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Kabul

© AFP

Afghanistan: "Blanke Katastrophe“

Der Selbstmordanschlag in Kabul ist auch ein Angriff auf die europäische Polizeimission in Afghanistan.

Der Bus habe ausgesehen wie eine aufgeschlitzte Dose. Die Explosion habe das Dach abgerissen, das Innere des Fahrzeugs sei völlig verschmort, viele Leichen regelrecht zerfetzt. So schilderten Korrespondenten in der afghanischen Hauptstadt Kabul die Szene, nachdem sich ein Selbstmordattentäter in einem Bus in die Luft gesprengt hatte. Der Bus sollte Polizeianwärter und -ausbilder zur Polizeischule bringen. Augenzeugen berichteten, der Täter sei beim Losfahren in den Bus hineingesprungen, als das Fahrzeug eine belebte Haltestelle im Stadtzentrum passierte, habe er seinen Sprengsatz gezündet. Laut Polizei wurden 35 Menschen getötet. Unter den Todesopfern seien keine Deutschen, erklärte das Auswärtige Amt.

Die Taliban bekannten sich umgehend zu dem Anschlag. Sie hatten dem Wüstenstaat am Hindukusch 1995 ein totalitär-islamisches Regime übergestülpt und Terrororganisationen wie Al Qaida Unterschlupf gewährt. Milliardenschwere Wiederaufbauhilfen der internationalen Gemeinschaft für das von über 30 Jahren Krieg und Bürgerkrieg geschundene Land und die Präsenz von inzwischen fast 50.000 Nato-Soldaten – darunter 2900 Deutsche – waren bisher wenig erfolgreich. Die von den USA an die Macht gehievte Regierung um Präsident Hamid Karsai kontrolliert faktisch nur den Großraum Kabul. Anti-Terror-Einheiten und die internationale Schutztruppe Isaf werden von den wieder erstarkten Taliban zunehmend in die Defensive gedrängt. Den Soldaten der internationalen Gemeinschaft wird vor allem angekreidet, dass bei ihren Luftschlägen inzwischen über 4000 Zivilisten getötet wurden. Allein knapp zwölf Stunden vor dem Anschlag vom Sonntag kamen drei Zivilisten ums Leben. Ein weiterer wurde von US-Soldaten „versehentlich“ erschossen.

Attentat zum Start der europäischen Polizeimission

Experten gehen davon aus, dass der Zeitpunkt des Attentats nicht zufällig mit dem Start der Polizeimission der Europäischen Union (Eupol) in Afghanistan zusammenfiel. Rund 200 Polizisten aus verschiedenen EU-Mitgliedsländern sowie aus Norwegen und Kanada sollen künftig die Ausbildung einheimischer Kollegen übernehmen. Deren Führungspersonal wird von deutschen Beamten bereits seit fünf Jahren vor Ort geschult.

Vor allem mit Hinweis auf diese Mission schmetterte Deutschland bisher Forderungen der Bündnispartner nach deutschen Kontingenten für die traditionellen Hochburgen der Taliban im Süden des Landes ab, wo die Islamisten der Nato inzwischen erbitterte Kämpfe liefern. Kenner der Szene, wie der pakistanische Bestseller-Autor Ahmed Raschid, bezeichnen den deutschen Polizeieinsatz allerdings als „blanke Katastrophe“. Bei den Beamten, so Raschid in einem „Spiegel“-Interview, handele es sich um deutsche Provinzpolizisten, die keine Ahnung von Afghanistan und von muslimischer Kultur hätten.

Ähnlich sehen das auch viele einfache Afghanen. In Deutschland, das am Hindukusch nie als Kolonialmacht präsent war und sich mit großzügiger Entwicklungshilfe zu Zeiten der Monarchie aufrichtige Sympathien der Bevölkerung erworben hat, sollten daher die Alarmglocken klingeln.

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