zum Hauptinhalt

Afghanistan: Mit 19 Jahren in den Krieg

Er hat Gefechte trainiert und die Einsatzregeln auswendig gelernt. Bald muss er nach Kundus. Über einen jungen Gebirgsjäger, der bald gegen die Taliban kämpfen muss.

Mit dem Sturmgewehr vor der Brust steht der Soldat neben einem Transportpanzer. Seine Schultern hängen leicht herunter. Er ist müde und ausgelaugt nach einem intensiven Einsatz. Von seinem Gesicht ist nur die Augenpartie zu sehen, ein olivgrünes Tuch verdeckt Mund und Nase, der Kopf steckt in einer Sturmhaube. Der Stahlhelm, die Schutzweste und die Schiene am linken Bein verleihen ihm ein wuchtiges Aussehen. Doch der 19-jährige Infanterist hat keine Rambo-Statur, beim Boxen würde er im Fliegengewicht antreten.

Der Hebel seines Sturmgewehres vom Typ G36 steht jetzt auf "S", für gesichert. Eben noch hat der junge Soldat auf Aufständische gefeuert. Er schoss, um sich und seiner Kameraden zu verteidigen. Eine Fahrzeugkolonne der Bundeswehr fuhr auf einer verschneiten Piste in einen Hinterhalt und wurde mit einer Panzerfaust und Kalaschnikows beschossen. Ein Dingo geriet in Brand. Deutsche Soldaten wurden verletzt, Gegner getötet. Es war ein simuliertes Gefecht.

Noch sind alle Einsätze für den 19-Jährigen Übungen. Der Talibanangriff wurde im Gefechtsübungszentrum des Heeres bei Letzlingen in Sachsen-Anhalt simuliert. Geschossen wurde mit Manövermunition, die tödlichen Treffer ermittelte ein Simulator und die Angreifer waren verkleidete Ausbilder.

Ernst wird es für den Soldaten in wenigen Tagen. Momentan wird seine Infanteriekompanie auf den Einsatz in Afghanistan vorbereitet. Kundus, die Region in der die Bundeswehr gegen Taliban kämpft, heißt das Ziel. Die Soldaten werden zum 22. Einsatzkontingent der Isaf gehören.

Angst habe er nicht, sagt er. Seine Einheit soll künftig die Quick Reaction Force (QRF), die schnelle Einsatztruppe stellen. Die QRF rückt aus den Feldlagern aus, wenn Truppen der Bundeswehr oder der Verbündeten Unterstützung brauchen. Die schnelle Eingreiftruppe steht im Kampf gegen die Taliban an vorderster Front. Wie lange die QRF noch bestehen wird, ist allerdings unklar. Die Bundesregierung hat deren Auflösung beschlossen, um mehr Soldaten für die Ausbildung der afghanischen Armee und Polizei bereitstellen zu können. Für die Gebirgsjäger wird der Einsatz deswegen nicht weniger risikoreich. Gegen Gegner zu kämpfen, dass sieht der Soldat als Bestandteil seines Berufs an. "Das ist unser Job", sagt er. "Der Einsatz wird bestimmt nicht freundlich."

Seit wenigen Tagen nennt die Bundesregierung den Afghanistaneinsatz einen "bewaffneten Konflikt nach dem Völkerrecht", eine juristische Bezeichnung für Bürgerkrieg. Doch die rechtliche Situation der Soldaten hat sich damit noch lange nicht geändert. "Wir Soldaten, die nach Afghanistan gehen, stehen mit einem Bein im Knast, und mit dem anderen im Grab", sagt der Soldaten ohne Pathos. Ein schlichter Satz voller Wahrheit.

Er möchte nicht, dass sein Name veröffentlicht wird. Der Einsatz sei sehr unpopulär, nicht alles was er sagt, ist für die Ohren der Vorgesetzten und von Verwandten und Bekannten gedacht.

Der Hauptgefreite und seine Kameraden haben sich in den vergangenen Monaten viel über den Einsatz unterhalten. Aus der Zeitung und dem Fernsehen haben sie von Ermittlungen verschiedener Staatsanwaltschaften gegen deutsche Soldaten erfahren. Oberst Georg Klein, der die Bombardierung zweier Tanklaster bei Kundus befahl, ist da nur der prominenteste Fall. "Wenn wir unseren Auftrag erledigen und uns an die Taschenkarte halten, sind Ermittlungen unfair", sagt der Berufssoldat. In der Ausbildung wurden die juristischen Probleme angesprochen. Die Taschenkarte hat er vorsichtshalber auswendig gelernt.

