungen mit den „Invasoren“, wie sie die ausländischen Truppen nennen.

Was bezwecken die USA mit der Überstellung der Taliban nach Katar?

In Katar wollen die Taliban ein offizielles Verbindungsbüro eröffnen. Washington muss laut US-Medien aber noch grünes Licht für die Verlegung geben, angeblich gibt es noch Widerstände im Kongress. Die USA und ihre Verbündeten planen, bis 2014 die meisten ihrer Truppen abzuziehen. Sie brauchen einen Deal mit den Taliban, damit das Land dann nicht in Blut und Gewalt versinkt. Auch Teile der Taliban dürften kriegsmüde sein. Viele Militante leben seit Jahren getrennt von ihren Familien, ständig auf der Flucht. Die Taliban sehen den Einsatz des Westens allerdings als unrechtmäßige Besetzung ihres Landes an. Und sie haben geschworen, so lange weiter zu kämpfen, bis alle ausländischen Truppen ihr Land verlassen.

Die USA dagegen wollen auch nach dem offiziellen Abzug 2014 weiter Militärbasen in Afghanistan unterhalten. Ob die Taliban dies akzeptieren werden, scheint sehr ungewiss. Bereits in den vergangenen Monaten hatte es erste Vorgespräche zwischen den Konfliktparteien in Katar gegeben. Dabei machten die Taliban die Freilassung von Gefangenen zur Vorbedingung für offizielle Verhandlungen. Wie es scheint, sind die Amerikaner nun geneigt, diese Forderung zu erfüllen. Den Angaben zufolge ließen sie den Karsai-Vertrauten Ibrahim Spinzada vergangenen Montag in das US-Gefangenenlager Guantanamo reisen, um mit den fünf Taliban-Führern zu sprechen. Diese hätten der Verlegung zugestimmt.

Die Männer sitzen teilweise seit zehn Jahren in Guantanamo. In Katar sollen sie mit ihren Familien vereint werden und helfen, die bisher stockenden Gespräche zu forcieren. Keiner der fünf Häftlinge wird beschuldigt, Amerikaner getötet zu haben. Einem der Männer, Mullah Norullah Nori, wird aber ein Massaker an Schiiten angelastet. In Katar würden die Männer wohl unter weniger restriktiven Umständen gefangen gehalten.

Welche anderen Entwicklungen gibt es in der Region?

In Afghanistans Nachbarland Pakistan kam es unterdessen zu einem Wechsel an der Spitze des mächtigen Geheimdienstes ISI. Regierungschef Yousuf Raza Gilani ernannte Generalleutnant Zaheer al Islam zum neuen ISI-Chef. Er folgt Ahmed Shuja Pasha, der den ISI seit 2008 geführt hatte. Al Islam übernimmt in einer kritischen Zeit. Das Verhältnis zu den USA ist frostig. Zugleich will aber Pakistan in Afghanistan ein gewichtiges Wort mitreden. Analysten sehen in der Wahl Islams einen möglichen Versuch, die Beziehung zu den USA zu entspannen.

Al Islam gilt als Vertrauter von Militärchef Ashfaq Parvez Kayani und verfügt über West-Erfahrungen. So weilte Islam zu militärischen Trainingsprogrammen in den USA. Al-Islam war von 2008 bis 2010 Vizechef des ISI. Pakistan spielt eine Schlüsselrolle bei einer Lösung in Afghanistan, da es massiven Einfluss auf die Taliban ausübt. Es erlebt allerdings selbst eine Terrorwelle. Am Sonntag wurden bei einem Selbstmordanschlag in der Stadt Peshawar mindestens zwölf Menschen getötet, mehr als 30 weitere wurden verletzt.

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