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Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, warnt vor einer einseitig Afghanistan-fokussierten Beratung der Ministerin.

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Afghanistan-Connection: Ex-General Schneiderhan: Das könnte zu Scheuklappen bei der Ministerin führen

Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr Wolfgang Schneiderhan über die Rolle der Ministerinnen-Berater und die Folgen der Fokussierung auf den Einsatz am Hindukusch: Die "Afghanistan-Connection", ein Rechercheprojekt des Tagesspiegels und dem ARD-Magazin "Fakt".

Von Michael Schmidt

Anfang 2002 wurden die ersten deutschen Soldaten nach Afghanistan verlegt – Ende 2014 sollen die Kampftruppen abziehen. Hätten Sie damit gerechnet, dass das Engagement so lange dauert?
Nein. Ich glaube, damit hat niemand gerechnet. Die Theorie damals war ja international: schnell rein, schnell raus.

Hat sich der Einsatz denn gelohnt?
Wir haben sicher sehr viel lernen können. Es war ein multinationaler Einsatz, mandatiert von den Vereinten Nationen, vom Deutschen Bundestag. Das, was die Soldaten tun, war rechtlich eingehegt. Und die Soldaten haben das Mandat beachtet. Die Soldaten waren und blieben gehorsam. Gehorsame Staatsbürger in Uniform. Trotz der Dauer, trotz der Rückschläge, trotz der Gefallenen und Verwundeten. Das sind alles wichtige Erfahrungen. Zum anderen hat er vielleicht dem einen oder anderen auch viele Sorgen genommen, denn das war ja doch weit weg von jedem Hurra-Patriotismus oder irgendwie kriegerischen Geschrei. Es war alles sehr sachlich, sehr politisch, sehr überlegt.

Was ist für Afghanistan erreicht worden?
Insgesamt hat es sich schon gelohnt. Der Terrororganisation ist viel Wasser abgegraben worden. Afghanistan ist sehr viel besser aufgestellt, als es das damals war.

Inwiefern hat Afghanistan die Bundeswehr verändert?
Sie musste die Erfahrung machen, dass zum Soldatsein das Kämpfen gehört.

Was hat das Töten und Getötetwerdenkönnen mit den Soldaten gemacht?
Man ist sich bewusst geworden, was es heißt, Soldat zu sein. Und dass es darauf ankommt, das eigene Leben zu riskieren und natürlich auch zu töten. Das hat gedauert, bis man die Ernsthaftigkeit soldatischen Tuns so wahrgenommen hat. Das war ein Lernprozess.

Kommandeure sprechen von einer Afghanisierung der Ausbildung ...
Da würde ich zur Vorsicht raten. Die Kunst wird sein, zu erkennen, was allen Einsätzen der Bundeswehr gemein ist und nicht afghanistanspezifisch.

Im Ministerium sitzen viele Militärs mit Afghanistan-Einsatzerfahrung auf wichtigen Posten …
Es ist wichtig, dass Menschen auch aus Teilstreitkräften, die in Afghanistan nicht so gefragt sind, die woanders Erfahrung gesammelt haben, in das Beratungsumfeld der Ministerin hineinkommen. Damit meine ich Menschen aus der Streitkräftebasis, von der Logistik, aus der Sanität. Ich meine natürlich auch die Marine, die uns wichtige Erfahrungen bringt in internationaler Zusammenarbeit. Wir brauchen die Erfahrung aus dem Kosovo genauso in der Politikberatung wie Afghanistan. Weil wir im Kosovo nicht Terroristen bekämpfen, aber die Frage klären müssen: Wie ist das mit der Trennlinie zwischen Militäreinsätzen und Polizeieinsätzen? Da sammeln wir wichtiges Wissen.

Sehen Sie diese und andere Erfahrungen ausreichend repräsentiert im Beratungsumfeld der Ministerin?
Es ist eine Führungsaufgabe, militärisch und politisch darauf zu achten, dass da keine durch Personalentscheidungen einseitige, verengte Beratung stattfindet und sich ein Wertigkeitssystem von Einsätzen auf der Ebene des Inhabers der Befehls- und Kommandogewalt manifestiert und er dann eigentlich sein Recht auf umfassende Beratung nicht mehr umsetzen kann. Den Beratern muss auch klar sein, dass sie nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Der, der berät, trägt natürlich auch Verantwortung. Und zwar fürs Ganze!

Jetzt geht es um Mali, um IS-Terrormilizen im Irak, um Patriot-Raketen an der türkisch-syrischen Grenze …
Da wird offensichtlich, dass die Aufgaben heute so dramatisch anders sind, dass man nicht unbedingt jemanden mit Afghanistan-Erfahrung braucht. Man muss vielmehr einen haben, der weiß, wie es in Mali aussieht, wie man da hinkommt, wie man die Menschen, die wir da eingesetzt haben, führt, wie man sie evakuieren kann, wie man sie logistisch versorgen kann – und damit sind wir bei den allgemeinen, wirklich zeitlosen Aufgaben der Truppe.

Was muss passieren?
Man darf nicht nur vom Einsatz her denken – man muss von den Einsätzen her denken: im Plural. Weil die Erfahrungen so unterschiedlich sind. Vom Niveau her, von der Internationalität her, von den Fähigkeiten her, die gebraucht werden. Der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt hat ein Recht darauf, dass alle Erfahrungen, die in Köpfen von Bundeswehr-Offizieren vorhanden sind – von den Einsätzen Kosovo, Horn von Afrika, Straße von Hormus, Libanon, Militärbeobachter im Sudan, Afghanistan – ihm zur Verfügung stehen für seine politische Führungsaufgabe.

Sonst? Welche Gefahr sehen Sie?
Die Gefahr ist, dass jemand, der eine gewisse Einsatzwirklichkeit erlebt hat, glaubt, aus dieser viermonatigen Erfahrung heraus alles auf strategischer Ebene prognostizieren, analysieren und entsprechend Empfehlungen geben zu können. Das könnte schlimmstenfalls zu Scheuklappen auch bei der Ministerin führen.

Woran fehlt es?
Die glaubhafte Fähigkeit zur Abschreckung in einem sehr hergebrachten Verständnis darf aus dem Leistungsspektrum der Streitkräfte nicht ausgeblendet sein. Da haben wir in den letzten Jahren in ganz Europa viel „Hard Power“ verloren, was die Fähigkeit zur sorgfältig abgestuften Eskalation begrenzt. Darauf empfehle ich das Augenmerk auch wieder zu richten.

Das Gespräch führten Markus Frenzel und Michael Schmidt im Rahmen eines Rechercheprojekts des Tagesspiegels und des ARD-Magazins "Fakt" zu einer Afghanistan-Connection im Verteidigungsministerium: www.afghanistan-connection.de

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