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Afghanistan-Experte Rashid im Interview: "Die Taliban sind verhandlungsbereit"

Der pakistanische Journalist und Politikberater Ahmed Rashid gilt als einer der profiliertesten Afghanistan-Experten. Im Interview mit dem Tagesspiegel spricht über die Erfolgsaussichten des Nato-Plans am Hindukusch.

Herr Rashid, die Europäische Union glaubt - so erfährt man bei Wikileaks - offenbar kaum noch an einen Erfolg in Afghanistan. Teilen Sie diese Ansicht?

Ich würde nicht sagen, dass Afghanistan verloren ist. Aber der Nato-Plan, die Truppen bis Ende 2014 abzuziehen und die Verantwortung den afghanischen Sicherheitskräften zu übertragen, wird ohne Friedensgespräche scheitern. Eine Übergabe kann inmitten eines blutigen Krieges nicht gelingen. Afghanistan wird bis 2014 keine Armee und Polizei haben, die dieser Aufgabe gewachsen ist. Gespräche mit den Taliban sind der einzige Weg, den Krieg zu beenden. Ein militärischer Sieg über die Taliban ist eine Illusion.

Aber viele Analysten bezweifeln, dass die Taliban an Gesprächen interessiert sind.

Die Quetta-Schura, der Führungszirkel der alten Taliban, ist weitgehend verhandlungsbereit. Ihr Vize Mullah Baradar führte bereits Gespräche mit den UN und europäischen Staaten. Baradar handelte mit Rückhalt der Quetta-Schura und ihres Chefs Mullah Omar. Doch Pakistans Geheimdienst ISI nahm Baradar im Februar fest, weil er am ISI vorbei agierte. Dem Westen läuft die Zeit davon: Die Taliban werden nächstes Jahr stärker sein. Die Quetta-Schura wird langsam von jüngeren Taliban an den Rand gedrängt, die enger mit Al Qaida verbunden sind. Übernimmt diese radikalisierte Kriegsgeneration das Ruder, schwinden die Chancen für eine Verhandlungslösung.

Zusammen mit 22 anderen Afghanistan- Experten haben Sie in einem offenen Brief an Barack Obama appelliert, rasch direkte Gespräche mit den Taliban zu beginnen. Warum zögert der US-Präsident?

Viele europäische Staaten befürworten Gespräche mit den Taliban oder haben bereits ihre Fühler ausgestreckt. Auch Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz bemühen sich um Kontakt zu den Taliban. Aber die USA sind gespalten. Es gibt derzeit keine klare politische Linie in Washington. Obama möchte schnell raus aus Afghanistan und 2011 mit dem Abzug beginnen. Doch das Pentagon und die Generäle haben den Machtkampf gewonnen. Sie wollen die Taliban zunächst auf dem Schlachtfeld unterwerfen. Europa zweifelt, dass diese Strategie aufgeht.

Wie kann man Friedensverhandlungen voranbringen?

Wir brauchen vertrauensbildende Maßnahmen, um ein Klima für ernsthafte Verhandlungen zu schaffen. Zunächst sollten die USA und die Karsai-Regierung Taliban-Gefangene freilassen. Die Taliban sollten dann mit einem Waffenstillstand folgen. Und die UN müssten ihre Bemühungen verstärken, die Spannungen zwischen benachbarten Ländern und besonders Indien und Pakistan zu entschärfen. Wir müssen auch den Iran einbinden, der wie Pakistan Taliban unterstützt.

Im Gespräch mit Ihnen haben ehemalige Taliban-Führer ein offizielles Büro in einem Drittland vorgeschlagen. Unterstützen Sie dies?

Absolut. Die Taliban sind ein wichtiger Faktor und sie müssen gehört werden. Eine offizielle Vertretung würde ihnen Selbstrespekt geben und eine gewisse Unabhängigkeit von Pakistan, das die Friedengespräche kontrollieren will. Die Quetta-Schura, die sich in Pakistan versteckt, ist seit zehn Jahren faktisch isoliert. Das prägt ihr Weltbild. Sie braucht wieder Kontakt zur Außenwelt.

Als mögliches Gastland für ein Büro wird Deutschland genannt. Könnten wir bald Taliban-Chef Omar, der noch als Terrorist eingestuft wird, über den Weg laufen?

Wohl kaum. Natürlich wären strengste Sicherheitsvorkehrungen notwendig. Das Büro würde von vier oder fünf höherrangigen Taliban-Mitgliedern repräsentiert, die mit einer gewissen Autorität ausgestattet sind, aber der Quetta-Schura und Omar unterstehen. Deutschland hat eine lange Tradition als Friedensmittler in Afghanistan. Aber Deutschland wäre wohl nicht die erste Wahl. Der beste Ort wären die Golfstaaten. Sie sind nur zwei Flugstunden von der Quetta-Schura entfernt. Die Taliban würden sich der Kultur dort näher fühlen. Ich glaube, dass auch die USA grünes Licht geben würden.

Sie plädieren dafür, die Taliban am Ende wieder an der Macht zu beteiligen. Wäre dies nach zehn Jahren Krieg und Tausenden Toten nicht eine demütigende Niederlage für die internationale Gemeinschaft?

Viele im Westen mögen es als Niederlage sehen. Aber es gibt keine realistische Alternative. Wenn das einen Prestigeverlust bedeutet, muss der Westen damit leben lernen. Das Schlimmste wäre ein neuer Bürgerkrieg. Die Spannungen in Afghanistan wachsen gefährlich. Es gibt eine große Krise zwischen Paschtunen und Nichtpaschtunen wegen der Parlamentswahlen sowie wachsenden Unmut über die Karsai-Regierung. Und Warlords übernehmen immer stärker die Kontrolle im Norden. Die Gefahr eines neuen Bürgerkrieges ist sehr groß.

Auch im Westen wächst die Kritik an Präsident Karsai.

Karsai agiert schizophren. Er steht unter massivem Druck von verschiedensten Seiten. Mal unterstützt er die USA, dann opponiert er wieder gegen sie. Karsai will den Krieg unbedingt beenden. Und er ist inzwischen sehr verbittert und kritisch gegenüber dem Westen. Er glaubt, dass die USA unfähig sind, Frieden zu bringen.

Das Gespräch führte Christine Möllhoff.

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