Dennoch wird er sie in Afghanistan stets bei sich tragen. Das ist Vorschrift. Wie weit ihm das etwas nützt, weiß er nicht. Denn wenn er kämpft, wenn er schießt und vielleicht sogar tötet, dann drohen staatsanwaltliche Ermittlungen. Bislang galt für die Soldaten im Einsatz das deutsche Zivilstrafrecht. Die Einstufung als "bewaffneter Konflikt" durch die Bundesregierung sollte eigentlich dazu führen, dass künftig dass Kriegsvölkerrecht angewendet wird.

Doch die Rechtsunsicherheit bleibt vorerst bestehen. "Die Soldaten in Afghanistan stehen ständig am Rande des Grundgesetzbruches", sagt beispielsweise Monika Lüke, Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland. "Die Politik darf die Soldaten nicht in die Rechtsunsicherheit schicken, das wird auf dem Rücken der Soldaten ausgetragen."

Die promovierte Völkerrechtlerin sieht vor allem juristische Probleme, wenn Soldaten Gegner gefangen nehmen. "Die deutschen Bestimmungen legen fest, dass Festnahmen nur rechtens sind, wenn der Gefangene innerhalb von 48 Stunden einem Richter vorgeführt wird", sagt Lüke. "Das ist momentan schwierig für die Soldaten umzusetzen. Die Festgenommenen an afghanische Behörden zu übergeben, ist jedoch keine Alternative. Denn das Grundgesetz verbietet Folter, die afghanischen Sicherheitskräfte foltern aber."

Lüke und andere Völkerrechtler fordern eine rechtliche Klarstellung mit einem Entsendegesetz. Das lehnt das Bundeskabinett bisher ab. Die neue rechtliche Bewertung soll die Soldaten entlasten. Doch die Worte "bewaffneter Konflikt" sind eher eine moralische Unterstützung als eine rechtliche Klarstellung. Denn Staatsanwälte sind unabhängig und an Bewertungen der Politik nicht gebunden.

Die Männer und Frauen der Bundeswehr hoffen auf eindeutigere Regeln. Der Hauptgefreite sagt, wenn die Politiker die Armee in Krisengebiete schickt und das Leben der Soldaten riskiert, dann müsse der Bundestag auch für klare Bedingungen sorgen. So wie er, denken viele in der Bundeswehr.

Die Bundesrepublik Deutschland entsendet die Soldaten längst nicht mehr nur an den Hindukusch, um Brücken zu bauen, Mädchenschulen zu schützen und Polizisten auszubilden. Seit Juli 2009 sollen die Soldaten gegen Gegner offensiv vorgehen, die Taschenkarte erlaubt nun die Verfolgung der Aufständischen und eine präventive Abwehr von Angriffen.

Gefahren gibt es für die Männer und Frauen in der Region Kundus zahlreiche: Sprengfallen, Minen, Heckenschützen, Selbstmordattentäter, Mörserbeschuss, Taliban mit Panzerfäusten und Raketen bedrohen dort das Leben. In Afghanistan stehen die Soldaten der Internationalen Schutztruppe (Isaf) vor allen Gefahren, die im modernen asymmetrischen Krieg vorkommen können.

Wie man vorgeht, wenn der eigene Trupp in einem Hinterhalt gerät, das lernte die Einheit bereits. Auch, wie man Sprengfallen erkennt, steht auf dem Lehrplan. In wenigen Monaten kommt auf die Soldaten ein ganz neues Risiko zu.

Experten warnen, dass die Gefahr für die Soldaten mit der neuen deutschen Strategie steigen wird. Die Bundesregierung will die Zahl der Ausbilder für die afghanischen Sicherheitskräfte von rund 300 auf 1400 erhöhen. Die Männer und Frauen der Bundeswehr sollen künftig mit afghanischen Polizisten und Soldaten ins Feld ausrücken. Denn bis 2015 will Afghanistan selber für die Sicherheit sorgen, kündigte Präsident Hamid Karsai an.

Solange werden deutsche Soldaten auf jeden Fall in Afghanistan bleiben. Für den jungen Soldaten wird sein Einsatz im Kundus nicht die letzte Stationierung in Afghanistan bleiben. "Der Kampfeinsatz gehört doch schon zu Routine", sagt er. Vor seinem ersten Flug nach Afghanistan ist er dann aber doch nervös.

Quelle: ZEIT ONLINE

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false