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Afghanistan: Zivilisten sterben an Straßensperre der Bundeswehr

Es ist ein Alptraum: Für die Familien in Afghanistan. Für die Bundeswehrsoldaten. Für die Bundesregierung. Für den Bundestag. Drei Zivilisten, nach afghanischen Angaben eine Frau und zwei Kinder, sind an einem Checkpoint von afghanischer Polizei und deutschen Isaf-Soldaten in Nordafghanistan getötet worden.

Die Opfer saßen in einem von zwei Fahrzeugen, die trotz heftiger Warnzeichen der Sicherheitskräfte auf den Kontrollposten zurollten. So schildert das Verteidigungsministerium am Freitag in Berlin die Tragödie am Vorabend nahe Kundus.

Nach offiziellen Angaben ist es das erste Mal, dass Zivilisten am Hindukusch bei einem Zwischenfall mit deutschen Isaf-Soldaten starben - eineinhalb Tage nachdem eine Bundeswehrpatrouille nahe Kundus in eine Sprengfalle fuhr und ein 29 Jahre alter Hauptfeldwebel getötet wurde. In der vorigen Woche hatte die Bundeswehr mitgeteilt, dass sie erstmals seit Beginn des Einsatzes Anfang 2002 einen Angreifer erschossen habe. Nach Angaben der afghanischen Polizei hatte es sich um einen unbeteiligten Schäfer gehandelt. Klarheit gibt es darüber nicht.

In Bundeswehr-Kreisen hieß es, die am Donnerstagabend beteiligten deutschen Soldaten stünden unter Schock. So kurz nach dem Attentat auf ihre Kameraden habe es viele Warnungen vor weiteren Anschlägen - auch durch Autos - gegeben. In den beiden auf sie zufahrenden Wagen hätten sie eine Todesgefahr gesehen. Die Untersuchungen, ob auch deutsche Soldaten geschossen haben, laufen. Aber unabhängig davon, wer für den Tod der Frau und der beiden Kinder verantwortlich ist, seien die Männer verzweifelt.

Wer hat das Feuer eröffnet?

Der zuständige afghanische Polizeichef sagte, die Deutschen hätten das Feuer eröffnet. Deutsche und afghanische Sicherheitskräfte hätten die Straßensperre errichtet, nachdem sie die Information zu einem möglichen Drogenschmuggel bekommen hätten. Der erste Wagen sei abgedreht, als die Kräfte versuchten hätten, ihn zu stoppen. Danach sei auf den zweiten Wagen, der direkt dahinter gewesen sei, geschossen worden. Die Bundeswehr äußerte sich zunächst nicht näher.

Der Zwischenfall ist eine Zäsur im deutschen Afghanistan-Engagement. "Friedliche Entwicklung und Stabilität" zu sichern, wie Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) stets betont, ist nun nicht mehr das Einzige, was die Bundeswehr für Afghanistan leistet. Nun dürfte sie von radikalislamischen Taliban in eine Reihe mit anderen ausländischen Streitkräften, vor allem denen der USA, gestellt werden, die auch den Tod nach Afghanistan bringen.

Vertrauen der Bevölkerung schwindet

In der afghanischen Bevölkerung lösen die zivilen Opfer Trauer und Wut aus. Als vor einer Woche in der westlichen Provinz Herat 90 Dorfbewohner bei einem US-Luftangriff starben, attackierten wenig später Hunderte Angehörige die afghanischen Soldaten, die ihnen nach dem Angriff eigentlich helfen wollten. Mit Steinen und bloßen Händen wurden sie von der aufgebrachten Menge gezwungen, sich wieder aus dem Dorf zurückzuziehen. Der Schmerz der Menschen über den Tod von 60 Kindern und 30 Erwachsenen war zu groß.

Jungs Sprecher Thomas Raabe verwies darauf, dass es oft unterschiedliche Angaben zur Zahl der zivilen Opfer gebe. Aber unbestritten sei ihr Tod schlimm und müsse aufgeklärt werden.

Präsident Hamid Karsai fordert inzwischen nach jahrelangen erfolglosen Appellen öffentlich, die Verantwortlichkeiten der im Land stationierten ausländischen Truppen neu zu regeln, um in Zukunft tödliche Zwischenfälle mit Zivilisten zu vermeiden. Er verurteilt den Tod seiner "unschuldigen Landsleute" scharf. Der Sondergesandte der Vereinten Nationen in Afghanistan, Kai Eide, hatte nach dem US-Luftangriff gesagt: "Zivile Opfer untergraben das Vertrauen und die Zuversicht des afghanischen Volkes."

Kristina Dunz[Farhad Peikar], Stefan Mentschel[dpa]

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