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Afghanistan: Angst vor dem Kontrollverlust

Nach dem Tod von Zivilisten in Kundus sucht die Bundeswehr offenbar Kontakt zu Familien der Opfer. Die Sorge ist groß, dass sich die Stimmung in der Bevölkerung nach dem Unglück gegen die Bundeswehr richten könnte.

Berlin - Wer kann, fährt in Afghanistan nach Einbruch der Dunkelheit keine weiten Strecken mehr. Denn dann wächst die Gefahr noch einmal, in einen Hinterhalt zu geraten, überfallen, entführt oder ermordet zu werden. Manche internationalen Hilfsorganisationen verbieten es ihren Mitarbeitern sogar, nachts ins Auto zu steigen. Und gerade weil es nachts noch gefährlicher wird, halten die meisten Afghanen an den Kontrollpunkten, die die Sicherheitskräfte an Straßen errichten, dann kaum noch an. Niemand weiß, wer sich im Schutz der Dunkelheit hinter dem Checkpoint verbirgt, besonders wenn bisher niemand dort Fahrzeuge kontrolliert hat. Ob es tatsächlich Soldaten sind, oder doch Kriminelle und Taliban.

Der Kontrollpunkt südöstlich von Kundus nahe der Ortschaft Khanabad war kein bekannter Checkpoint, die afghanische Polizei sagt, man habe damit einen bevorstehenden Drogenschmuggel verhindern wollen. Laut Bundeswehr handelt es sich bei dem Kontrollpunkt um keinen fest installierten, sondern um einen temporären. Das Gebiet im Norden des Landes ist bekannt dafür, dass dort viele Taliban-Sympathisanten leben. Die Afghanen, die am späten Donnerstagabend nicht auf die Signale der deutschen Soldaten und örtlichen Sicherheitskräfte reagierten, und ihre zwei Wagen nicht anhielten, vermuteten vielleicht eben so einen Hinterhalt. Jetzt sind drei Menschen tot, eine Frau und zwei Kinder. Erschossen aus deutschen Waffen.

Das hat das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) inzwischen eingeräumt. Ob und wie viele deutsche Soldaten womöglich den Tod der drei afghanischen Zivilisten zu verantworten haben, dazu wollten am Samstag weder das Ministerium noch das für die Auslandseinsätze zuständige Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam Stellung nehmen. Aus einer Mitteilung der Bundeswehr geht lediglich explizit hervor, dass ein gepanzertes Fahrzeug der deutschen Streitkräfte – Typ Dingo – an dem Einsatz in Kundus beteiligt war, der das Gelände in rund 100 Meter Entfernung vom Checkpoint sichern sollte. In einem Dingo haben neben dem Kommandanten und dem Fahrer bis zu vier weitere Soldaten Platz. Nach Informationen des Tagesspiegels werden militärische Kontrollpunkte aber gerade bei als „gefährlich“ eingestuften Einsätzen wie dem in Afghanistan in der Regel mit mehr als einem geschützten Fahrzeug abgesichert – auch, um im Falle eines Angriffs in Deckung gehen zu können.

Die Bundeswehr ist Führungsnation der Nato-Schutztruppe Isaf im Norden Afghanistans, die Region um Kundus gehört mit zu den gefährlicheren Gebieten. Erst am Mittwoch war bei einem Anschlag in der Nähe von Kundus ein deutscher Soldat ermordet worden, in den vergangenen Monaten gab es zudem immer wieder Raketenangriffe auf das dort untergebrachte Feldlager der Bundeswehr. Die Sorge ist nun groß, dass sich nach dem Unglück vom Donnerstag die Stimmung in der Bevölkerung gegen die Bundeswehr und möglicherweise auch deutsche Helfer richten könnte.

Bisher hat es aber offenbar noch keine unmittelbare Reaktion unter den Afghanen gegeben, die darauf schließen lassen. Das Dorf, aus dem die Toten vom Donnerstag stammen, soll in der Vergangenheit gute Beziehungen zu deutschen Entwicklungsorganisationen gehabt haben. Nach Informationen des Tagesspiegels hat sich die Bundeswehr bereits an die Hinterbliebenen der Opfer gewandt. Demnach ist man bemüht, über lokale Organe und Stammesälteste zu einem Ausgleich mit den Familien zu kommen. Weder Verteidigungsministerium noch Einsatzführungskommando wollten sich dazu äußern; gleichwohl dürfte es aber auch von solchen Gesprächen abhängen, wie sich die Lage weiter entwickelt.

Wie brisant die Situation im Land insgesamt ist, zeigte sich auch am Samstag wieder. Bei einem Selbstmordanschlag auf die internationale Schutztruppe wurde ein Soldat verletzt. Nach Isaf-Angaben explodierte ein Sprengsatz in der Nähe eines Konvois in der Hauptstadt Kabul. Zur Nationalität des Soldaten gab es keine weiteren Auskünfte. Zu dem Anschlag bekannten sich die radikalislamischen Taliban. Zuvor hatte der Polizeichef von Kabul mitgeteilt, der Attentäter sei in dem mit Sprengstoff präparierten Fahrzeug ums Leben gekommen. Bei Kämpfen zwischen afghanischer Armee und Aufständischen in der südlichen Unruheprovinz Helmand starben nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP am Samstag mindestens zehn Menschen.

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