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Nicht nur die Bundeswehr als solche hat sich stark verändert - auch das Selbstverständnis der Truppe.

© dpa/picture alliance

Afghanistan-Connection: Wie hat Afghanistan die Soldaten verändert ?

Die Bundeswehr hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch gewandelt – zu einer Armee im Einsatz. Das blieb nicht ohne Folgen für das Selbstbild der Truppe. Ein Besuch bei den Kämpfern von heute.

Die Kasernenanlage in Seedorf wurde Ende der 1950er Jahre erbaut und entspricht in ihrem Stil noch ganz dem Muster deutscher Kasernenarchitektur der 1930er Jahre, auch wenn die roten Klinkergebäude schmucklos und nüchterner aussehen. Rund 3500 Soldaten der Fallschirmjägerbrigade 31 sind hier untergebracht: die Bataillone 313, 373 und 272. Allesamt gelten sie als eine Elitetruppe des deutschen Heeres, als die Speerspitze mit der meisten Einsatzerfahrung.

In der „GHG“, dem gemeinsamen Heimbetrieb, einer Art Kneipe und Freizeitheim für Unteroffiziers- und Offiziersdienstgrade, komme ich mit dem Presseoffizier der Brigade, Oberleutnant Hendrik Bauer (Olt) ins Gespräch. Mit dabei sind Stabsunteroffizier (Stuffz.) Michael Kellner, seit 2008 Soldat auf Zeit; Hauptfeldwebel (HFw) Christian Loleit, Berufssoldat; und der Oberstabsgefreite (OSG) Steffen Schröder, der sich als Mannschaftssoldat auf 25 Jahre verpflichtet hat – sowie der stellvertretende Brigade- und kommende Regimentskommandeur Oberstleutnant (OTL) Joachim Hoppe.

Noch bis 1989 war die Welt einfach strukturiert

1990 musste man nicht davon ausgehen, in absehbarer Zeit in einem fernen Land sein Leben riskieren zu müssen. Noch bis 1989 war die Welt einfach strukturiert: Vor der Mauer wir, die Guten, hinter der Mauer der böse Russe. Der Ernstfall war auf den Wachdienst und den dritten Weltkrieg beschränkt. Der Soldat war Staatsbürger in Uniform. Er leistete seinen Dienst idealerweise aus innerer und politischer Überzeugung, um die demokratischen Werte und die freiheitliche Gesellschaft zu schützen. Er sollte in erster Linie Bürger sein, der die Uniform wie einen Arbeitsanzug morgens an- und abends wieder ablegte. Mir und den meisten anderen länger dienenden Kameraden war das damals allerdings ziemlich egal. Ich wollte Soldat werden, irgendwie das Gefühl der eigenen Ohnmacht gegenüber dem Leben kompensieren und eine Aufgabe haben, die über dem Zerren und Feilschen einer materialistischen Welt stehen würde. Andere entscheiden sich an dieser Stelle, Lehrer oder Geistliche zu werden.

Die meisten der Rekruten, mit denen ich meinen Dienst begann, waren Wehrpflichtige und von der Aussicht, die kommenden zwölf Monate beim Bund zu verbringen, wenig begeistert. Andere hatten sich, wie ich, schon vorher zum Dienst auf Zeit verpflichtet. Oft waren das junge Männer, die eine Welt klarer Strukturen und Werte suchten. Die meisten aber haben sich aus sehr pragmatischen Gründen verpflichtet. Ihnen ging es um den sicheren Arbeitsplatz, oder sie hatten ihre bisherige Tätigkeit einfach satt.

Verpflichtung wegen des sicheren Arbeitsplatzes

Dies gilt noch heute. Trotz der Einsätze in aller Welt. Und obwohl Tod und Verwundung mittlerweile zum Berufsbild gehören.

Der Stabsunteroffizier Michael Kellner, Personalbearbeiter im Stab, steht für das Gros der Zeitsoldaten. Obwohl bei seinem Diensteintritt 2008 Auslandseinsätze schon zum Alltag der Truppe gehörten, war es die Aussicht auf die Ausbildung bei der Bundeswehr, die ihn bewegte, sich für acht Jahre zu verpflichten: „Ich konnte gleich gutes Geld verdienen, und einen ganz normalen Nur-Bürojob wollte ich nicht.“

Christian Loleit, der mehrfach in Afghanistan im Einsatz war, wollte dagegen ganz bewusst Soldat werden: Fallschirmjäger, Infanterist, Kämpfer. Er redet, wie man es von deutschen Soldaten aus den Wochenschauen des Zweiten Weltkriegs kennt. Kurze, klare Sätze. Immer etwas zu laut, als ob er gerade seinen Männern Befehle gäbe. Und für Steffen Schröder, der während des Gesprächs recht unsicher auf dem Stuhl herumrutscht und immer wieder zu seinem Presseoffizier hinübersieht, ist es die Geborgenheit der hierarchischen Struktur, 25 Jahre ein sicheres Auskommen und klare Regeln.

