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Afghanistan-Strategie: Gegen alle Widerstände

US-Präsident Barack Obama hat den afghanischen Staatschef Hamid Karsai über seine neue Strategie informiert. Im Mittelpunkt steht eine Aufstockung der Truppen. Was bedeutet das für die Alliierten?

Mit der Rede von US-Präsident Barack Obama zu seiner künftigen Strategie in Afghanistan wächst der Druck auf die Verbündeten in Europa. Obama sollte zwischen zwei und drei Uhr am Mittwochmorgen mitteleuropäischer Zeit sprechen. Als Schauplatz wählte er die berühmte Militärakademie West Point im Staat New York. Dabei wollte er auch über den Zeitpunkt eines Abzugs reden. Aus US-Regierungskreisen hieß es am Dienstagabend, die ersten Soldaten sollten im Juli 2011 Afghanistan verlassen.

Den Großteil des Montags und Dienstags hatte der Präsident damit verbracht, Kongressabgeordnete, Senatoren und die Regierungen ausgewählter Nato-Partner über seine Pläne zu informieren. Unter Berufung auf solche Gesprächspartner meldeten US-Medien, Obama wolle rund 30 000 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan schicken und die US-Gesamtstärke auf mehr als 100 000 Mann steigern. Von den Alliierten erbitte er mehrere tausend weitere Soldaten.

Im Detail weichen die Berichte voneinander ab. Laut „Washington Post“ sendet Obama 34 000 Soldaten und hofft auf 5000 Mann von Verbündeten. Andere Zeitungen schreiben von 30 000 GIs und bis zu 10 000 alliierten Soldaten. In der Summe ergeben sich jeweils annähernd die 40 000 Mann, die US-Oberbefehlshaber General Stanley McChrystal vor Wochen gefordert hatte, um, wie er sagte, eine Niederlage abzuwenden.

Bisher weist allerdings nichts auf eine Verstärkung der nichtamerikanischen Soldaten hin. Neben den USA beteiligen sich 42 Länder, zum Großteil Nato-Staaten, am Einsatz in Afghanistan. Zusammen stellen sie gut 30 000 Soldaten – und damit halb so viele wie Amerika derzeit alleine. Nach Obamas Verstärkung werden die USA drei Mal so viele Truppen in Afghanistan haben wie alle anderen Partner zusammen. Mehrere Verbündete haben angekündigt, dass sie Truppen abziehen wollen, voran Kanada und die Niederlande. Beide Länder haben bei den Kämpfen gegen die radikalislamischen Taliban im Süden Afghanistans eine hohe Zahl von Gefallenen zu beklagen. Lediglich Großbritannien hat eine Verstärkung zugesagt: um 500 auf dann 9500 Soldaten. Das bekräftigte Premier Gordon Brown in seinem Telefonat mit Obama am Montag.

Andere Nato-Partner setzen offenbar auf Zeitgewinn. Sie wollen nach der Afghanistankonferenz, die Ende Januar in London geplant ist, über ihren künftigen Beitrag entscheiden. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy sagte laut US-Medien in seinem 40-minütigen Telefongespräch mit Obama, er sehe sich nicht in der Lage, mehr als die derzeit 3750 Soldaten und 150 Polizisten zu stellen. Obama erläuterte seine Pläne ebenso dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew und Australiens Regierungschef Kevin Rudd am Montag am Telefon – und danach erst Bundeskanzlerin Angela Merkel, obwohl Deutschland der drittgrößte Truppensteller in Afghanistan nach den USA und Großbritannien ist.

Das Bundestagsmandat erlaubt eine Entsendung von bis 4500 Mann. Die tatsächliche Bundeswehrstärke in Afghanistan liegt jedoch in der Regel unter 4000 Soldaten. Merkel und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg sagen ebenfalls, sie wollten erst nach der Afghanistankonferenz über den künftigen deutschen Beitrag entscheiden. Ihre Tonlage ist jedoch unterschiedlich. Guttenberg sagte kürzlich bei seinem USA-Besuch mehrfach, Deutschland werde seinen Beitrag im Lichte von Obamas neuer Strategie „anpassen“. Er ließ offen, ob das mehr Soldaten, mehr finanzielle Hilfe oder eine stärkere Beteiligung am Aufbau durch zivile Helfer oder erhöhte Anstrengungen bei der Polizeiausbildung bedeuten könne.

Die Kanzlerin und andere Kabinettsmitglieder sind zurückhaltender. Oft fügen sie hinzu, sie hielten eine Aufstockung des Bundeswehrkontingents für unwahrscheinlich. Am Donnerstag soll US-Außenministerin Hillary Clinton die Verbündeten in Brüssel im Detail über die US-Pläne unterrichten.

Obamas neue Strategie setzt auf drei Schwerpunkte. Erstens eine verstärkte Jagd nach Aufständischen. Rund 9000 Mann der zusätzlichen Truppen sollen demnach in den Süden geschickt werden, wo der Widerstand am größten ist. Zweitens eine „Afghanisierung“ des Konflikts durch beschleunigte Ausbildung afghanischer Armee und Polizei. So will man die Zahl der ausländischen Soldaten in den Städten und Dörfern reduzieren und dem Eindruck einer Besetzung des Landes entgegenwirken. Bis 2012 soll die Zahl der einheimischen Soldaten von 92 000 auf 240 000 steigen, die der Polizisten von 84 000 auf 160 000. Für die Ausbildung werden ganz andere US-Einheiten benötigt als für das erste Ziel.

Drittes Ziel ist die Regionalisierung der Kooperation innerhalb des Landes. Die Zentralregierung unter dem jüngst wiedergewählten Präsidenten Hamid Karsai gilt als schwach und korrupt. In etlichen der 34 Provinzen gibt es aber starke regionale Machthaber. Viele von ihnen wollen sich Kabul zwar nicht unterordnen. Das soll jedoch kein Hindernis mehr sein für eine Zusammenarbeit, sofern sie die Sicherheit und Stabilität ihrer Regionen garantieren.

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