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Afghanistan: Bundeswehr bei Kundus unter Beschuss: Drei tote deutsche Soldaten

Bei einem schweren Gefecht mit aufständischen Taliban sind drei Bundeswehr-Soldaten getötet worden. Sie wurden beim Minensuchen erschossen. Fünf weitere Soldaten wurden schwer verletzt. Etwa 100 Taliban attackierten die deutsche Patrouille. Angela Merkel nannte die Tat "verabscheuungswürdig und hinterhältig".

Es war das folgenschwerste Gefecht für die Bundeswehr seit ihrem Bestehen: Bei heftigen Kämpfen mit Aufständischen in Afghanistan sind am Freitag drei deutsche Soldaten getötet worden. Acht weitere Soldaten wurden in den stundenlangen Kämpfen mit radikal-islamischen Taliban im Unruhedistrikt Char Darah nahe des deutschen Feldlagers Kundus verletzt, vier von ihnen schwer, teilte das Einsatzführungskommando in Potsdam mit. Damit erhöht sich die Zahl der in Afghanistan seit Beginn des Einsatzes Anfang 2002 gestorbenen deutschen Soldaten auf 39. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verurteilte den „hinterhältigen Angriff“ scharf.

Die deutschen Soldaten wurden nach Darstellung des Isaf-Kommandeurs für Nordafghanistan, Brigadegeneral Frank Leidenberger, beim Minenräumen von etwa 100 Aufständischen angegriffen. Die Bundeswehr war im Laufe des mehrstündigen Gefechts rund sechs Kilometer westlich von Kundus mit mehreren Kompanien im Einsatz. Zu einer Kompanie gehören etwa 150 Soldaten. Die Truppe wurde aus der Luft unterstützt, laut Leidenberger wurden aber keine Bomben abgeworfen.

Die getöteten Bundeswehrsoldaten kommen aus einer Kaserne in Niedersachsen. Wie ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr am Samstag mitteilte, handelt es sich um Feldjäger des Bataillons 373, das in Seedorf stationiert ist.

Die Bundeswehr führte den Einsatz mit afghanischen Soldaten und weiteren Angehörigen der internationalen Schutztruppe durch. Eine deutsche Patrouille sei zunächst von Taliban-Kämpfern beschossen worden, sagte der Distriktchef Abdul Wahid Omarchel. Dorfbewohner berichteten von zahlreichen zerstörten Häusern. Drei deutsche Soldaten wurden erschossen. Als ein gepanzertes Bundeswehrfahrzeug, wahrscheinlich vom Typ Dingo, ausweichen wollte, fuhr es auf eine Sprengfalle. Dadurch wurden weitere Soldaten verletzt.

Schwerverletzte sollen nach Deutschland ausgeflogen werden

Die Toten und Verletzten wurden geborgen und mit Hubschraubern in die deutschen Lager Kundus und Masar-i-Scharif gebracht. Zwei der Verletzten wurden noch am Abend operiert. Laut Einsatzführungskommando ist geplant, die vier Schwerverletzten an diesem Samstag nach Deutschland auszufliegen.

Die deutschen Kräfte befanden sich nach Bundeswehrangaben vom späten Abend weiterhin im Einsatzraum, wo es mittlerweile Nacht war. Auch feindliche Kräfte seien weiterhin vor Ort, sagte der Sprecher des Einsatzführungskommandos. Eine Fortsetzung der Gefechte war nicht ausgeschlossen. „Wir betrachten den Vorgang noch nicht als abgeschlossen“, sagte der Sprecher.

Erstmals seit Bestehen der Bundeswehr war im April 2009 ein deutscher Soldat im Gefecht getötet worden. Damals geriet eine Patrouille nahe Kundus in einen Hinterhalt. Andere deutsche Soldaten starben in den vergangenen Jahren durch Selbstmordanschläge und Sprengfallen.

Char Darah gilt als gefährlichster der sechs Distrikte in der nordafghanischen Provinz Kundus. Von dort aus feuerten die Taliban in der Vergangenheit wiederholt Raketen auf das deutsche Lager ab. Im Norden Afghanistans sind derzeit etwa 4500 deutsche Soldaten stationiert.

Merkel verurteilte den Angriff auf die Bundeswehr scharf. „Mit großer Bestürzung habe ich von dem verabscheuungswürdigen und hinterhältigen Angriff auf unsere Soldaten in Afghanistan gehört“, hieß es am Freitag in einer Erklärung. Verteidigungsminister Karl- Theodor zu Guttenberg (CSU) unterbrach seinen Osterurlaub in Südafrika und wird nach Angaben seines Ministeriums früher nach Deutschland zurückkehren. „Mit großer Betroffenheit habe ich heute von den gefallenen und verwundeten deutschen Soldaten in Afghanistan erfahren müssen“, hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme des Ministers. „Angesichts von Gefechten dieses Ausmaßes wird deutlich, wie gefährlich der gleichwohl notwendige Einsatz in Afghanistan ist.“

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sprach ebenfalls von einem „feigen und hinterhältigen Anschlag“. Die Linksfraktion im Bundestag verlangte den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.

"Die Lage ist unverändert"

Brigadegeneral Leidenberger sieht keinen Anlass für einen Strategiewechsel in Afghanistan. „Die Lage ist unverändert“, sagte er am Freitagabend im Hauptquartier des Regionalkommandos Nord in Masar- i-Scharif. „Es ist auch ganz klar, dass die Opfer, die gebracht werden, nicht umsonst sein dürfen.“ Die Bundeswehr werde ihren Auftrag, die Bevölkerung vor den Taliban zu schützen, weiter durchführen. „Es ist sicher eine schwierige Phase, aber wir sind hier, um diesen Auftrag zu einem erfolgreichen Ende zu führen.“

Noch vor den jüngsten Gefechten bei Kundus nannte Ex- Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) die jahrelange Bewertung des Afghanistan-Einsatzes als Friedens- und Stabilisierungsmission eine „Lebenslüge“ der Politik. In einer ZDF-Dokumentation, die in der kommenden Woche ausgestrahlt wird, spricht Rühe von einem „zentralen Versagen der großen Koalition“. Sie habe der Öffentlichkeit nicht die Wahrheit über die tatsächlichen Gefahren des Einsatzes gesagt. „Das Abenteuer Afghanistan muss beendet werden“, forderte Rühe. Der Verteidigungsminister der großen Koalition, Peter Struck (SPD), räumt in dem Bericht ein, „dass das wirklich ein militärischer Kampfeinsatz ist, haben wir am Anfang nicht gesagt“.

Massive Kritik am Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr äußerte der Vorsitzende des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider. „Der Konflikt in Afghanistan ist aus dem Ruder gelaufen“, sagte er dem „Hamburger Abendblatt“ in einem ebenfalls vor den jüngsten Gefechten geführten Interview. (dpa)

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