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Afghanistan: Rebellen bomben sich ins Bewusstsein zurück

Es war einer der schwersten Anschläge seit dem Sturz der Taliban Ende 2001: Bei einem Selbstmordattentat in einer Moschee starben heute in der südafghanischen Stadt Kandahar 19 Menschen. 52 weitere Personen wurden zum Teil schwer verletzt.

Kabul (01.06.2005, 15:18 Uhr) - Es sollte eine Trauerfeier für einen prominenten Taliban-Gegner werden, doch die Veranstaltung in der Moschee im südafghanischen Kandahar wurde zum Blutbad. Mit einem der schwersten Anschläge seit dem Sturz der Taliban Ende 2001 haben sich mutmaßliche radikalislamische Rebellen am Mittwoch mit Wucht zurück ins Weltbewusstsein gebombt. Zwar ist die Gewalt in Afghanistan lange nicht mit der im Irak vergleichbar. Doch die Rebellen am Hindukusch, die seit dem Frühling wieder verstärkt angreifen, sind trotz allen Zweckoptimismus der Amerikaner noch nicht geschlagen.

Erst am Sonntag hatten Taliban-Kämpfer Maulawi Abdullah Fayas erschossen. Der Anführer der muslimischen Gelehrten in Kandahar hatte zuvor vor hunderten Geistlichen eine Ansprache gegen Taliban-Führer Mullah Omar gehalten. Selbst dreieinhalb Jahre nach dem Sturz der Gotteskrieger und trotz starker US-Militärpräsenz in Kandahar besiegelte Fayas damit sein Todesurteil. Taliban-Sprecher Abdul Latif Hakimi hatte nach dem Mord gedroht, jeder, der Fayas' Kurs verfolge, werde das gleiche Schicksal erleiden. Auch wenn sich zunächst niemand zu dem Anschlag bekannte, scheint es, als machten Rebellen - ob Taliban, El Kaida oder andere islamistische Aufständische - diese Drohung nun wahr.

Zum Ende des Sommers, so sagte kürzlich ein US-Kampfpilot in Kandahar der britischen BBC, würden die meisten Rebellen entweder getötet oder gefangen genommen worden sein. Nicht nur der Anschlag in Mullah Omars früherer Hochburg lässt Zweifel daran aufkommen. Im Mai gab es vor allem im Süden des Landes fast jeden Tag Zusammenstöße zwischen Taliban-Kämpfern und amerikanischen oder afghanischen Soldaten - oft waren es die Rebellen, die die militärisch weit überlegenen Koalitionstruppen angriffen. Auch die schweren Verluste, die die Aufständischen dabei erlitten, hinderten sie nicht daran, bald darauf an anderer Stelle wieder zuzuschlagen.

Im Süden des Landes könnten die Rebellen mittelfristig nicht nur ein Problem für die US-geführten Koalitionstruppen, sondern auch für die ISAF werden. Die von der NATO geführte Internationale Schutztruppe, die bislang in Kabul, im Norden und seit Dienstag auch im Westen des Landes präsent ist, soll sich laut Planungen auch in den Süden ausdehnen - und die Amerikaner damit entlasten. Die ISAF aber hat keinen Kampfauftrag, und ihre Truppen sind deutlich schlechter ausgerüstet als die der Amerikaner - unter denen der Einsatz - regelmäßig Todesopfer fordert.

Dabei schien es nach der afghanischen Präsidentenwahl im vergangenen Oktober, als seien die Rebellen deutlich geschwächt. Entgegen ihrer vollmundigen Ankündigung war es ihnen nicht gelungen, den Urnengang zu stören oder gar zu verhindern. Auch danach blieb es relativ ruhig - bis zum Frühling, als die Kämpfe wieder zunahmen. Immer noch glaubt niemand, dass die Taliban eines Tages wieder die Macht an sich reißen könnten. Doch in den vergangenen Wochen, so warnt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, habe sich die Sicherheitslage in Afghanistan deutlich verschlechtert.

Afghanistan leidet dabei nicht nur unter anhaltenden Kämpfen und politischen Morden. Im Mai wurde die Italienerin Clementina Cantoni mitten in der Hauptstadt Kabul von mutmaßlichen Kriminellen verschleppt, schon in den Tagen zuvor gab es Versuche, Ausländer zu entführen. Etliche Menschen starben bei anti-amerikanischen Ausschreitungen. Einheiten zur Drogenbekämpfung werden ebenso angegriffen wie Hilfsorganisationen und Minenräumer.

Mitte September steht dem Land mit den ersten Parlaments- und Kommunalwahlen seit dem Sturz der Taliban eine weitere gigantische Bewährungsprobe bevor. Diesmal gilt es nicht, eine überschaubare Zahl an Präsidentschaftskandidaten zu schützen. Zu den Wahlen treten Tausende Bewerber an. Und selbst wenn Wahlkampf und Urnengang ohne größere Zwischenfälle über die Bühne gehen sollten, dürfte es keine Frage sein: Afghanistan wird noch lange nicht nur internationale Hilfe, sondern auch ausländische Truppen brauchen. (Can Merey, dpa)

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