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Afghanistan: So viel Optimismus war selten

Der Westen glaubt an seine neue Afghanistan-Strategie – konkrete Abzugsdaten bleiben aber umstritten.

So viel Zuversicht beim Thema Afghanistan hat man seit Jahren nicht gehört. „Wir sehen den Anfang des Erfolgs“, sagte Kanadas Verteidigungsminister Peter MacKay. „Wir sind auf dem richtigen Weg“, bekannte sein britischer Kollege Bob Ainsworth. Und Richard Holbrooke, US-Sonderbotschafter für Afghanistan und Pakistan, wagte es sogar, Senator John McCain milde zu korrigieren und zu mehr Optimismus zu drängen. 2010 werde „das schwierigste Jahr“ seit Beginn des Einsatzes vor acht Jahren, hatte McCain knurrig gewarnt. Holbrooke widersprach: „2009 war das schwierigste Jahr. 2010 wird nicht ganz so schwer.“

Es ist freilich ein Optimismus mit zusammengebissenen Zähnen und voller Kritik an Fehlern und Versäumnissen der vergangenen Jahre. Die Selbstkritik ging dem Briten Ainsworth am leichtesten von den Lippen, er ist erst kurz im Amt. „Wir haben acht Jahre lang nicht das getan, was wir jetzt vorhaben“, sagte er. Die Bilanz der Polizeiausbildung sei „schockierend“, ergänzte Holbrooke. „85 Prozent der Anwärter sind als Analphabeten gekommen, aber auch als Analphabeten gegangen.“

Alle nennen die selben Gründe für die Zuversicht. Präsident Barack Obama habe eine zweifache Verstärkung angeordnet, die Zahl der US-Soldaten von 31 000 Anfang 2009 auf über 100 000 im Sommer 2010 verdreifacht. US-General McChrystal habe nun die Truppen, um seine Strategie landesweit und nicht nur in einzelnen Provinzen zu verwirklichen. Die Ausbildung afghanischer Armee und Polizei werde verstärkt; sie sollen nach westlicher Vorstellung ab 2011 schrittweise die Verantwortung für die Sicherheit übernehmen. Es gebe nun ein Konzept, wie man die Front der Gegner aufspalte und jene Afghanen, die die Taliban nicht aus ideologischen Gründen unterstützen, sondern aus wirtschaftlicher Not oder wegen sozialer Zwänge, auf die Seite der Regierung ziehe. Der Druck auf Präsident Hamid Karsai wachse, selbst mehr zum Fortschritt beizutragen. Auch der zivile Aufbau komme voran.

Es bleibe aber ein blutiger Kampf, warnte McCain. Die Erosion der Kontrolle durch US-Armee und Nato-Einheiten sei gestoppt worden, aber „es wird weiter Gefallene geben, das müssen unsere Verbündeten klar sehen“. Die Gegner würden erst dann in größerer Zahl die Seite wechseln, „wenn sie sich auf der Straße zur Niederlage sehen“. Dieser ernsten Analyse widersprach niemand.

Das Misstrauen gegen Präsident Karsai ist nicht geschwunden. McCain pries ihn zwar als „politischen Führer“, setzte aber hinzu: „Im Kampf gegen die Korruption muss es substanzielle Änderungen geben.“ Karsai tat sich keinen Gefallen, als er auch in München wieder selbstherrlich und eitel auftrat und Obamas Zeitplan für den Übergang zu afghanischer Selbstverantwortung infrage stellte.

Holbrooke mahnte, westliche Regierungen müssten ihren Bürgern die Strategie für eine Reintegration von Aufständischen besser erklären. „Wir führen keine Geheimgespräche mit Talibanführern.“ Es gebe „rote Linien“; das Angebot gelte nur für Leute, die sich von Al Qaida und Taliban abwenden und „nicht zurück in die dunklen Jahre“ wollten, in denen Frauen Grundrechte verweigert wurden. Es ist ein Balanceakt für den Westen. Um nicht die Unterstützung zu Hause zu verlieren, muss ein Ende des Einsatzes absehbar sein. Aber man darf auch nicht zu früh abziehen, weil dann alles Erreichte wieder verloren gehen würde. Der frühere Außenminister Rangin Dadfar Spanta, heute Karsais Berater für internationale Fragen, bat in fließendem Deutsch um „strategische Geduld mit Afghanistan“. Er hat an der TU Aachen studiert. Man müsse die Fortschritte sehen, auch wenn sie langsam kämen: „Sieben Millionen Kinder gehen in die Schule, 28 Prozent der Abgeordneten sind Frauen – und ebenso 38 Prozent der Studienanfänger.“

Der Brite Ainsworth wandte sich gegen feste Abzugsdaten. „Entscheidend ist, dass wir unsere Ziele erreichen, ehe wir gehen.“ McCain warnte zum Abschluss nochmals: „Ich bin sehr besorgt wegen des Datums 2011. Wir dürfen nicht zu früh abziehen.“ Und die Europäer mahnte er: „Es darf nicht dahin kommen, dass dies Obamas Krieg ist. Es ist unser aller Krieg.“

In Berlin stifteten am Sonntag indes Nachrichten über eine geplante „Entmachtung“ der Bundeswehr durch US-Truppen im Norden Afghanistans Verwirrung. Die „Stuttgarter Nachrichten“ und die „Kölnische Rundschau“ wollen dies aus Nato-Kreisen erfahren haben. Wahr ist, dass die USA 4500 Soldaten ins deutsche Einsatzgebiet verlegen wird – mehr als die Bundeswehr dort stationiert hat. Aus dem deutschen Verteidigungsministerium hieß es am Sonntag, der Kommandeur der Isaf, US-General Stanley McChrystal, habe deutlich gemacht, die US-Truppen würden zur Unterstützung der Bundeswehr in den Norden kommen. Das Regionalkommando werde auch künftig von Deutschland geführt. „Es gibt bei der Nato keine Bestrebungen, die bestehenden Kommandostrukturen zu verändern“, sagte ein Sprecher.

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