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Bundeswehr

© Fopto: ddp

Afghanistan-Einsatz: „Sie feuerten mit allem, was sie hatten“

Seit Montag haben sie einen Kampfauftrag in Afghanistan, die 205 Männer aus Augustdorf. Sie sind jetzt die Schnelle Eingreiftruppe und müssen Soldaten aller Nationen retten, die angegriffen werden. Der erste Tag - und gleich eine Übung mit scharfer Munition.

Wenn nur die Hitze nicht wäre. Über 50 Grad waren es schon in den vergangenen Wochen, hier in Nordafghanistan, wo die deutschen Soldaten im Einsatz sind. Seit Dienstag tut die sogenannte Schnelle Eingreiftruppe Dienst – als erster deutscher Kampfverband in Afghanistan. 205 Elitesoldaten gehören dazu, und wenn es irgendwo im Kommandobereich der Deutschen brenzlig wird, werden sie als Erste ausrücken. An diesem Tag sind es „nur“ 37 Grad – im Schatten. Die Soldaten grinsen. Es sei doch fast kühl.

Frank Neuendorf, 24, Kampfmittelerkunder, steht schwitzend in der Nachmittagssonne. „Am Anfang macht einem das schon zu schaffen“, sagt er. Mit rund 40 Kilo Marschgepäck steht der Stabsunteroffizier vor seinem „Auto“, dem bulligen Schützenpanzer Marder. Fünf haben sie hier davon, in jeden passen neun Mann. Neuendorf und seine Freunde sind als „Infanterist der Zukunft“ ausgerüstet. Ihre Splitterschutzweste hat ein Gitter, daran können sie alles festmachen, was sie so brauchen. Sogar Kekse. Die nennen sie gerne Panzerkekse. Sie sind nicht nur hart. Mit Schuhcreme zu einem Brikett verklebt, sind das auch prima Feueranzünder. Auch so was haben sie daheim gelernt, im lippischen Augustdorf .

Trotzdem: Für viele ist dies der erste Auslandseinsatz. Und dann gleich einer der seltenen, expliziten Kampfaufträge.

Auf die Hitze haben sie auch bei der Übergabezeremonie Rücksicht genommen. Sie fand erst am Abend statt. Am Montag haben die Deutschen ihre neue Aufgabe von den Norwegern übernommen. Im norwegischen Camp Nidaros traten sie gemeinsam an, der bisherige Chef der Quick-Reaction-Force (QRF), Kjell Inge Baekken, und sein deutscher Nachfolger Oberstleutnant Gunnar Brügner vom 212. Panzergrenadierbataillon sowie General Dieter Dammjacob, der Kommandeur der 4000 Soldaten im Regionalkommando Nord.

Gleich am Dienstag gibt es dann die erste Übung. Im Konvoi geht es in die heiße, staubige Umgebung des Camps. Aufgabe: Eine Patrouille hat Aufständische aufgespürt, die versuchen, Raketen gegen das Lager in Stellung zu bringen. Der Sand kommt durch jede Ritze, legt sich in Sekundenschnelle selbst auf die Innenseite der Sonnenbrille.

Stopp. Drei kleine Trupps haben sich postiert, sie feuern mit Mörsern in die Berge. Dann rückt die QRF geteilt gegen die Widerständler vor. Durch den Staub ist kaum etwas zu sehen. „Da passiert aber eine ganze Menge. Die müssen jetzt die richtige Bewaffnung aussuchen und mitnehmen“, erklärt QRF-Chef Brügner vom Hügel aus, auf dem die Gäste stehen. 24 Mann „sitzen ab“. In Tropenuniform, jeder mit zwei Litern Wasser auf dem Rücken, pirschen sie sich zu einem Wadi, einem Einschnitt im Berg.

Drei Mann robben durch den Staub, sie müssen an einer Biegung sichern. Maschinengewehrschüsse hallen durch die Berge, immer wieder spritzen Funken von einschlagenden Projektilen, es wird auch bei dieser Simulation schon mit scharfer Munition geschossen. Ein Soldat wird getroffen, zwei packen den Verletzten, zerren ihn in den Graben. Auch die Verletzung ist nur gespielt. Am Hang finden sie einen Jeep und die Raketen der Aufständischen. Rückzug. Die letzten, die zurückbleiben, jagen die Stellung der Aufständischen in die Luft. Ein meterhoher Sprengpilz zuckt über den Berg – noch hunderte Meter weiter drückt das in die Magengrube. QRF-Chef Brügner ist „selbst überrascht“ wie gut die Übung funktioniert hat.

General Dammjacob wird vor der angetretenen QRF später sagen, er sei „schwer beeindruckt“ und es sei ihm „nicht bang“. Er weiß nur zu gut, was die Norweger geleistet haben.

Zum ersten Mal ist eine deutsche Kampftruppe am Hindukusch. Das ist auch für die Soldaten etwas Besonderes. „Na klar musste ich zu Hause viele Gespräche führen“, sagt Frank Neuendorf. Der blonde 24-Jährige hat sich für acht Jahre bei der Bundeswehr verpflichtet, auch für ihn ist es der erste Auslandseinsatz. Aber auch die Kameraden, die schon öfter „draußen“ waren, auf dem Balkan, in Afghanistan, sind von ihren Freunden diesmal intensiver ausgefragt worden. Die meisten wollen aber nicht so recht raus mit der Sprache, wie es ihnen geht.

