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Afghanistan: Richard Holbrooke: Der Rabauke

Vom Balkan nach Afghanistan: Eine Begegnung mit US-Sonderbotschafter Richard Holbrooke.

Der Krieg in Afghanistan, schrieb Richard Holbrooke, 68, Anfang 2008, werde "kostspieliger und länger sein, als die Amerikaner wähnen". Heute, im neunten Jahr dieses Krieges, legt der Sonderbeauftragte für Afghanistan und Pakistan (AFPAK) einen drauf: "Er wird länger währen als Vietnam; er wird sich als der längste der amerikanischen Geschichte entpuppen." Diese Wette wird er gewinnen.

Womöglich werden sie demnächst "YE" an "AFPAK" anhängen - für "Yemen", wie das Land auf Englisch buchstabiert wird. Hier hat al-Qaida eine dritte Front aufgemacht. Jedenfalls brüstet sich die Gruppe mit der (gescheiterten) Flugzeug-Attacke von Detroit. Schuld daran sind ironischerweise die militärischen Erfolge der USA in Afghanistan. Erst sind die Islamisten nach Pakistan ausgewichen, jetzt in den Jemen. Washington hat zwei Tage lang seine Botschaft in Sanaa evakuiert.

Wir sitzen in der Küche von Holbrookes New Yorker Wohnung am Central Park West. Auf dem Balkan nannten sie ihn den "Bulldozer", der den serbischen Kriegsherrn Milosevi an den Verhandlungstisch von Dayton gezwungen hat. In seiner heutigen Rolle wird er den Applaus nicht ganz so schnell ernten. Der frühere Botschafter in Bonn ("ein Rabauke mit Herz", wie ihn Gahl Burt, eine alte Weggefährtin, tituliert) ist nachdenklicher geworden; er redet langsam und konzentriert. Immer wieder kehrt das Gespräch zum Thema Vietnam zurück, dorthin, wo Holbrooke mit 23 seinen ersten Auslandsjob für das State Department antrat. Seitdem hat er allen Demokraten im Weißen Haus gedient: Kennedy, Johnson, Carter, Clinton, Obama.

Afghanistan müsste doch einfacher sein als Vietnam, mutmaßt der Gast. "Nein, schlimmer." Wieso das? Hier führe doch kein totalitärer Machtstaat wie Nordvietnam einen zentral gelenkten Krieg gegen die USA; überdies würden die Taliban nicht von zwei Großmächten wie der UdSSR und China bewaffnet und beschützt. Die Taliban seien auch keine revolutionäre Volksbewegung wie der Viet cong, sondern eine Truppe von vielleicht 25 000 Mann.

"Richtig, aber dieser Krieg ist trotzdem schwieriger", insistiert Holbrooke. Die Taliban seien zwar ein locker organisierter Haufen mit "auseinanderstrebenden Zielen". Auch hätten die meisten Taliban nicht viel mit ihrem eifernden Führer Mullah Omar am Hut und noch weniger mit al-Qaida. Doch "andere Parallelen sind viel übler". Der Vietcong habe seine Schutzund Ausweichräume in Laos, Kambodscha und Nordvietnam gefunden; die Taliban hätten Pakistan. Das entwerte das US-Potenzial und lähme die Kriegführung. Denn: "Nordvietnam war der Feind, den konnten wir bombardieren. Pakistan aber ist unser Verbündeter." Es ist ein Krieg, bei dem einen die Hände gebunden seien, will er andeuten. Hinzu komme: "In keinem anderen Krieg Amerikas waren Terrain und Logistik eine so fürchterliche Herausforderung."

Das heißt: Dieses zerklüftete Gebirgsland Afghanistan, das doppelt so groß ist wie Deutschland, bietet keine Aufmarschräume für eine feuerkräftige Armee; es fehlen Häfen wie im Irak und in Vietnam, wo der Nachschub zügig angelandet werden könnte. Die Logistik ruht auf Flugzeugen und Lastwagen. Immer wieder betont Holbrooke, was ihn am meisten quält: das "Sanktuarium" in Pakistan, dem Verbündeten, der Indien als Erzfeind sieht, nicht die Taliban.

Nein, er wolle keinesfalls defätistisch klingen. In der Tat, hat er doch gerade in der Finan cial Times verkündet, Amerika werde Afgha nistan "unter keinen Umständen" fallen lassen. Wie passt das zu der Afghanistan-Rede Obamas, der den Sommer 2011 als Beginn des Abzuges festgesetzt hat?

Holbrooke will seine Aussage nicht so apodiktisch gemeint haben. Er holt aus: "Unsere Präsenz in Afghanistan ist eine dreifache - mit einer militärischen, zivilen und Ausbildungsfunktion. Die militärische wird ab Sommer 2011 stückweise abgebaut werden. Der Aufbau von Armee und Polizei wird mehr Zeit erfordern. Unser ziviles Engagement wird noch länger dauern. Wir werden nicht den Fehler von 1989 wiederholen." Damit verweist Hol brooke auf das Jahr, in dem die Sowjetunion abzog und Amerika Afghanistan dem Schicksal überließ - mithin den Taliban und al-Qaida.

Wie wollen die USA ihren "längsten Krieg" gewinnen? Immer wieder kommt Holbrooke auf die Botschaft zurück, die er seit Wochen in den internationalen Medien zu platzieren sucht.

"Dies ist unser härtester Krieg, gegen einen Feind, der noch nie so schwer zu fassen war." Einwand: "Diese 25 000 Taliban sind nicht Ho Chi Minhs Millionenarmee." Holbrooke antwortet mit sarkastischem Understatement: "Jedes Jahr töten wir mehr Taliban, und jedes Jahr gibt es mehr von ihnen. Wir müssen also realistisch sein."