Der Wandel zur Armee im Einsatz

Eine Beobachtung, eine Kleinigkeit nur, aber ein deutliches Zeichen für den Wandel zur Armee im Einsatz: Die Soldaten tragen fast alle die vor einigen Jahren eingeführten Dienstgradschlaufen in schwarzer Stickerei, die nur aus der Nähe zu erkennen sind. In Stäben, an Schulen und bei den Truppenteilen, die nicht zur Kampftruppe gehören, sind hingegen die alten Ausführungen in weißer oder im Handel selbst beschaffte Rangabzeichen in silber-weißer Stickerei sehr beliebt. Man kann darin den Ausdruck einer Ernsthaftigkeit erkennen, die von den Erfahrungen und den Erlebnissen der geleisteten Einsätze, den Gefechten und Gefahren herrührt. Einer Ernsthaftigkeit, die sich auch tief in die Gesichter der Soldaten eingegraben hat und die selbst dann nicht weicht, wenn sie lachen.

Die Fallschirmjäger gelten als Kräfte der ersten Stunde und können sicher sein: Wenn in der „Tagesschau“ von der Möglichkeit eines Einsatzes deutscher Soldaten berichtet wird, sind sie die Ersten. Als Staatsbürger sollen sie sich mit den Zielen und politischen Grundlagen des Einsatzes auseinandersetzen, sich eine Meinung dazu bilden und sie vertreten. Als Uniformträger sollen sie marschieren, wenn der Befehl kommt. Was aber, wenn der einzelne Soldat den Einsatz politisch, moralisch oder sonst wie für falsch hält? Was zählt dann: der Staatsbürger oder die Uniform?

Für den einfachen Bürger scheint die Sache klar. Der Dienst in der Bundeswehr ist freiwillig. Für die Soldaten und Joachim Hoppe ist das nicht so eindeutig: „Freiwillig ist nur die Unterschrift unter die Verpflichtung. Für den einzelnen Soldaten ist der Einsatz mitunter aber gar nicht so freiwillig. So wie die Politik die Einsätze im Bundestag begründet – das reicht für die persönliche Begründung nicht aus. Es ist doch so, dass der Staat sagt, dieser Verband oder diese Brigade geht – und da ist dann nichts mehr mit Freiwilligkeit.“

Soldaten können nicht erklären, warum sie in den Einsatz gehen

Egal mit wem man redet: Die Soldaten können sich selber, ihren Untergebenen und den eigenen Angehörigen eigentlich nicht erklären, warum sie in den Einsatz gehen. „Ich halte das für ein Defizit. Für die Soldaten wäre es besser, wenn man die Einsätze auch wirklich begründen könnte“, macht Hoppe die Stimmung in der Führung deutlich. Stabsunteroffizier Kellner, der bald in die freie Wirtschaft wechseln will, sieht es ganz pragmatisch: „Sicherlich macht man sich Gedanken um Sinn und Zweck eines Einsatzes. Aber das ändert nichts an meiner Situation. Der Einsatz gehört zu diesem Beruf einfach dazu.“

Einig ist sich die Runde darin, dass die Erklärungen der Politik nicht überzeugen, und wieder ist es Joachim Hoppe, der die Konsequenz daraus formuliert: „Man kann nur sagen, ich habe Ja zu diesem Beruf gesagt, also gehe ich.“ Die Frage nach der inneren Überzeugung und der eigenen Begründung, die den Einsatz fundieren könnten, wie man sie zu Zeiten des Kalten Krieges noch bündig formulieren konnte, ist einem praktischen Fatalismus gewichen: „Wir als Soldaten haben gar nicht die Möglichkeit, die Gesamtzusammenhänge zu verstehen. Wir müssen darauf vertrauen, dass unsere politischen Vertreter so gut informiert sind, dass sie uns dort einsetzen, wo es wirklich notwendig ist.“ Was der Presseoffizier formuliert, hört man in der Truppe oft. Ein allgemeiner Wertmaßstab fehlt. Welcher Grund würde das eigene Opfer auch rechtfertigen? Also muss man der Führung vertrauen.

