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Angela Merkel am Bundeswehr-Stützpunkt in Massar-i-Scharif

© dpa

Update

Afghanistan: Merkel bekräftigt 2014 als Abzugstermin

Bei ihrem Überraschungsbesuch in Afghanistan hat Bundeskanzlerin Merkel einen Abzug der deutschen Truppen für 2014 in Aussicht gestellt. Überschattet wird ihr Hindukusch-Besuch durch den Amoklauf eines US-Soldaten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bei einem Besuch deutscher Soldaten im nordafghanischen Masar-i-Scharif das Jahr 2014 als Abzugstermin bekräftigt. „Wir sind jetzt schon in der Phase der Übergabe in Verantwortung“, sagte Merkel. „2014 ist der Abzugstermin.“ Der Termin sei international vereinbart worden, zuletzt auf der Afghanistan-Konferenz in Bonn Ende vergangenen Jahres, sagte Merkel.

Die Kanzlerin relativierte damit erste Äußerungen, in denen sie skeptisch über den Abzugstermin 2014 geklungen hatte. Der politische Versöhnungsprozess mit den Aufständischen habe zwar einige Fortschritte gemacht, er sei aber noch nicht auf einem Stand, bei dem man sagen könne, „wir können heute hier abziehen“, hatte Merkel gesagt und weiter ausgeführt: „Und deshalb kann ich auch noch nicht sagen, schaffen wir das bis 2013/2014. Der Wille ist da, wir wollen das schaffen, und daran wird gearbeitet.“

Aus Regierungskreisen verlautete, Merkel habe mit den ersten Äußerungen auf die noch zu bewältigenden Probleme hinweisen wollen. Sie sei in der Frage des Abzugstermins aber nicht skeptisch. Die Kanzlerin war am Morgen unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen zu einem nicht angekündigten Besuch in Afghanistan eingetroffen.

Im Bundeswehr-Feldlager in Masar-i-Scharif informierte sie sich bei den Soldaten über den Einsatz. Zum Auftakt der Visite gedachte sie am Ehrenhain den in Afghanistan gefallenen Soldaten.

Überschattet wurde der inzwischen vierte Afghanistan-Besuch Merkels von dem Amoklauf eines US-Soldaten im Süden des Landes. Nach afghanischen Regierungsangaben ermordete der Soldat in der Provinz Kandahar in der Nacht zum Sonntag insgesamt 16 Zivilisten, darunter neun Kinder und drei Frauen. Die Bluttat belastet das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Kabul und Washington.

Angela Merkel hat bereits kurz nach Ihrem Eintreffen am Hindukusch mit der afghanischen Regierung kondoliert. Vom Bundeswehr-Feldlager im nordafghanischen Masar-i-Scharif aus telefonierte Merkel am Montag mit Präsident Hamid Karsai. Dabei drückte sie dem Präsidenten ihr persönliches Beileid und das der deutschen Bevölkerung anlässlich der „schrecklichen Tat des US-Soldaten“ aus. Merkel habe Karsai außerdem zu den Fortschritten beim Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte gratuliert. Sie sollen bis 2014 schrittweise im ganzen Land die Verantwortung von der Nato übernehmen. Karsai habe seine große Wertschätzung für das zivile und militärische Engagement Deutschlands ausgedrückt, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit

Trotz befürchteter Proteste nach dem Amoklauf ließ sich Merkel nicht von ihrer Reise abhalten, die bereits vor der Bluttat geplant gewesen war. Im vergangenen Monat hatte die Verbrennung von Koran-Exemplaren durch US-Soldaten auf der ostafghanischen Basis Bagram tagelange Unruhen im Land ausgelöst, mindestens 30 Afghanen wurden dabei getötet. Seitdem wurden zudem sechs US-Soldaten durch afghanische Sicherheitskräfte erschossen. Zu dem Massaker in Kandahar zitierte die „New York Times“ am Montag Dorfbewohner, die sagten, der Unteroffizier sei von Tür zu Tür gegangen und schließlich in drei verschiedene Häuser eingedrungen.

Dort habe er seine Opfer getötet und mehrere der Leichen verbrannt, darunter auch die von vier Mädchen im Alter von unter sechs Jahren. Der Unteroffizier sei von seiner Basis im Unruhedistrikt Pandschwai aus mehr als eine Meile (1,6 Kilometer) weit zum Tatort gelaufen. Die „New York Times“ berichtete weiter, der mutmaßliche Einzeltäter habe sich anschließend ergeben. Bei ihm handele es sich um einen 38-jährigen Feldwebel, der verheiratet sei und zwei Kinder habe. Er sei seit Dezember in seinem ersten Afghanistan-Einsatz. Der Mann wurde festgenommen, nach US-Angaben hatte er psychische Probleme.

Zuvor sei er dreimal im Irak stationiert gewesen. Präsident Hamid Karsai sprach von einem „unverzeihlichen Verbrechen“. US-Präsident Barack Obama telefonierte noch am Sonntag mit Karsai und brachte nach Angaben des Weißen Hauses „Schock und Trauer“ zum Ausdruck. Außenminister Guido Westerwelle reagierte bestürzt und fassungslos auf das Blutbad. Merkel hatte am Montag zunächst zu den deutschen Soldaten in der Unruheprovinz Kundus fliegen wollen. Wegen schlechten Wetters war das aber nicht möglich gewesen.

