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Taliban

© dpa

Afghanistan: Taliban arbeiten mit gezielter Verunsicherung

Die Taliban wollen nach Expertenmeinung durch Fehlinformationen Einfluss auf den Westen nehmen. Beim Auswärtigen Amt spricht man gar von einem „Medienkrieg“.

Berlin - Leben sie noch, oder sind die in Afghanistan entführten deutschen Bauingenieure tatsächlich beide tot? Die Nachricht vom Ableben der Deutschen hatte Talibansprecher Kari Jussif Ahmadi vergangenen Samstag per Anruf bei verschiedenen Nachrichtenagenturen verbreitet, die sie prompt auf die Ticker schickten. Dass eine der beiden Geiseln in Wahrheit noch am Leben ist, verschwieg Ahmadi – die Verwirrung in Deutschland war groß. Zuvor waren mehrere Ultimaten der Geiselnehmer an die Bundesregierung verstrichen. Inhalt der Botschaft: Wenn Deutschland seine Soldaten nicht binnen kurzer Zeit aus Afghanistan abzieht, würden die beiden Entführten getötet.

Eine Propaganda, die nach Meinung von Experten eine sorgfältig geplante, langfristige Strategie der Taliban ist. „Sie wissen genau, dass die Medien der Transmissionsriemen für die Übertragung ihrer Botschaften sind“, sagt Rolf Tophoven, Leiter des Instituts für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Durch die Verbreitung widersprüchlicher Informationen versuchten die Taliban, den Westen gezielt zu verunsichern. Beim Auswärtigen Amt spricht man gar von einem „Medienkrieg“: Die Taliban seien „die Zeremonienmeister des Terrors“, wie Außenamtsprecher Martin Jäger es formulierte. Die islamistischen Kämpfer führten Listen ihrer Schandtaten im Internet und beobachteten ganz gezielt die politische Diskussion in Europa, um darauf Einfluss zu nehmen. In Deutschland geht es dabei offenbar in erster Linie um die im Herbst anstehende Verlängerung der Afghanistanmandate: Die Taliban versuchen, den Rückhalt der deutschen Bevölkerung und Politik für den Afghanistaneinsatz durch eine gezielte Medienkampagne zu unterwandern. „Ich gehe davon aus, dass die Taliban regelrecht über Medienberater verfügen, die die internationale politische Szene beobachten und propagandistisch ausschlachten“, sagt Terrorexperte Tophoven. Aus welchen Quellen internationale Nachrichtenagenturen wie dpa, Reuters, AFP oder AP ihre Meldungen aus Afghanistan beziehen und wie sie diese überprüfen, ist indes nur teilweise bekannt. „Wir können unsere Quellen nicht offenlegen“, sagte dpa-Sprecher Justus Demmer dem Tagesspiegel auf Anfrage. „Das Gleiche gilt für die Verifizierung der Nachrichten.“ „Wir geben nichts raus, was halb gekocht ist“, sagt dagegen Peter Gehrig, Chef von AP Deutschland. „Unsere Mitarbeiter versuchen immer, ihre Informationen durch eine zweite Quelle abzusichern.“ Bei der Authentifizierung von Informanten müsse man sich auf die langjährige Erfahrung von Korrespondenten und anderen Mitarbeitern im Land verlassen, sagt Gehrig: „Sie sprechen die Landessprache und können Personen zuordnen, wenn im Gespräch mit der Quelle bestimmte Codewörter fallen.“

Dabei seien die Taliban bei der Informationsverbreitung keinesfalls nur auf modernste Technik wie Mobiltelefone oder das Internet angewiesen, sagt Terrorspezialist Otfried Nassauer vom Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS). „In Afghanistan gibt es gut funktionierende persönliche Strukturen“, sagt Nassauer. „Wenn sie eine Nachricht übermitteln wollen, machen sie das oft von Mund zu Mund, oder von Dorf zu Dorf. Man könnte auch sagen: Die Buschtrommel funktioniert.“ Dass die Taliban offenbar hervorragend über aktuelle politische Stimmungen und Vorgänge in Deutschland informiert sind, hänge auch damit zusammen, dass viele Einheimische Deutsch sprechen. „Das hängt mit dem entwicklungspolitischen Engagement der Deutschen in den vergangenen Jahren zusammen“, erläutert Nassauer. Zudem gebe es in Deutschland eine große afghanische Community, die sich nach wie vor mit den Landsleuten in Afghanistan austausche.

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