Hauptfeldwebel Loleit bringt das neue alte Ethos, das im Militär schon immer Gültigkeit hatte und nun auch in der Bundeswehr wieder aus der Schmuddelecke hervorgeholt wird, auf den Punkt: „Wir machen das, wir gehen in den Einsatz, weil wir dazu militärisch erzogen worden sind.“

Diese Worte erinnern mich an den Anblick der Soldaten, an denen ich auf der Zugfahrt zur Kaserne vorbeifuhr. Mehrere Züge schwer bepackter Männer, keine Frau darunter, marschierten in Formation in Richtung Kaserne. Die Rucksäcke groß wie Wandschränke, dazu Splitterschutzweste, Gefechtshelm, Waffen und allerlei Zeugs und Ausrüstung am Koppelzeug. Die Strapazen der vergangenen Übung oder Ausbildung sind den grün und schwarz geschminkten Gesichtern deutlich anzusehen. Während es zu meiner Zeit, als es keine Bedrohung von außen mehr zu geben schien, schwierig war, eine harte und fordernde Ausbildung zu begründen, stellt sich dieses Problem heute nicht. „Die Ernsthaftigkeit in der Ausbildung, die wir durch die Einsätze und Kämpfe in Afghanistan erhalten haben, nimmt uns keiner mehr.“ Für Oberstleutnant Hoppe ist dies der eigentliche Umbruch, das wirklich Wichtige, was die Truppe verändert: „Das Bewusstsein, in Ausübung des Berufs getötet werden zu können und töten zu müssen.“

Enttäuschung und Resignation breitet sich aus

Die Menschen der Region um Seedorf wissen das. Spätestens seit den Trauerfeiern für die von dem Standort stammenden gefallenen Soldaten. An den Straßen sind die Ortseingangsschilder mit geprägten gelben Schleifen versehen, die Solidarität mit der Bundeswehr bekunden sollen. Der Flecktarnanzug gehört hier zum alltäglichen Bild in den Supermärkten und auf den Straßen. Informationsveranstaltungen und Tage der offenen Tür werden gut besucht. Was hier als gelungene Interaktion der Soldaten mit der zivilen Welt aufscheint, ist für die überwiegende Mehrheit der Gesellschaft nicht festzustellen. Die Truppe ist in der Fläche kaum noch vertreten. Aus den Ballungszentren und großen Städten ist sie fast gänzlich verschwunden. Wenn Hendrik Bauer auf dem Weg nach Hause in seiner Heimatstadt Dortmund in Grünzeug aus dem Auto steigt, wird er meist angesehen, „als ob ich einen Astronautenanzug tragen würde“. Das vielfach gebrauchte Wort vom freundlichen Desinteresse der Gesellschaft gegenüber ihren Soldaten führt auf der anderen Seite dazu, dass sich die Truppe abkapselt. Für den kommenden Kommandeur des künftigen Fallschirmjägerregiments 31 „ist es eine Verpflichtung für beide Seiten. Der Soldat soll sich politisch und gesellschaftlich einbringen. Doch die Gesellschaft und die Politik haben mit ihren Soldaten in Kontakt zu bleiben“.

In der Truppe, zumindest in der Kampftruppe, breitet sich eine gewisse Enttäuschung und Resignation aus, die auch dem Kommandeur nicht verborgen geblieben ist: „Wir haben jetzt eine Schwelle erreicht, wo wir sagen, wir machen jetzt unser Ding, ziehen daraus unseren Stolz, aber wir hoffen nicht auf Begründungen, Lob und Erklärungen.“

Als ich am Abend wieder aus der Kaserne fahre und der Wachposten vorschriftsmäßig und in vorbildlich straffer Haltung grüßt, bin ich mir sicher: Die Einsätze und deren Opfer haben ein lange gehegtes Mantra deutscher Politik zerstört: dass nämlich der Soldatenberuf ein Beruf wie jeder andere sei. Diese Soldaten sind auch in Zivil immer Soldaten und sie warten auf den nächsten Einsatzbefehl: Einsatzbereit – jederzeit – weltweit, wie das Motto hier heißt.

Erwin Starke ist Militärhistoriker und Major der Reserve.

Die "Afghanistan-Connection" ist eine Recherchekooperation des Tagesspiegel und des ARD-Magazins "Fakt". Alles zum Thema finden Sie unter www.afghanistan-connection.de

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