Michael Zara,23 Jahre alt, hat heute „60 Minuten Alarmbereitschaft“. Sein Zug muss innerhalb einer Stunde abmarschbereit sein. Zara ist mit der Elitetruppe hier, weil man „da endlich mal richtig was machen kann, nicht nur üben“. Er lächelt verlegen und senkt den Blick. „Ich habe mich richtig gefreut, herzukommen. Ich wollte mal was erleben.“ Er hatte sich ursprünglich als Kampfjetpilot beworben. „Aber da haben sie mich nicht gewollt“, sagt er.

Ist es für ihn jetzt so, wie er sich das vorgestellt hat? Er war schließlich schon einmal zu einer Erkundung außerhalb des Camps unterwegs, er musste ja sein Fahrzeug kennenlernen. Der Wolf ist hier gepanzert, zu Hause nicht. Und dann ist er doch ins Grübeln gekommen. Als er die Kinder gesehen hat. „Das ist ganz anders als im Fernsehen. Die sind hinter uns hergerannt.“ Die Menschen waren plötzlich so nah, Wirklichkeit. „Die meisten Kinder haben die Daumen hochgereckt, sich gefreut. Na ja, ein paar haben auch den Mittelfinger gezeigt. Die meisten Erwachsenen haben sich im Hintergrund gehalten. Man muss eben sehen, die sind nicht alle Feinde.“ Und dann fügt er noch hinzu: „Da muss man wohl ruhiger werden.“

Hat Michael Zara sich mal überlegt, wie es wohl sein könnte, wenn er einem Taliban gegenübersteht? Ihn erschießt? „Nein.“ Redet er mit Kumpels darüber? „Nein.“ Haben sie in der Ausbildung darüber geredet, was es mit einem Menschen macht, wenn er einen anderen erschießt? „Nein. Das kommt bestimmt hinterher.“

Zara sitzt mit seinen Kameraden vor der Unterkunft. Das sind die Container 186-3 und 186-4, lange beige Baracken. Zu dritt wohnen sie hier auf einem Zimmer, drei Schränke, ein Doppelstock- und ein Einzelbett, manchmal ein Tisch, manchmal eine Kiste, dazwischen ein schmaler Gang. Viele haben sich Vorhänge gebastelt. Wer unten liegt, hat sich ein Brett eingebaut, um sein Notebook draufzustellen – sie gucken hier viele Filme, sie chatten oft. Draußen haben sie an langen Stöcken W-Lan-Sticks angebracht, damit sie auch vom Zimmer aus ins Internet kommen.

Sie werden noch öfter vor ihren Containern sitzen, wenn sie Bereitschaft haben. „Wir können ja nichts machen“, sagt einer von Michaels Freunden. „Nicht mal Sport. Wenn ich zu einer Lagerrunde Jogging aufbreche, würde ich es ja gar nicht mehr rechtzeitig zurückschaffen.“ Die Männer wollen keinen Fehler machen. Es ist doch der erste Tag.

Wie lange es so ruhig bleibt, wagt niemand zu sagen. Die norwegische QRF musste innerhalb von sechs Monaten zweimal auch in den Westen, gegen Taliban kämpfen. Dort haben eigentlich die Italiener das Kommando. Sie waren angegriffen worden. Keine Toten, keine Verletzten bei der QRF, 13 getötete Taliban. „Die feuerten mit allem, was sie hatten“, sagt der norwegische QRFler Baekken.

Der Angriff im Frühjahr war etwas Neues. Es waren nicht nur zehn, zwanzig Aufständische – eher 50 oder 60. Fünf Stunden lag Baekkens Truppe am 13. Mai unter Feuer. Diesmal hätten die überlegene Technik und die besseren Fähigkeiten der QRF gesiegt, sagt er. Aber es waren intensive Kriegsoperationen, für die Norweger die schwersten Kämpfe seit dem Zweiten Weltkrieg. Baekkens Nachfolger Brügner sagt, die QRF habe viele verschiedene Waffen zur Verfügung. Die Gegner hätten vor allem viele alte Waffen. Aber auch mit denen können sie einen Kilometer weit schießen. Die Norweger wurden nur knapp verfehlt.

Auch im Bereich des deutschen Nordkommandos gibt es Gegenden mit hohem Talibananteil. Das ist dort, wo die Paschtunen zu Hause sind. Die Militärs nennen das Paschtunen-Taschen. Eine solche Tasche gibt es auch rund um das deutsche Wiederaufbauteam in Kundus. Dort haben deutsche Soldaten in den vergangenen Monaten bereits „Stärke gezeigt“, wie General Dammjacob es ausdrückt. Er will nicht ausschließen, dass die deutsche QRF dort demnächst eingesetzt wird, falls es wieder Probleme gibt.

Den Problemen wollen viele Soldaten aus dem Wege gehen, so gut es geht. Auch darum tragen auffallend viele von ihnen hier Bart. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass sie dann mehr Respekt genießen. Es lässt sie fast vergessen, dass sie unter der Haarpracht noch mehr schwitzen. Frank Neuendorf grinst breit. „Ich werde hier der blonde Paschtune sein“, sagt er.

Namen der Soldaten geändert.

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