zum Hauptinhalt
Munadi

© dpa

Afghanistan: Tod beim Heimatbesuch

Munadi studierte in Erfurt, um später in seinem Land zu helfen. Dort wurde er von Taliban entführt – und starb bei einer Befreiungsaktion.

Der afghanische Dolmetscher und Reporter, der am Mittwoch bei einer Befreiungsaktion internationaler Truppen in Kundus ums Leben kam, lebte zuletzt in Deutschland. „Ein Pionier“, heißt es auf einer Internetseite des Auswärtigen Amtes. Seit Dezember studierte Sultan Mohammad Munadi als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Erfurt an der School of Public Policy, zusammen mit 14 afghanischen Kommilitonen. Ziel des Master-Programms in englischer Sprache ist es, afghanische Führungskräfte auszubilden. Zu Hause in der Heimat hatte Munadi bereits seit mehreren Jahren als Reporter und Übersetzer für die „New York Times“ gearbeitet. Der 34-jährige Familienvater war Absolvent der Universität Kabul. Jetzt wollte er in Deutschland einen Abschluss machen, der ihn für Höheres qualifiziert.

„Er war der Beste“, erinnert sich ein afghanischer Kommilitone in Erfurt. „Die deutschen Dozenten lobten ihn als besonders engagiert und wissbegierig.“ In Kabul arbeitete Munadi auch für das internationale Rote Kreuz. Die Gefahr lief immer mit: „Ich habe kaum wirkliche Zeiten des Friedens erlebt. Ich wurde im Krieg geboren, habe im Krieg gelebt und studiert.“ In Erfurt fand er in den letzten Monaten Ruhe vor all dem. Aber es zog ihn auch zurück. Munadi war von Erfurt aus nach Afghanistan in den Urlaub gefahren. Er besuchte dort seine Frau, seine zwei Kinder und seine Eltern. Am Freitagmorgen brach er dann von Kabul aus auf nach Kundus, um über die Hintergründe des von deutscher Seite angeordneten Luftangriffs zu recherchieren.

„Ich bin für ein paar Tage unterwegs mit meinen alten Freunden“, verabschiedete er sich. In der Nähe der beiden ausgebrannten Tanklaster fingen Munadi und sein amerikanischer Kollege an, Anwohner zu interviewen. Wenig später warnten diese die Reporter mehrfach vor herannahenden Taliban. Vergeblich: Drei Tage verbrachten die Munadi und sein „New York Times“-Kollege Stephen Farrell in der Haft der Aufständischen. Dann wurde ein Befreiungskommando geschickt. Warum sein britischer Kollege, der unter anderem als Reporter im Irak gearbeitet hatte, die Aktion überlebte, Munadi aber im Kugelhagel starb, ist nicht geklärt. „Journalist, Journalist“, seien die letzten Worte von Munadi gewesen, sagt Farrell. Ob es Schüsse der Befreiungskommandos oder seiner Entführer gewesen seien, könne er nicht sagen. Es habe kurzzeitig Chaos geherrscht. Der Tod des Studenten aus Erfurt – am Ende möglicherweise eine tragische Verwechselung?

In Afghanistan gibt es bereits eine Debatte um den Tod von Munadi. Einmal mehr fragen sich einheimische Medienkollegen: Warum trifft es erneut einen afghanischen Journalisten, während sein ausländischer Weggefährte mit dem Leben davonkommt? Mehrere ähnliche Fälle hatten vor Jahresfrist eine Welle von Empörung in Afghanistan ausgelöst.

Afghanistan ist für alle Journalisten ein gefährliches Pflaster. Für afghanische Journalisten manchmal aber noch ein bisschen mehr. Gerade in Kundus sind es vor allem afghanische Mitarbeiter, die oft die schwierigste Arbeit erledigen für ihre deutschen und ausländischen Kollegen. Sie sind es, die in der Regel die Bilder und Interviews besorgen an jenen Orten, die als Talibanland gelten. Ausländische Reporter fahren dort aus Sicherheitsgründen nicht mehr oder nur noch gelegentlich hin. Anders als ihre Kollegen aus dem Westen sind afghanische Journalisten in der Regel auch nicht versichert. Sie sind seltener mit schusssicheren Westen ausgestattet und auf ihre Handys gelangen manchmal Unmengen von SMS der Taliban – eine Mischung aus Propaganda, Lockungen und Drohungen.

Munadi studierte mit voller Konzentration in Erfurt. „Good governance“ war das Studienprogramm übertitelt. „Afghanistan braucht gut ausgebildete Nachwuchskräfte, die den Wiederaufbau unterstützen“, ist ein Zitat von ihm. Sein jüngster Sohn wurde im Dezember geboren. Da fing der Vater gerade in Erfurt mit dem Studium an. Er wusste um die Schwierigkeiten, sein Land zu stabilisieren. „Wir hatten einen Kurs über Korruptionsbekämpfung. Er sagte, ,das wird mir helfen investigative Recherchen zu starten und die Situation zu verbessern‘“, erinnert sich ein Kommilitone, „er meinte es halb ernst und halb spaßhaft.“

Aber Deutschland wäre vermutlich nie sein Zuhause geworden. In einem Artikel schreibt Sultan Mohammad Munadi: „Ich komme aus dem Panjshir-Tal. Die nächste geteerte Straße ist drei Stunden von unseren Haus entfernt. Totale Natur. Kein Beton. Als ich nach Deutschland kam, sah ich viel Beton und Asphalt. Es war deprimierend und auch langweilig für mich. Ich träumte vom Staub und den Bergen in meiner Heimat.“

Der Autor ist freier Journalist und berichtet seit mehreren Jahren aus Afghanistan. Zuletzt war er vor den Wahlen am 20. August in der Region Kundus und schrieb regelmäßig für den Tagesspiegel.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false