zum Hauptinhalt

Afghanistan-Einsatz: Verteidigungspolitiker wissen, dass sie wenig wissen

Nach der Veröffentlichung von Afghanistan-Papieren auf Wikileaks sind sich Verteidigungs- und Außenpolitiker uneins, in welchem Umfang sie über Afghanistan im Bilde sein müssen.

Von Michael Schmidt

Berlin - Eine Informationspolitik, die den Namen verdient, sieht aus Sicht manches Bundestagsabgeordneten anders aus. Dass im deutschen Verantwortungsbereich in Afghanistan die amerikanische Task Force 373 Jagd auf Taliban macht, hat die Welt und haben die allermeisten Parlamentarier hierzulande erst erfahren, als jüngst auf der Internetseite Wikileaks 92 000 überwiegend geheime US-Militärakten veröffentlicht wurden. Dass es am Hindukusch eine deutsche Spezialeinheit namens Task Force 47 gibt, durften sie den Medien entnehmen: Die wussten bei der Rekonstruktion des verheerenden Luftschlags gegen zwei von Taliban entführte Tanklastwagen im September vergangenen Jahres zu berichten, der verantwortliche Oberst Georg Klein habe die Luftunterstützung nicht aus dem Befehlsstand der Bundeswehr, sondern aus dem separaten der Task Force angefordert.

Als Wächter über die Armee und Kontrolleure der Regierung müssten die Bundestagsabgeordneten besonders gut über die Afghanistanmission informiert sein. Tatsächlich sind allenfalls die Obleute des Verteidigungs- und Auswärtigen Ausschusses einigermaßen im Bilde. Über Umfang und Zusammensetzung der Task Force zum Beispiel (von rund 120 Männern ist die Rede, Bundeswehrsoldaten und Spezialisten aus verschiedenen Einheiten), über ihre Aufgaben (Sprengsätze entschärfen, afghanische Spezialkräfte ausbilden und eigene Truppen sichern – gegebenenfalls durch die Ergreifung von Aufständischen) und, im Nachhinein, auch über einzelne Aktionen. Nur: Diese Obleute dürfen sich bei ihren Unterrichtungen in fensterlosen und abhörsicheren Räumen keine Notizen machen, Protokolle gibt es nicht, einziges Speichermedium ist ihr Gedächtnis – und selbst gegenüber ihren eigenen Fraktionen sind sie zur Verschwiegenheit verpflichtet. Das heißt: Der große Rest des nahezu 600-köpfigen Bundestags tappt bei der Mandatierung der Armee weitgehend im Dunkeln.

Ein „nicht hinnehmbarer“ Zustand, findet Winfried Nachtwei, Verteidigungsexperte der Grünen und zum Zeitpunkt des Luftschlags Ausschuss-Obmann seiner Partei. Nachtwei fühlt sich im Nachhinein unzureichend informiert – und fürchtet im Übrigen, dass die „Totalgeheimhaltung kontraproduktiv ist: Sie fördert Gerüchte, öffnet Scheißhausparolen Tür und Tor“. So entstehe überhaupt erst „das Bild von irgendwelchen Killertruppen“.

Der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold plädiert für ein abgestuftes Verfahren. So wenig wie Nachtwei stellt er grundsätzlich infrage, dass es eine Notwendigkeit zur Geheimhaltung gibt, etwa wenn es um den Schutz der Angehörigen und „operative Details“ geht, militärische Einzelheiten, die, wenn sie bekannt werden, den Abgeordneten kaum schlauer, den Gegner aber auf gefährliche Weise klüger machen könnten. Für „überzogen“ hält er die Geheimhaltung dort, wo sie die dazu führe, „dass dieser Truppenteil sich für etwas Besonderes hält“. Wichtig sei aber, dass „auch diese Jungs das Gefühl haben, dass sie ein ganz normaler Teil der Bundeswehr sind und wie diese der parlamentarischen Kontrolle unterliegen“. Zu diesem Zweck müsste das Parlament, müssten mindestens die Obleute umfassender informiert werden. „Manches erfährt man erst durch Nachfragen – aber wenn es überhaupt keine Informationen gibt: Wonach wollen Sie dann fragen?“

Ruprecht Polenz (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, verteidigt dagegen den Status quo: Militärische Details über das Vorgehen vor Ort gehörten nicht in die Öffentlichkeit, sagt Polenz, „ohne Kriegslist wäre Troja auch nicht gewonnen worden“, das „Moment der Überraschung“ könne entscheidend für den Erfolg einer Aktion sein. Maßgeblich für die Kontrolle durch das Parlament sei doch vielmehr die Frage: Wird das Mandat eingehalten oder nicht? „Der Umfangsrahmen zum Beispiel muss eingehalten werden – aber wie die Regierung das tut, ist ihre Sache.“ Wie überhaupt das Erstaunen mancher Abgeordneten über die Existenz und das Wirken der Spezialkräfte ihn seinerseits erstaunt: „Wenn man die Bundeswehr mandatiert, Aufständische festzunehmen, dann ist doch klar, dass die aktiv gesucht werden müssen – von selbst kommen die nicht auf die Polizeistation.“ Und dass, wer bei der Gefangennahme Widerstand leistet, gegebenenfalls getötet wird, „auch das steht im Mandat“. Dass deutsche Soldaten töten und getötet werden – für Polenz eine Konsequenz der Tatsache, „dass wir am Hindukusch in einem Krieg sind“ –, könnten viele offenbar nach wie vor nicht akzeptieren. „Wer das aber nicht will, der darf dem Mandat nicht zustimmen.“

Elke Hoff, Obfrau der FDP, ist da ganz an seiner Seite: Im Rahmen des robusten Mandats sei die Anwendung von Gewalt, wenn es die Lage erfordert, gerechtfertigt. Ob die Lage das erfordere, müsse der Kommandeur vor Ort entscheiden, das könne man „nicht vom Berliner Feldherrenhügel“ aus. „Wir können nicht auch noch den Tagesbefehl mandatieren: Es ist einfach nicht die Aufgabe von uns Parlamentariern, zu entscheiden, ob eine Panzerhaubitze oder wann und wo Spezialkräfte eingesetzt werden sollen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false