zum Hauptinhalt
Der junge Afghane Rahmatullah Merzayee hält ziemlich wenig von seiner gegenwärtigen Regierung.

© Ingrid Müller

Afghanistan-Konferenz: Was ein Kabuler Student sich für sein Land wünscht

Rahmatullah Merzayee möchte, dass auf der Afghanistan-Konferenz Regeln gegen Korruption beschlossen werden. Er hofft auf Frieden, wenn die Taliban in die Regierung eingebunden würden.

Auf den ersten Blick würden die meisten Menschen Rahmatullah Merzayee nicht für einen Afghanen, sondern vielleicht für einen Amerikaner halten. Der 25-Jährige aus Kabul ist von kräftiger Statur, hat dunkelblonde Haare und graublaue Augen, trägt Cargohose und T-Shirt. Und er hält ziemlich wenig von seiner gegenwärtigen Regierung. „Als Hamid Karsai nach Afghanistan zurückkam, hat er nur Mütze und Mantel gehabt, heute ist er einer der reichsten Männer der Welt“, schimpft Merzayee. Er kritisiert die grassierende Korruption, die es seiner Meinung nach in Regierung, Parlament und internationalen Organisationen in seinem Land gibt. Auf der Afghanistan-Konferenz am Montag in Bonn muss die internationale Gemeinschaft darum seiner Meinung nach klare Bedingungen formulieren, fordert der Wirtschaftsstudent. Ministerämter und Jobs dürften künftig nicht mehr wie bisher vornehmlich an Freunde oder Mitglieder der gleichen Volksgruppe vergeben werden, sondern endlich nach Qualifikation und Leistung. „Wenn die Regierung Karsai das nicht erfüllt, darf sie kein Geld mehr bekommen.“

Um zu unterstreichen, wie verärgert er ist, fügt der junge Mann hinzu: „Obwohl unser Land zu 99 Prozent muslimisch ist, würde ich einen Hindu als Präsident vorziehen, wenn er die Fähigkeit hat, das Land voranzubringen.“ Auch die Vertreter internationaler Organisationen kümmern sich seiner Meinung nach zu sehr um zu wenige Menschen, anstatt wirklich Interesse am Fortkommen der breiten Bevölkerung in Afghanistan haben, schimpft Merzayee und fordert auch von ihnen eine Neuorientierung.

Während der Student für die wichtigen Funktionen so radikale Schritte fordert, hat er durchaus Verständnis für konservative Familien auf dem Land, die ihre Töchter nicht in die Schule schicken. „Ha, Frauen“, holt er tief Luft. Wenn Familien ihren Töchtern nicht erlaubten, in die Schule zu gehen, „ist das ihr Recht, das müssen wir akzeptieren“. Das basiere auf Kultur und Religion, argumentiert der junge Mann. Natürlich sage der Islam nicht, dass Mädchen nicht zur Schule gehen sollten, dabei gehe es um die Tradition. „Die Eltern und der große Bruder sind die einzigen Entscheider in der Familie.“  

Außerdem dürfe man „Kabul nicht mit Afghanistan gleichsetzen“. Möglicherweise sei ein Kind der einzige Verdiener in der Familie. „Diese Menschen sind arm. Wollen Sie dem Kind das tägliche Leben bezahlen, wenn es nicht arbeitet, sondern in die Schule geht?“ Er wünsche sich auch, dass möglichst viele Kinder in die Schule gehen – „aber ich bin nicht Geschäftsführer einer großen Organisation und kann den Leuten alles bezahlen“. Vielleicht, meint er noch, dächten konservative Afghanen eben auf eine Art wie Taliban.

{Die Widersprüche in Afghanistan}

Diese Ansicht gehört wohl zu all den Widersprüchen in Afghanistan, die viele Menschen im Westen kaum fassen können. Denn Rahmatullah Merzayee ist selbst Kämpfer für Minderheitenrechte. Mit acht trat er auf dem Weg zur Schule in Kabul auf eine Mine. Er verlor beide Beine, wurde auch an Kopf und Armen schwer verletzt. Afghanistan zählt zu den am schlimmsten verminten Ländern der Welt. Heute reist der 25-Jährige als Campaigner für die Hilfsorganisation der afghanischen Landminenüberlebenden (Also) durch sein Land und die Welt. In der vergangenen Woche war er als Jugendbotschafter auf der Landminenkonferenz im kambodschanischen Phnom Penh.

In Afghanistan versucht er, Minenopfern wieder Mut zu machen. Denn der Mut hatte auch ihn nach dem Unfall verlassen: „Ich wollte nicht wieder in die Schule gehen.“ Monatelang war er im Krankenhaus, ein Jahr wurde er auch in Deutschland behandelt. Er habe viel Unterstützung aus Deutschland bekommen, erzählt er. Am Ende ging er doch wieder zur Schule. 

Rahmatullah Merzayee war 13, als er und seine sieben Geschwister Halbwaisen wurden. Der Vater, der Taxi fuhr, starb. Inzwischen verdienen die älteren Brüder den Unterhalt für die Familie, die Mutter ist Hausfrau. Das Geld, das Merzayee bei Also verdient, darf er für seine Abenduni ausgeben. Er sieht seinen Platz in Afghanistan. Mit seiner Erfahrung könne er den vielen Minenopfern helfen - auch denen, die nach einem solchen Unfall an Selbstmord denken. „Ich weiß, wie sie sich fühlen.“ Er selbst hat sich inzwischen ein gesundes Selbstbewusstsein zugelegt. Die erste Prothese aus Deutschland hielt zehn Jahre, die zweite für 2000 Dollar schmerzte, nun hat er eine dritte, die ihm eine amerikanische Organisation gesponsert hat. Das eine Bein ist steif, das andere kann er abknicken. Trotz aller Anstrengung: Er will aus eigener Kraft unterwegs sein. Ein Rollstuhl kommt für ihn nicht in Frage: „Ich will nicht von jemand anders abhängig sein.“ Er sei auch ganz allein von Kabul nach Kambodscha gekommen. Anders als auf dem Land machten Minen in der Hauptstadt Kabul keine Probleme mehr, sagt er. Aber eine Angst bleibt: Selbstmordattentäter. Die fürchtet er.

Wenn Taliban in die Regierung eingebunden würden, könnte das seiner Ansicht nach Frieden und Entwicklung dienen. Wenn nicht, bleibe es bei der Unsicherheit. Allerdings hat er seine Zweifel, nachdem es so oft Angebote von Präsident Karsai an die Radikalislamisten gegeben hat, die diese zurückgewiesen haben. „Wenn sie wirklich Afghanen wären, würden sie mitmachen.“ Die meisten aber würden in Pakistan zu Terroristen ausgebildet: „Das sind keine Afghanen.“

Bei allem Kampfgeist: Auch bei Rahmatullah Merzayee daheim gelten noch die so genannten afghanischen Traditionen. Seine 16jährige Schwester, erzählt er, als sei das völlig normal, sei bereits verheiratet. Den Mann habe sie sich aber selbst ausgesucht, fügt er noch schnell hinzu.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false