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Afghanistan: Karsais zwiespältiger Wahlkampf

Der Hamid Karsai Präsident verteilt Geld und verspricht Posten – um Loyalität zu erhalten.

„Freie und faire Wahlen“ sollten es sein. So hatte die internationale Gemeinschaft die afghanischen Präsidentschaftswahlen am kommenden Donnerstag angekündigt. So sagen es europäische Diplomaten noch gelegentlich, auch wenn sich der UN-Missionschef in Kabul, Kai Eide, bereits auf eine eher nebulöse Definition verlegt hat: „Glaubwürdig und inklusiv“ sollten die Wahlen sein, entscheidend sei, dass „deren Ergebnisse von den Afghanen akzeptiert werden“. Unter welchen Bedingungen, ließ er unerwähnt.

Schon dass Wahlen überhaupt stattfinden, wird als Erfolg gewertet, egal, wie sie am Ende verlaufen. Dabei wird jetzt schon offenbar, wie der amtierende Präsident und Favorit Hamid Karsai dafür gesorgt hat, dass er kaum verlieren kann.

Zunächst hat er die alten, vielfach kriminell vorbelasteten Milizenführer wieder in sein Lager geholt. Darunter den usbekischen Warlord Raschid Dostum, der 2001 mehrere tausend Taliban umbringen ließ, die sich bereits ergeben hatten. Mohammed Fahim, Militärführer der Nordallianz und verstrickt in Landraub, Morde, Entführungsfälle, kandidiert als Karsais Vizepräsident. Überdies sind vor der Wahl gigantische Geldsummen verteilt worden. Zwischenzeitlich wurde sogar der Dollarkurs gesenkt. Aber es ist unmöglich zu ermitteln, wie viel direkt an Stammesführer, Mullahs und Warlords geflossen ist, damit sie Druck auf ihre Klientel ausüben. Umso ungewöhnlicher ist es, dass eine vom Präsidenten persönlich unterzeichnete Zahlungsanweisung auf verschlungenen Pfaden aus dessen Palast herausgelangte: Darin weist Karsai persönlich die Auszahlung von 100 Millionen Afghani, umgerechnet 2,2 Millionen US-Dollar, aus dem Sonderfonds des Präsidenten an die Führer des Nomadenvolks der Kuchi an (siehe Faksimile) – damit sie sich während der Wahlen ruhig verhalten. Dabei ist es laut afghanischem Wahlgesetz illegal, Geld während des Wahlkampfs zur Beeinflussung an verschiedene Gruppen zu verteilen.

Eigentlich obliegt die Durchführung der Wahl allein der „Unabhängigen Wahlkomission“, deren Vorsitzender allerdings schon vor Wochen sagte, dass es überall auf der Welt Wahlbetrug gebe und man ihn in Afghanistan nicht werde verhindern können. Doch de facto sind eben auch Polizisten, Distriktgouverneure und einflussreiche Milizenführer entscheidende Größen – was der Grund dafür sein dürfte, dass in den vergangenen Wochen mindestens sechs Distriktpolizeichefs ausgetauscht wurden. Eine Order Karsais, dass in der Provinz Balkh im Norden 27 Polizeioffiziere auszuwechseln seien, lässt vermuten, dass es noch mehr sind. Doch dort wurde das Manöver öffentlich bekannt – und vereitelt. Der Gouverneur verweigerte die Demissionen mit Hinweis darauf, dass Karsais verfassungsgemäße Amtszeit drei Monate vor den Wahlen ausgelaufen sei.

Um Doppelabstimmungen zu verhindern, waren die wahlberechtigen Afghanen angehalten, sich für eine Wahlkarte registrieren zu lassen. Deren Vergabe wurde so lax gehandhabt, dass zwischen der Zahl der Registrierungen und der Zahl tatsächlich existierender Afghanen eine Lücke von drei bis fünf Millionen klafft.

Am Ende könnte der Sieg an sich einfacher sein als dessen Konsequenzen: Denn Karsai hat weit mehr Posten versprochen, als es zu verteilen geben wird. „Alle Warlords, die bei der Postenverteilung leer ausgehen, können jederzeit für Unruhen sorgen“, sagt Mohammed Moin Marastyal, einst Vizeminister in der Regierung und heute Parlamentsabgeordneter: „Ich sehe schwarz für die Zukunft.“

Naim Sabri[Kabul]

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