Die Taliban haben derweil mit Vergeltung gedroht. Sie würden sich für „jeden einzelnen Märtyrer bei den Eindringlingen und grausamen Mördern rächen“, drohten die radikalislamischen Aufständischen am Montag auf ihrer Internetseite an. In ihrer Reaktion bezeichneten die Taliban außerdem die Angaben zum Geisteszustand des US-Soldaten als Ausrede. Sollten sie aber stimmen, sei dies ein weiteres „Zeugnis für die moralische Verworfenheit des US-Militärs, da es in Afghanistan Verrückte bewaffnet, die dann ihre Waffen ohne zu zögern auf wehrlose Afghanen richten,“ erklärten sie auf ihrer Internetseite.

Der blutige Vorfall ist für die NATO-geführten internationalen Truppen in Afghanistan (ISAF) eine Katastrophe. Seit Monaten sind die Beziehungen zwischen Washington und Kabul gespannt. Nach der offenbar versehentlichen Verbrennung von Koran-Ausgaben durch US-Soldaten auf dem Militärstützpunkt Bagram nahe Kabul gab es Ende Februar im ganzen Land tagelange Proteste, bei denen 30 Menschen getötet und 200 weitere verletzt wurden. Im Zusammenhang mit der Koran-Verbrennung wurden bis 1. März sechs US-Soldaten von afghanischen Kollegen getötet. Nach dem Amoklauf vom Sonntag rechnet die ISAF nun mit weiteren Racheakten.

Heimatbasis des Amokläufers als problematisch bekannt

Der Heimatstandort des der Tötung von 16 Zivilpersonen beschuldigten US-Soldaten ist vom US-Soldatenmagazin „Stars and Stripes“ als die US-Kaserne mit den meisten Problemen bezeichnet worden. Rund 100.000 Soldaten und Zivilangestellte nennen die Joint Base Lewis-McChord im US-Staat Washington ihr Zuhause. Damit es einer der größten Militärstützpunkte der USA. Vier von dort aus nach Afghanistan entsandte Soldaten wurden wegen Mordes verurteilt, weil sie 2010 drei Afghanen erschossen und ihnen Finger abgeschnitten sowie Zähne als Trophäen ausgeschlagen hatten. Ein ehemaliger Soldat aus Lewis-McChord schoss 2010 einen Polizisten im US-Staat Utah an und am 1. Januar tötete ein 24 Jahre alter Veteran des Irakkriegs einen Parkwächter im Mount Rainier Nationalpark, bevor er selbst auf der Flucht in der Kälte umkam.

Außerdem nahmen sich eine Reihe von aus dem Krieg nach Lewis-McChord zurückgekehrter Soldaten das Leben. Im vergangenen Jahr begingen dort trotz ausgeweiteten Beratungsangebots zwölf Soldaten Selbstmord. Im Jahr zuvor waren es neun. In über 300 Fällen wurde Informationen der Zeitung „Seattle Times“ zufolge in den vergangenen fünf Jahren im Standortkrankenhaus die Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung zurückgenommen. Das US-Heer untersucht, ob die Ärzte sich davon haben leiten lassen, wie teuer eine derartige Diagnose für die Streitkräfte ist, da damit Pensions- und sonstige Ansprüche einhergehen.

Wie ein Gewährsmann der Nachrichtenagentur AP mitteilte, war der mutmaßliche Täter als regulärer Soldat auf dem im Süden Afghanistans gelegenen Stützpunkt zur Unterstützung von US-Spezialeinheiten stationiert. Diese bauen dort zur Stabilisierung der Sicherheitslage in den umliegenden Dörfern Bürgerwehren auf. Demnach handelte der Soldat auf eigene Faust, als er seinen Stützpunkt verließ und in zwei Dörfern das Feuer auf Zivilpersonen eröffnete.

Die Bundeswehr ist seit zehn Jahren in Afghanistan präsent. In Masar-i-Scharif befindet sich das logistische Drehkreuz der Bundeswehr und zugleich das größte Feldlager. Bis Ende 2014 sollen die Kampftruppen aus Afghanistan abgezogen sein. Auch der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) ist derzeit in Afghanistan. Er traf am Sonntag in Kabul ein. Das Programm Niebels musste wegen Schneefalls in der Region Kabul stark eingeschränkt werden.

Kanzlerin Merkel war zuletzt im Dezember 2010 in Afghanistan gewesen. Damals hatte sie den Einsatz erstmals als Kriegseinsatz bezeichnet. Die Bundeswehr hat während ihrer nun über zehnjährigen Mission in Afghanistan 52 Soldaten verloren. Sie starben bei Anschlägen, Unfällen oder im Gefecht. 2002 startete die deutsche Truppe mit 1200 Soldaten, derzeit sind es rund 4800. Bis Anfang 2013 soll das deutsche Kontingent auf 4400 Soldaten reduziert werden. Bis 2014 will sich die Internationale Schutztruppe Isaf mit ihren Kämpfern ganz aus Afghanistan zurückziehen. Dann sollen die Afghanen selbst die Verantwortung für die Sicherheit in dem Land übernehmen. Merkel ist nach ihren Besuchen 2007, 2009 und 2010 nun das vierte Mal in Afghanistan.

(dpa/AFP/dapd)

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