Das heißt vorweg, dass "wir (von Bush) ein Desaster geerbt haben. Wir können uns nicht zurückziehen. Die Führung der Taliban ist eng mit al-Qaida verknüpft. Die würde mit den siegreichen Taliban zurückkehren. Das wäre ein enormer Propagandasieg und würde dem Terrorismus Tausende neuer Rekruten zuführen. Im Übrigen teilt Berlin diese Analyse." Fast hört man ihn seufzen, als er abermals das Leitmotiv anstimmt: "Wir kämpfen in Afghanistan, aber der Feind sitzt in Pakistan." Er sieht sich als Aufbauhelfer und verhandelt über Landwirtschaft Und der Ausweg aus dem "mörderischen Dilemma"? Statt eine Antwort zu formulieren, schlägt Holbrooke einen analytischen Haken mit dem Hinweis auf die jüngste Policy Review und den daraus folgenden strategy change unter Barack Obama. Das Ergebnis: Die Bush-Regierung (das haben Vorgänger so an sich) habe "fürchterliche Fehler gemacht". Unter dem neuen Befehlshaber Stanley McChrystal aber sei die Kriegführung intelligenter geworden. Erstens habe die Armee aufgehört, die Mohnfelder, also die Opiumernte, zu vernichten - was "doch nur die Bauern den Taliban in die Arme getrieben hat".

Zweitens: "nie wieder Luftangriffe, die Zivilisten töten könnten". Holbrooke vermeidet höflicherweise die direkte Kritik an der deutschen Rolle im Kundus-Desaster, betont aber: "Unsere Truppen haben strikte Order, so etwas wie Kundus zu vermeiden." Tote Zivilisten seien "unser wundester Punkt" gewesen. Und deshalb habe nun der Schutz von Zivilisten absoluten Vorrang bei militärischen Operationen - weil grundsätzlich das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung der beste Verbündete gegen die Guerilla sei.

Drittens: mit den "gemäßigten" Taliban reden. Sind die nicht genauso schwer zu fassen wie die Kämpfer? Holbrooke lässt den Einwand nicht gelten, diese Yeti-ähnlichen Menschen gebe es sehr wohl: "Ex-Taliban leben ganz offen in Kabul; manche sitzen sogar in der Nationalversammlung."

Die nächste Frage kennt Holbrooke schon; sie zielt wie in all seinen Gesprächen auf das Thema "Karsai und die Korruption". Er bemüht sich, all die Berichte zu widerlegen, die ihn als Persona non grata am Hofe des Präsidenten abgestempelt haben - weil er Wahlfälschung und andere Übeltaten gegeißelt hatte. Jetzt steht Zuckerbrot auf dem Programm, genauer: die Afghanistan-Konferenz am Monatsende in London.

"Die kann sehr wertvoll sein", intoniert Holbrooke in bestem Diplo-Sprech. "Wenn Karsai die richtigen Entscheidungen trifft, wird die internationale Gemeinschaft sich voll hinter ihn stellen." Also endlich die Kor ruption bekämpfen? Wieder holt Holbrooke sein Lieblingswort hervor: "Wir müssen realistisch sein. Karsai ist nicht der Alleinverantwortliche. Außerdem sind wir nicht in Afghanistan, um die Korruption zu bekämpfen." Der wahre Kriegsgrund heißt: Taliban plus al-Qaida. Das ist die eine Seite der Gleichung. Auf der anderen steht neuerdings: Truppenaufstockung plus Strategiewechsel im Dienste des Aufbaus und Bevölkerungsschutzes. Obama wird die Zahl der Soldaten in diesem Jahr auf 100 000 erhöhen; das wäre fast dreimal so viel wie zu Beginn seiner Amtszeit. Glaubt Holbrooke, dass die Gleichung aufgeht? Er, der mehr Kriege in seiner Laufbahn erlebt hat als irgendein anderer US-Diplomat, will plötzlich nicht mehr über Strategie und Taktik spekulieren. Er sieht sich nicht einmal als "Sonderbeauftragten", der wie George Mitchell in Nahost einen Ausgleich herbeimakeln soll - oder wie er selber es im Balkankrieg geschafft hat. "Ich bin für die zivile Seite zuständig", betont er, sozusagen als Oberster Entwicklungshelfer. "Gerade heute haben wir in Washington mit 27 Ländern über die Landwirtschaft verhandelt." Makler können scheitern, doch Aufbauhelfer verlieren keine Kriege, scheint die stumme Botschaft zu sein. In diese Falle will er nicht tappen.

Bosnien war der größte Karrieresprung für Holbrooke; er griff sofort zu, als Bill Clinton ihn für die Mission einspannte, nach nur neun Monaten als Botschafter in Bonn. Heute betitelt der New Yorker ein 34-Seiten-Porträt über Hol brooke mit: The Last Mission. Ob's tatsächlich die letzte war? Dieser Mann durchzieht die jüngere amerikanische Diplomatiegeschichte seit 1962 - länger als irgendein anderer aus dem Stamm jener "Best and Brightest", deren Karriere in Vietnam begann. Solche Figuren gibt es in Europa nicht: Banker und Botschafter (Bonn und UN); BalkanBefrieder und Unterstaatssekretär; Chefredakteur und Mitbegründer der American Academy in Berlin; und nicht zuletzt: Kolumnist, Verleger und Buchautor.

Wird es besser ausgehen als in Vietnam, wo er fast vier Jahre lang beobachtet hat, wie Amerika in einem Krieg eskalierte, der verloren ging? Die knappe Antwort: "Ja." Dann ein letztes Wort: "Das ist genauso im deutschen Interesse wie in unserem. Und meine Frage an Sie lautet: Werden die Deutschen dieses gemeinsame Interesse auch würdigen?"

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