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Politik: Afghanistan: Kampf der Häuptlinge

Die Tinte unter dem Petersberger Abkommen ist noch nicht trocken, da gibt es schon Widerstand gegen das Verhandlungsergebnis. In Afghanistan kündigte der Usbekenführer General Abdul Raschid Dostum den Boykott der neuen Regierung an, da seine Gruppe nicht ausreichend in ihr vertreten sei.

Die Tinte unter dem Petersberger Abkommen ist noch nicht trocken, da gibt es schon Widerstand gegen das Verhandlungsergebnis. In Afghanistan kündigte der Usbekenführer General Abdul Raschid Dostum den Boykott der neuen Regierung an, da seine Gruppe nicht ausreichend in ihr vertreten sei. Nun fürchten Vertreter der afghanischen Diaspora, dass sich die Ereignisse von 1992 wiederholen. Auch damals hatte eine Exilkonferenz, bei der sich die verschiedenen Gruppen auf Rabbani als Übergangspräsident einigten, nur vorübergehende Beruhigung gebracht. Die Siebener-Allianz zerbrach gleich nach ihrer Bestätigung durch die Loya Dschirga am Kompetenzgerangel ihrer rivalisierenden Führer.

Zum Thema Online Spezial: Kampf gegen Terror Afghanistan: Wege jenseits der Bomben Bundeswehr-Einsatz: Deutschland und der Krieg Fotostrecke: Krieg in Afghanistan Die auf dem Petersberg ausgehandelten Vereinbarungen könnten nach Dostums Widerstand schon in einem sehr viel früheren Stadium scheitern. Die im Vorfeld der Konferenz von Rabbani aufgestellte Minderheitsregierung hat nach Meinung vieler Afghanen durch das Bonner Abkommen nur kosmetische Korrekturen erfahren. Die Schlüsselressorts Äußeres, Inneres und Verteidigung bleiben in den Händen ethnischer Tadschiken. Dostums Usbeken, die durch ihre militärischen Erfolge zumindest Ansprüche auf das Außenamt zu haben glaubten, wurden mit den Ressorts Landwirtschaft, Bergbau und Industrie abgefunden. Auch andere alte Haudegen, wie der Führer der schiitischen Paschtunen, Ismail Khan, und Hazará-Vormann Karim Halili fühlen sich ins Abseits gedrängt. Das meldete der US-Auslandssender Radio Liberty aus Kabul.

Ein Boykott der Beschlüsse ist außerdem von Expremier Gulbuddin Hekmatyar zu erwarten. Schon vor Konferenzbeginn hatte er mit Boykott der im Ausland gefassten Beschlüsse gedroht. Ebenso wie Rabbani, von dem weiteres Sperrfeuer droht, weil er nicht aus Überzeugung, sondern unter Druck zurücksteckte. Zweifel an der Lebensfähigkeit der Absprachen lässt schon der Rang der Unterhändler aufkommen. Afghanische Politik wird traditionell auf dem Schlachtfeld gemacht, über Regierungssitze entscheiden nicht Programme, sondern handfestere Argumente. Zudem verhandelten in Bonn weder die Warlords noch die Spitzenpolitiker der vier großen Interessengruppen, sondern lediglich Politiker der zweiten Reihe. Ihre Abmachungen aber haben in der streng hierarchisch strukturierten afghanischen Gesellschaft kaum Gewicht.

Nur wenige Gruppen seien an den Gesprächen über eine Übergangsregierung beteiligt gewesen, kritisiert der Afghanistan-Experte Michael Pohly. Daher werde es schwer, die Ergebnisse der Konferenz im Land umzusetzen. "In Bonn wurden die üblichen Leute bedient. Und die repräsentieren keinesfalls die Vielfalt der Bevölkerungsgruppen." So hätten selbst die Delegierten der Nordallianz nicht einmal die notwendige Rückendeckung im eigenen Lager. Auch der künftige Regierungschef Hamid Karsai verfüge über keine Hausmacht, ja gelte sogar als CIA-Mann, sagt der Dozent für Iranistik an der Freien Universität Berlin. Generell könne von Loyalität gegenüber Politikern kaum eine Rede sein. "Die Menschen sind verunsichert, sie haben Angst. Deshalb ist zurzeit auch niemand bereit, seine Waffen abzugeben."

Weniger skeptisch beurteilt der Publizist und Kenner der Krisenregion Hans Christoph Buch die Lage. "Es ist doch sehr erstaunlich, dass sich mehrere Parteien nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg überhaupt auf etwas Konkretes geeinigt haben. Die Kompromissbereitschaft war größer denn je." Das sei eine gute Chance für einen Neubeginn. Einen Bürgerkrieg hält Buch eher für unwahrscheinlich, sieht aber ein anderes Problem auf das Land zukommen. "Es gibt eine Kluft zwischen den Laizisten, die sich an westlichen Demokratien orientieren, und den Religiösen, die eine islamische Republik wollen."

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